Sonntag, 23. Dezember 2007

Tummelt euch am ausgestreckten Arm. Und ich gehe darüber hinweg, nicht dazu gehörig.

Draußen wandern Leute geschultert mit Bäumen. Ich sitze und versuche aus Zeitungspapier Geschenke zu falten. Einen Origamikurs habe ich nie besucht. Aber ich dachte, nichts eignet sich besser zum Verschenken als ein gefaltetes Weltwissen. Und ich freue mich für die Beschenkten, wie sie das Kleindruckgefalte dann vor mir ausbreiten. Über Aktualität lässt sich streiten, ebenso wie über den Zeitgeist der Dinge. Also inhaliere ich durch die Haut Druckerschwärze.

Die meisten Fenster sind dunkel ins Gemäuer eingelassen. Die Stunde der Diebe und Gauner schlägt. Schlägt im gleichen Glockenton wie der Sonntagsruf der Kirchen.

Ich habe mich hier zurückgelassen. Ausgesetzt fühle ich mich im Augenblick. Als wäre nur ich zurückgeblieben. Hier und zwischen den Tagen. Kaum ein Geräusch dringt durch das Haus. Nichts von der Straße und selbst die Möwen lassen sich nicht blicken. Vielleicht weil stromaufwärts das Fließen schon gefriert, hat es sie zum Meer getrieben. Unzuverlässiges Vogelvieh.


Traumdeutung. Klingt auch immer wie ein Boot, in dem wir gemeinsam sitzen. Dabei wird auf die Praxis wie auf die Theorie des Verträumens kaum Rücksicht genommen. Tatsächlich habe ich mich verträumt, letzte Nacht. Ein geradliniger Weg lag vor mir. Ich konnte in die Zukunft sehen, wusste mich im Laufen schon am Ende der Linie angelangen. Dann, plötzlich bog ich ab. Marionettenähnlich von meinem Träumen geleitet, zog es mich hart nach links, was zur Ursache hatte, dass ich mein Ziel, die Zukunft aus dem Blick verlor. Im Bruchteil keiner Sekunde andauernder Zeit, geriet ich in Orientierungsnot. Hinter mir keine Vergangenheit, denn am Rücken spürbar zog sich direkt eine Mauer hinauf, die irgendwo im Dunkel weiterzugehen schien. Und vor mir. Keine Zukunft. Stand nun da in einer Zeit ohne Zugehörigkeit, mitten im Irgendwo und Irgendwann. Einer Gegenwart. Ich überlegte, wie lange die Gegenwart gegenwärtig Bestand hat. Wann und mit welcher Begründung der jeweilige Augenblick aus dem Zeitfenster des Jetzt hinausrückt. Verträumt, zeit- und ratlos blieb ich ohne Ausweg. Wohin ich meinen Blick auch richtete, es taten sich verschlungene Möglichkeiten auf. Nie war eindeutig, ob es sich um einen Weg, eine Höhle, eine Luftlinie, ob es sich überhaupt um etwas wirklich Zumutbares handelte.

Nun also, nachdem ich von diesem Vorgang Bericht erstattet hatte, machte sich einer daran, in diesen Traum eine Deutung zu legen. Er sprach und sagte wir, meinte aber wohl mich, was mich missmutig stimmte. Ich hielt mich an meinen Tee und lauschte seiner Auffassung unserer unterbewussten Kraft. Dass ich mir meiner unterbewussten Kraft durchaus bewusst bin, sagte ich nicht, obwohl ich es annahm. Nach längerer Überlegung gab ich mir gegenüber Gegenteiliges zu und räumte meinem Unterbewusstsein Recht auf Anspruch ein. Nun aber deutete jener eine gesellschaftliche Furcht vor der Zukunft und ein omnipräsentes Verdrängen der Vergangenheit in meine Erfahrung. Er meinte, es sei außerdem ein typisch deutsches Phänomen. Vergangenheitsbewältigung. Nun denn, dachte ich. Ich hielt mich für einmalig, für ein nicht kopierbares Gengemisch. Und plötzlich wurde mir klar, ich bin Viele, ich bin Deutschland, wie es mir aus aller Öffentlichkeit zugerufen wird. Ich bin 80 Millionen, so unfassbar das klingen mag. Es wird mir ja ins Gehirn gedroschen, dieser Größenwahn. Ich und Millionen. Das erklärt auch keine Relativitätstheorie. Und natürlich, nun leuchtet es mir auch ein, ich träume, aber die Deutung meines Träumens geht uns alle etwas an. Ich bin Ihr und ich war früher auch schon alle Deutschen zusammen und deswegen komme ich nicht darüber hinweg, komme nicht los von dieser Vergangenheit, die ich nicht erlebt habe. In der Psychologie nennt man das Auftreten dieser Symptome auch Projizierung. Was ich an mir nicht mag, übertrage ich auf Andere und reagiere dann auf diese Anderen aggressiv. Deswegen vielleicht der Appell der Regierung. DU bist Deutschland.

Mittwoch, 19. Dezember 2007

Heute. Mit Schafsfell unter den Füßen schleiche ich durch die Zeit. Eine Zeit, die über das Heute nicht hinausreicht. Und Morgen wird es wieder so sein. Dann vielleicht nicht mit dem Fell, aber an etwas muss ein Anfang sich aufhängen. Mein heutiges Anfangen oder auch Aufhängen also mit Schafsfell unter den Füßen. Man hört mich nicht kommen, doch dann geht mir ein jeder gleich an die Füße. Als trage ich mit dem Fell ein Aushängeschild für einen Streichelzoo.

Einer sagt, anfangen und angefangen sein, ist ein Unterschied. Der spricht von Geschichte und Biografie. Und ich sage dagegen gar nichts. Aber ich komme nicht drum herum, mir daran den Kopf zu stoßen. Erster Blick: Aktiv. Passiv. Darin läge der Unterschied allerdings nicht, betont er dann. Als ich darüber schon stolz meine Brust ausstreckte. Muss ja nicht jeder an meine Füße.

Beginne ich und behaupte, längst begonnen worden zu sein. Vielleicht hat der Nachbar gespuckt und dabei meinen Namen gegurrt. Das passiert, kann jedem passieren, wenn man bedenkt, wie nah wir uns alle liegen. Abends im Bett an der Wand. Dann liegen wir und lauschen dem Rauschen, von dem wir meinen, es sei das Wasser in den Heizungsrohren. Dabei lauschen wir unseren Gedanken, wie sie im Mauerwerk auf die des Nachbarn treffen, wie sie plauschen und sich austauschen und womöglich noch über ihre körperliche Gestalt lachen. Wir sagen uns, es ist die Heizung, weil wir nicht gerne hören, wenn einer über uns lacht. Und dann übertrumpfen wir uns an Selbsttäuschung.

Mit Fellfüßen stehe ich am Fenster und sehe die Huren über den Kai stolzieren. Ihr Warten ist immer auch ein Gang ins Meer. Sie halten Ausschau nach Matrosen, die das Meer wie Tang anspült. Der Tang verfängt sich im Holzgestänge oder in den Ankerketten der Schiffe. Die Matrosen hingegen verfangen sich zwischen den breitbeinigen Frauenzimmern. Da schlingern sie dann bis ihr Schiff wieder in See sticht. Von einem ins andere Nass.

Zersplitterung. Alles lässt sich ins Kleinste teilen. Alles Leben vor meinen Fenstern kann ich brechen, als sei alles Leben Licht und ich nur ein Wassertropfen. So ungefähr ist das Verhältnis.

Ich kaleidoskopiere.

Sonntag, 16. Dezember 2007

Die kurzen Tage überdauern kaum noch die Nacht. Nur mit Mühe finde ich aus dem Schlaf und beginne den Morgen im Dunkeln. Vor den Fenstern liegt das Licht der Vergessenen auf den Straßen. Stumm stehen die Laternen und versprühen ihre ganz eigene Helligkeit. Eine unmerkliche. Ein Licht, das zur Stadt gehört. Jede Laterne wirft ihre eigenen Schatten. Und auch das gehört zur Stadt, wie die einsam erleuchteten Fenster zwischen dem ganzen Dunkel. Fenster von Menschen, die hier bleiben, wenn der Rest sich zurückzieht, weil die Zeit ihn hinaus aufs Land treibt. Dorthin, woher er gekommen ist. Stadtmenschen sind ausgewanderte Landmenschen, und instinktiv ziehen sie in Richtung von Licht und Schatten. Und wenn die Tage dunkler werden, weil sie immer tiefer in die Nacht hineingreifen, zieht es diese Menschen aus der Stadt heraus, weil sie das Licht nicht ertragen. Die Stadt wird niemals gänzlich dunkel, wie die Zeit es im Winter doch ist. Wenn der Frost in den Bäumen und auf den Seen hängt. Alles in einen Zustand tiefster Ruhe versetzt, das kleinste Fließen gefriert. Mit dem Frieren bricht die Dunkelheit ins Land.

Ich lehne meinen Kopf in die Hände und rieche den Kaffee, den ich allein des Geruchs wegen aufkoche. Morgens trinke ich ihn nicht. Nur atmen und die Füße an den Heizkörper halten. Nur atmen und den Geruch der Geschäftigen vergegenwärtigen und damit das eigene Treiben. Ich ziehe durch den Flur der Wohnung, die nur acht Minuten vom Fluss entfernt liegt. Wenn der Pegel die Neunmetermarke überschreitet, ist er nur noch eine Handbreit von mir. Ziehe zum dreibeinigen Tisch und sinke, als könnte ich mich darüber nicht mehr halten. Ins Denken über den Akt der Gewalt, den Sprachakt und dessen gewaltigen Ausbreitung.

Fragmentierung. Geht es mir durch den Kopf. Alles in sich ist Zerspaltung der Dinge. Immer bis auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Gehen wir. Tief hinab nur soweit, wie wir in Begleitung kommen. Hin zum Gemeinsamen, niemals hin zum Nenner. Und das in einer ausgebildeten Ich-Gesellschaft mit einem Überschuss an Singlehaushalten. Leben lernen, heißt Allein-Sein lernen. Es begreifen. Dennoch. Gemeinsam sinken wir im Boot, das nur ein Floß ist und den Widerständen der Natur niemals trotzen kann. Sind auf der Flucht vor uns selbst und reißen Segel in die Winde, türmen Forttreibungsmittel auf und erleiden Schiffbruch auf offener See. Was also treibt uns dorthin, wohin wir längst geblickt haben, in die Zukunft? Sind alle Fluchtkinder in Fluchtkörpern. Und nach uns die Zukunft der anderen, unserer Kinder, die wir aussetzen in genau denselben Körpern.

Sonntag, 9. Dezember 2007

Es geht um. Alles Verschwinden. Von Gestern auf Heute, von vor Jahren weit in die Zukunft hinaus. Erst steht es hinter dir, du bist bange, weißt keinen Weg, der davon führt, der fluchttauglich wäre. Und schon, ohne Zutun, ohne Laut oder auch Lust ist alles Verschwinden verschwunden. Plötzlich stehst du da, wie du vor Sekunden schon gestanden hast, stehst und weißt aber um das große Verschwinden. Und das ändert alles.

Mit den Augen taste ich die Übrigen nach möglicher Mitwisserschaft ab. Denn es ist gefährlich, einem Falschen mit dem Richtigen zu begegnen.

Auflistung: Vom Verschwinden betroffen:

Bruder

Vater

Nachbar

Freundin

Freund einer Freundin

Hund

Wäscheständer

u.a.

Jeder abgekürzte Begriff ist vom Verschwinden heimgesucht. Ich sehe es und komme dagegen nicht an.

Usw.

Mittwoch, 5. Dezember 2007

Trinke Tee, als wäre es das letzte, was ich tue. Ich zelebriere. Und wie meine Hände die warme Tasse umfassen, sieht es auch beinah so aus, als halte ich mich an diesem Moment fest, mache ihn damit zu einem unvergesslichen, einen unabänderlichen Augenblick. Wie es eben ist, das stille Innehalten vor dem Schluss.

Die Selbstmordrate ist gesunken. Wobei zu beachten ist, dass auch hier eine Schönmalerei angewandt wurde. Die Statistik lässt jene aus, die sich das Leben im Gebrauch öffentlicher Verkehrsmittel nahmen. Wobei hier eine Zweckentfremdung der Dinge zu finden ist. Nur wenn man genau hinschaut, ist der Zweck nicht derart entfremdet, dass er in Zusammenhang mit den Mitteln völlig auseinanderdriftet. Die Straßenbahn ist ein Fortbewegungsmittel. Für gewöhnlich bewegt sich Person P von Ort A nach Ort B durch Gebrauch der öffentlichen Verkehrsmittel. Wenn nun aber Person P nicht von Ort A nach Ort B befördert, sondern im Sinne des Lebens und Sterbens von L nach S transportiert werden möchte, gelangen wir zum Schluss, dass keine direkte Zweckentfremdung vorliegt.

Ich schlage die Zeitung um und denke darüber nach, weshalb ich nicht zum Journalismus konvertiere. Der Journalismus ist jeder Religion in Mund- und Redeart voraus, und er ist durchaus glaubwürdig. Grundsätze, die meinen, stets eine zweite und unabhängige Quelle zu haben, um sich Inhalte bestätigen zu lassen oder auch mit Sorgfalt für den Wahrheitsgehalt der Meldungen verpflichtet zu sein, sind Grundsätze, denen man sich anschließen kann. Conversio; Umwendung. Eine Drehung vom Glauben hin zum Wissen. Von Interpretationen hin zur Recherche und Faktensammlung. Ich wende mich um. Flüstere ich, nur um zu testen, wie es sich anhört. Wende mich vom passiven Händefalten hin zum Greifen, Halten, zum Aktiven. Weg vom Vorgesagten hin zur Meinungsfreiheit.

Der Tee ist getrunken.
















Jedes Jahr aufs Neue. Menschen jagen tausende Flugkörper in die Luft und bestaunen das Zerstreuen von Licht und Lärm am Nachthimmel. Als könnten sie nur so zur Wahrnehmung der Zeit und der Zeitenwechsel gelangen. Ein Jahr endet, egal ob am 31. Dezember, am 13. Januar oder am 20. März und ein neues Jahr beginnt. Für manche auch eine neue Zeitrechnung, weil es vielleicht das letzte Schuljahr, das erste Studienjahr usw. war, ist, sein wird.

Was zwischen diesem ersten und letzten Tag eines Jahres alles in die Luft geworfen und hell und laut verstreut wird, ist weniger zu bestaunen als zu bedauern. Es ist zu verantworten und im Anmaßen des Fortschrittes, der Allmenschlichkeit, der Hochintelligenz zu verurteilen, zu verneinen.

Streubomben fallen seit Jahrzehnten vom Himmel. Allerdings schneidet die sich nicht irgend ein weißbärtiger Mann, der zwischen Wolken sitzt und mit uns wie mit Schäfchen spielt, aus den Rippen und lässt sie aus den blauen und dunklen Unendlichkeiten fallen. Die mit hunderten Minibomben bestückten Metallkörper werfen Menschen auf Menschengebiet. Befehl gebend und Befehl ausführend. Da fragt man sich, wo beginnt und wo endet der Fortschritt, die Allmenschlichkeit, die Hochintelligenz. Vielleicht hat da die Zeitwechselwahrnehmung nicht funktioniert.

Im Rahmen der UNO-Abrüstungskonferenz in Genf sind bisher keine angestrebten Ziele erreicht worden. Auf einen Hindernislauf war man nicht vorbereitet, und so stehen die Fortschrittlichen vor den Blockaden und verstehen nicht, sie zu umlaufen, sie umzustürzen, sie zu überwinden. Vielleicht auch verständlich, betrachtet man sich die Riesen: USA, China, Russland, Deutschland. Da ist es mit einem großen Schritt nicht getan. In Afghanistan, Irak, Serbien, Laos, Kambodscha, Libanon und Tschad liegen diese Minibomben mit ungeheurer Schlagkraft über das Land verstreut. Bomben, die beim Aufschlag nicht explodierten, die nur darauf warten, endlich knallen und in die Luft gehen zu können. Am häufigsten sind es Kinderhände, Frauenbeine, Männerarme die dabei zerfetzt werden. Menschenleben, Menschenland.

Nun sind die Mächtigen, die einem Veto im Weg stehen auf der Suche nach technischen Lösungen, nach Alternativen. Welche Alternative könnte gegenüber einem Verbot von Streubombeneinsätzen bestehen? Deutschland trumpft mit einem “Lösungsvorschlag“. Selbstzerstörungsmechanismen sollen die Streumunition “ungefährlich“ machen. Da findet man Worte wie Lösung und ungefährlich in einen Zusammenhang gestellt mit Inhalten wie Bomben und Zerstörung, Munition. Das also ist der intelligente Fortschritt. Das Schönreden.

Montag, 26. November 2007

Der aus Afghanistan war hier. War ohne Schnellfeuerwaffe, ohne Stiefel und Tarnung hier. Eben so, wie ein Mensch zu einem Menschen kommt. Als Mensch nur. Und ebenso saß er auf meinen Stühlen, auf meinem Sofa. Saß und aß Kuchen, trank Tee. Trank aus einer Tasse, die für seine Hände, Pranken möchte man sagen, zu klein war. Viel zu klein und vielleicht auch nicht spektakulär genug. Eine Weile dachte ich darüber nach und übersah seinen kahl rasierten Schädel, diesen Schädel, der ganz anderes gesehen hatte. Ich schaute an ihm vorüber in den immer gleichen Hinterhof, in die Einöde meines Stadtlebens.

Er erzählte vom Dreck. Überall nur Dreck, sagte er und ich wusste nicht, was er meinte. Aber er meinte die Wüste an sich. Nur dass er nicht Sand und Staub sondern Dreck sagte. Und vielleicht ist Sand und Staub nur eine romantische Vorstellung und Dreck der Ausdruck, der berechtigte Ausdruck eines Menschen, der dort gewesen ist.

Er zeigte Fotos und ich sah Wüste, sah Hügel, Dünen und später dann Berge aufragen. Wunderbare Landschaft, bestätigte er. Aber dann ein Foto von Geländewagen, die im Sand aufgereiht standen, wie Leichen auf Bahren. Fuhrparkfriedhof. Das ist bestimmt die wirtschaftliche Formulierung, dachte ich und er meinte, der erste Wagen hatte nur einen Unfall. Dann erübrigte sich jeder Kommentar. Einschusslöcher, ausgebrannt. Eine Minenlandschaft dort draußen. Der ganze Dreck also ein Risikofeld, das viel Sand und Staub aufwirbelt. Gefahrenzuschlag, so heißt es, Gefahrenzuschlag bekommen sie, wenn sie dort in die Wüste Kabel und Drähte legen, erst kleine, dann größer werdende Containerlandschaften errichten. Wenn die einheimischen Firmen das Zement legen, für einen Lohn, der hier weit unter der angestrebten Mindestlohngrenze liegt, für dortige Verhältnisse aber wohl sehr gut sein soll, wie mir der bestätigt, der dort gewesen ist, dann wird das als Hilfestellung zum Wirtschaftsaufbau betitelt. Das unterbezahlte Zementieren der Wüste.

Er aß Kuchen und ich stellte mir diese Wüste vor, wie sie vom Wandel ergriffen ist, und wie die Panzer im Sand und Staub einsinken, bis sie endlich den Nabel ihrer Wirtschaftshilfe erreichen, einen Zementstreifen mitten im Dreck. Seine Wangen lagen tief, lagen auf den Knochen und er sagte, er würde wieder gehen. Ich sagte nichts, schaute an ihm vorüber durch die dreckige Glasscheibe in den Hinterhof, in diese Landschaft meiner Inhaftierung.

Sonntag, 25. November 2007


Ent.Mündung

wohin hast du dich verloren
die letzten Dampfer
ziehen über das Meer
und ich schleiche
die Uferböschung entlang
als glaubte ich
der Fluss wäre
ein guter Führer


Samstag, 24. November 2007

Mittwoch, 21. November 2007

Sitze und stelle mir vor, er säße mir gegenüber. Dieser Mensch mit dieser bemerkenswerten gedanklichen Ausdauer. Die ist nicht zu übersehen. Höchstens von einem, der nicht hinhört, nur gaukelt und schwätzt, nur vorgibt am Gesagten, am Erdachten interessiert zu sein. Stelle mir vor, er säße hier in dieser Männlichkeitsmanier, den Rücken weit nach hinten in die Stuhllehne gedrückt, zwischen den Fingern einen dunkel gerollten Zigarillo, auf dem Kopf, beinah in der Stirn einen Hut mit mittiger Falte. Er säße und hätte die Knopfleiste des Jacketts zuvor, noch in leichter Kniebeuge geöffnet, und den Stoff unauffällig wie Flügel zur Seite geschoben. Und dann, bevor überhaupt ein Wort gewechselt würde, hätte er die Beine übereinander geschlagen, nach Männerart natürlich, nicht wie Frauen dies tun, nicht so leicht in Schräge geneigt sondern gerade das linke über das rechte Bein gestreckt. Und dann erst ginge ihm der Mund auf:

> Der Akt des Denkens und der des Wollens sind momentan. Wir können sie mehr oder weniger lange vorbereiten, aber ihre Ausführung hat keine Dauer; sie geht im Handumdrehen vor sich; es sind punktuelle Akte. […] Die Liebe dagegen dauert in der Zeit, man liebt nicht in einer Reihe von ausdehnungslosen Augenblicken, von Punkten, die aufflammen und erlöschen wie der Funke einer Induktionsmaschine, man liebt das Geliebte beständig. < (Ortega y Gasset .Über die Liebe.)

Darauf würde er schweigen, die Regungen meines Gesichtes studieren, sich den Zigarillo zwischen die Lippen legen und nach einiger Zeit erst den inhalierten Rauch entlassen. Ich derweil würde seine Worte in die Länge ziehen, sie dehnen und drehen als wäre es meine Absicht, sie zu zentrifugieren. Sie solange im Geiste zu drehen, bis sich erschließe, was gewichtig ist. Dann würde ich den Mut aufbringen und erwidern:

Ist mein ausgedehntes Denken über Ihre Worte dann ein Beweis für mein Nicht-Denken oder Nicht-Wollen? Sie müssen zugeben, ein Gedanke blitzt auf, ist für einen Moment heller als übrige, unübersehbar, doch im nächsten Augenblick ist der Geist noch immer mit diesem Gedanken, dieser Idee am Werke. Er ist beschäftigt. Demnach sind es Punkte, die die Idee legt, aber die Gedankenspur verbindet die punktuellen Akte, wird zur Linie. Der Denkakt wird dehnbar, wird beständig. Nicht für unbegrenzte Dauer, dennoch über einen Moment weit hinaus.

Er würde in seiner Männermanier die Stirn in Falten legen, mit der linken Hand das Kinn stützen und mit seiner bloßen Anwesenheit fortfahren. Nichts sagen, nur sitzen und den von mir geäußerten Gedanken betrachten. Und vielleicht würde er in diesem Augenblicken bemerken, wie ausdauernd er bei diesem Denken weilt, ihm beinah nachhängt, sinniert und kaum noch loskommt. Abermals, für Sekunden nur würde er sprechen:

Und wie denken sie über die Liebe?


Sitze in der Bahn und denke, wie schön es ist, dass die Stadt sich bewegt, an mir vorbei zieht und mich hier sitzen und denken lässt. Die Minuten zwischen hier und dort, zwischen geschäftlich und privat. Tagein, Tagaus, nur manchmal wechseln die Gesichter. Und nur an den Gesichtern lässt sich das ausmachen. Denn die Anzüge, die Krawatten, die Handschuhe, die Aktentaschen, die Lederschuhe, die Mobiltelefone, die alle bleiben unverändert. Selbst die Stimmen und Antworten, immer gleich, oder auch die Art, die Fahrkarten abzustempeln, der Dame den Platz am Fenster nicht anzubieten, oder das Gehabe, wenn einer einsteigt ohne zuvor die anderen aussteigen zu lassen.

Ich sitze jeden Tag in der hintersten Reihe, weil ich der erste bin, der einsteigt. End- und Anfangspunkt der Linie. Ich sitze mit der Zeitung, die nichts anderes macht, als täglich die Schlagzeilen zu wechseln. Mein Arm liegt angewinkelt auf dem Stück Rand zwischen Sitz und Fenster, meine Beine stehen rechtwinklig zum Boden und die Tasche liegt vor mir auf meinem Schoß. Das ist das Bild, das ich zwischen hier und dort abgebe, solange bis sich die Stadt zu meinen Ausgangspunkten bewegt hat. Dann hält für Sekunden das große Schnaufen inne und ich dränge mich aus der hintersten Reihe nach vorn, wobei nicht mehr viele Anzüge, Krawatten, Handschuhe, Aktentaschen, Lederschuhe, Mobiltelefone und Damen in der Bahn sind. Ich dränge und stoße leicht die wenigen, die vergessen auszusteigen und steige aus, bevor jemand kommt und einsteigt ohne zuvor die anderen aussteigen zu lassen.

Sonntag, 18. November 2007

Das Leben lang wird uns erklärt, man solle nicht so viel Zeit mit dem Tod verbringen, der komme schon, komme von ganz allein. Und die Gedanken an und über ihn würden das Leben weder lebenswerter noch unwerter machen. Wenn denn das Leben unseres körperlichen Daseins überdrüssig würde, würde es den Tod von selbst herbeizitieren. Ohne unser Bedenken und Zutun. Wäre es so, wie also würde das Leben dem Freitod gegenüberstehen? Würde es sich von der körperlichen Daseinsform, die wir ja sind, hintergangen und vom Geiste, der wir ebenso sind, überrumpelt fühlen?

Weshalb personifizieren wir den Tod im Sensenmann und das Leben, für das Leben nehmen wir uns das Vorrecht, es ganz in Anspruch zu nehmen. Wir selbst bedeuten für uns das Leben. Wir selbst definieren den Tod, das Eintreten der Leblosigkeit am eigenen Körper als einen Fremdakt. Einen Gewaltakt am Leben, der von Außen eintritt. Womöglich noch durch Sensenschlag oder einen Sichelhieb.

Nun denn. Gerade lief einer vor die Straßenbahn. Lief und kam selbst zum Stillstand wie auch die Bahn. Einer stirbt am Tod, der andere ist seines freien Lebens beraubt. Der Gedanke, einen Menschen des Lebens beraubt zu haben, weil man gerade selbst am Steuer der Straßenbahn saß, nimmt diesem Menschen die Lebenslust. Wessen Umstand sollen wir betrauern? Den des zu Tode Gekommenen oder den des Lebens Beschädigten?

Wir schenken dem zu Leben Kommenden ebenso viel Aufmerksamkeit, sei es gute oder weniger gute, wie dem zu Tode Kommenden. Geburts- und Sterbeurkunde. Das Zusammenkommen am Kinderbette, wie das Zueinandertreten am Grabe. Menschen gedenken im Anfang und im Ende dem Menschen gleich. Doch während der Zeit des bloßen Daseins, werden die Differenzen zwischen Leben und Tod deutlich. Der eine grübelt über das Leben, das er nicht hat, der andere denkt an den Tod, der ihn so nicht ereilen wird. Kaum einer tritt zusammen, ein jeder trägt für sich die Gedanken um Leben und Sterben. Letztendlich kommen wir doch nicht umhin uns des Todes ebenso anzunehmen wie des Lebens. Nämlich als einen Akt der eigenen körperlichen und geistigen Daseinsform.

natura morta

Betrachte sich einer mal die Welt aus meinen Sichtverhältnissen. Die Straße mit ihrem Fortfahren, der Baum mit seinem Wechsel der Jahreszeiten, der Fluss, der immerwährend in Bewegung bleibt. Sitze und leide, als hielte ich mich an dieser Aussichtsspeere wie an einer Leine. Kann nicht weiter, immer nur bis hin zur Straße, zum Baum, zum Fluss. Darüber hinaus wäre ein stückweit zuviel.

Nichts geschieht. In diesen Wänden steht die Welt still, die Zeit schlägt nicht um, und ich habe mich diesem Stillleben hingegeben. Bin hineingebettet, an die Umstände gebunden und nicht in der Lage auszubrechen, den Rahmen zu sprengen. Unausweichlich dieser Ruhestand.

Die Bahnhofshalle sei ganz aus Glas, habe ich mir sagen lassen, hat jemand gesagt, der vor meinen Fenstern stand und sprach, als könnte der Hall seiner Stimme die Stille brechen. Aber die brach nicht, war nur für Sekunden in Aufruhr und legte sich sofort wieder sorgfältig über die Landschaft. Eine Glashalle, habe ich mir vorgestellt, muss unendlich weite Aussichten bieten. Und wie die Menschen wie Tauben an- und wieder abreisen. Nicht anders als einen Taubenschlag habe ich mir diese Halle ausgemalt und auch das Treiben darin. Dann musste ich daran denken, wie einmal eine Taube, sie muss jung gewesen sein, wie sie flog, wie sie durch meine eingeschränkte Sicht glitt und Schleifen am Himmel drehte. Hin und her schien sie mir gerissen, nicht zwischen West und Ost unterscheiden zu können. Ziellos. Und wie ich ihr nachsah, merkte ich sie näher kommen. Die Taube stob durch die Luft und mir blieb kaum noch genug zum Atmen, denn ich ahnte Schlimmes kommen. So ein wirres Regen in mir, und das Umgreifen dieser Regung, wie sie aus mir herausgriff und die Zeit zwischen den Wänden berührte. Das junge Vogelvieh flog und zog Linien. Bis sie dann ganz nah war, so nah, dass sie vor dem Glas nicht mehr zum Stillstand kam. Ich rückte näher ans Fenster, sah hinten den Fluss, den Baum, die Straße, sah alles wie immer. Nur auf dem Brett vor dem Fenster, da lag die Taube, ganz grau ihr Federkleid, lag und bewegte das dumme Köpfchen, lag mit gebrochenem Flügel und sah zu mir hinauf. Die Aufregung scheuchte mich, ich lief und stieß gegen den Tisch, gegen den Stuhl, gegen die Wände. Zeit- und Raumgefühl hatte ich verloren, und ich wagte mich nicht hinaus. Also wand ich mich ab. Vom Fenster, der Taube, der Welt und ihren drohenden Geschehnissen.

Sitze in den eigenen Wänden und betrachte die Welt wie von Außen. Und wie es einem vorkommt. Dieses ewige Ziehen, Treiben, Fliehen. Als beobachte man die Wirren eines aufgescheuchten Bienenstocks.

Mittwoch, 14. November 2007




















Wer andern einen Kopf abschlägt

Reiß mir doch den Kopf ab, Salome! Was habe ich noch anderes zu verlieren. Kannst den Wünschen nicht entkommen, nicht dem heimlichen Ohrgeflüster, das dir eintönt, mich zu enthaupten. Und dann laufe, unterm Arm meinen Kopf. Kannst doch nicht ausschlagen, was ich dir auf dem Tablett darbiete.

Und jetzt, wie ich dort, wo mein Hals, mein Schultergürtel, wo ganz ich nur war, wie ich dort an jener Stelle nun kühl das Metall fühle. Und die leichte Wärme, die wie Hände meinen abgeschlagenen Kopf trägt. Als pulsierte dort, wo nichts mehr ist von mir, doch weiterhin mein Leben.

Mit meinen Armen kann ich nicht mehr greifen. Nur ein Phantom die Glieder, die nicht mehr gehorchen wollen. Denn gern würde ich deinen Kopf, Salome, würde ihn fassen und mir zuwenden, deinen Blick, den du so geschickt abkehrst, als fürchtest du meinen Anblick. Den Anblick meiner körperlosen Gestalt.


Und weißt du, was mir durch den Kopf geht, den du in Händen hältst. Wie schön es wäre, könnte ich deine Finger noch in mein Haar greifen spüren, dieses Gefühl, dass nur eine Frau in einem Mann auslöst. Aber du kennst nichts von dieser Sehnsucht. Immer hast du alles bekommen, wonach du dich gesehnt. Den Unterschied zwischen Verlangen und Befriedigung hast du nicht gekannt. Selbst jetzt noch, als dein Verlangen über Menschenleben ging, hat es sich eingestellt. Und wie leicht dieses Lächeln auf deinen Lippen sitzt, wie es dort sitzt und nicht recht zu wissen scheint, ob es ausbrechen darf. Oder ob es besser daran tut, klein, in sich, innerhalb der eignen roten Mauern zu bleiben.


Gib es zu, du hast es gewollt, hast meinen leblosen Kopf zu dir befohlen, weil du mich sonst nicht hättest haben können. Dafür bin ich entleibt worden. Für deine Wunscherfüllung. Und ich sage dir, Salome, hier in dieser unwürdigen Art als Mann vor einer Frau zu liegen, sage dir, es werden Legenden entstehen, es werden sich Geschichten erzählt werden, es wird geschrieben und gepriesen werden, was ein jeder sich beim Anblick dieser Tat erdenken mag. Nur eines nicht, ob du meinen Kopf wie eine Trophäe trägst. Inhaltsleer bleibt in Geschichten und Gemälden mein Haupt, in dem noch so viele Gedanken zucken, und hätte man nicht meinen Kopf sondern den ganzen Rest ins Bild gerückt, man würde die Muskel zucken und mich kopflos laufen sehen.


Bilder:

Bernardino Luini

Salome empfängt das Haupt Johannes des Täufers.

Salome mit dem Haupt Johannes d.Täufers



Dienstag, 13. November 2007

Da sagt einer, Weib sei Weib, sei nicht Gattin, nicht Mutter, nicht Tochter. Das Weibliche liege nur im Weibe selbst. In diesem Zustand ohne Tätigkeit. Im bloßen Sein. Während ich darüber noch denke, taste ich von Kopf bis Fuß, taste jede meiner Poren ab nach dieser Weiblichkeit. Ob sie da auch ist. Sage es nicht. Nicht laut.

Zwischen den Augen bleibt immer auch Distanz. Gewährt dort den unantastbaren Raum, während einer noch spricht, und der andere schon fühlt. Sich einfühlt. Tastet und nicht preisgibt, was er spürt.

Und wohin sollte ich schon reden. Der Raum ist kalt, weil nichts ist, woran Wärme hängen bleiben könnte. Nackt und verlassen hängt der Heizköper, hängt an der Wand unter dem Fenster, mit der Hoffnung auf bessere Aussicht. Einen Tisch, einen Stuhl, mehr habe ich nicht. Und in diese Leere hinein, erzählen sich die Geschichten. Seite für Seite schlage ich um, während ich mich in Decken mantle und den Schritten lausche, die sich einschleichen, die eindringen durch die Türspalte zum Treppenhaus. Ich muss nicht reden. Der, der dort spricht, benutzt mich, dringt zu mir durch meine Stimme. Wie es sich windet, dieses Wort in meinem Hals, und wie ich beinah versucht bin zu hüsteln, so gekünstelt, als wollte mir etwas nicht recht passen. Ich lese und lese mich fest.

Vor den Fenstern fangen die Kegel unter den Laternen Licht, und erleuchten die Straßen in bemessenen Abschnitten. Es fröstelt, wie Glanz legt sich alles Kalte. Legt sich auf die Straße, auf die Häuser, auf jedes Dach, jeden Baum, legt sich in die Mulde vor der untersten Stufe, auf die Gesichter der Menschen, die umherstreifen. Und die aussehen, als seien sie auf der Flucht. Bei diesem Gedanken, das Besinnen auf den eigenen Fluchtkörper mit dieser Stromlinienform, ausgerichtet nach möglichen Fluchtpunkten.

Ich taste noch und fühle nicht, aber das sage ich nicht laut.

Sonntag, 11. November 2007

Die Alte. Sitzt in der Bahn, als säße sie hinter Gittern. Zwischen meinen Beinen ein Rinnsal, wie es sich einen Weg bahnt. Prescht nach vorn, zieht sich zurück. Das ist der Fahrtakt. Alle sind so hin und her geworfen, sind zwischen Zukunft und Vergangenheit hin und her gerissen. Und an jeder Haltestelle die nackte Gegenwart. Das Schweigen der letzten U-Bahn, der Bier-, der Uringestank. Die Alte vor mir, die guckt und guckt gar nicht mehr weg. Stiert aus dem Fenster, als sähe sie dort etwas. Oder einen Ort, eine Zeit, wohin sie möchte und nicht kann. Kommt nicht los von ihrer Haut. Alter Stierkasten.

Und das Gesicht. Das möchte man nicht grimmig sehen. Die reine Hässlichkeit. Auch jetzt noch, wo es so einen leisen Eindruck hinterlässt. Leise, aber gewaltsam. Wenn alles so gewaltsam leise wäre. Der Kopf sieht gemäht aus. Uneben. Weder lang noch kurz. Die Haare stehen irgendwie zu Berge, und an anderer Stelle reißen sie Täler. Schluchten. Das zieht vom Haar ins Gesicht. Diese Landschaft. Wer sich da hineinwagt, geht verloren. Das sieht man, sieht es von ganz fern. Aber so nah.


Mittwoch, 7. November 2007

Die Stadt liegt noch in der Stille des Morgens. Das Nachtlärmen ist ausgestanden. Und der Tag mit seinen Geräuschen ist kaum angebrochen. Er dauert, dauert über Jahre. Wir werden nicht älter und die Zeit teilt sich in Laute. Türenknallen, Toilettenspülung, Radio, Motorenstarten, Ampelklicken, Hupen, Rufe, Gleisansagen, Zeitungsknistern, Flüstern und Tuscheln, Möwengekreisch. Überall ein Tönen, jeder Zeigerschlag, manchmal auch überlappend, klangübergreifend, hier und dort. Sekundenabschlag.

Aber jetzt ist noch dieses stille Dunkel, was keine Nacht mehr ist. Man hört den Fluss, wie er treu in seinem Bett bleibt, fließt. Unmerklich beinah. Sein Vorankommen. Man lauscht in die Ferne und muss sich den Stillstand der Zeit eingestehen. Nirgends mehr ein Laut. Und der Fluss so leise. Nur ein Rauschen, als hielte man ein Kissen an das Ohr gepresst, nur das Rauschen des eigenen Blutlaufs.

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Es ist schon eine Schande, dass wir jetzt so alt werden, sagte eine, geschminkt und hundertjährig. Sie suchte in einem Buch nach einem Satz, einem guten Satz, der das Älterwerden als etwas Glanzvolles darstellt. Die Bovenschen mit ihrem essayistischen Werk ist zu umfangreich, sie bräuchte es gleich und sofort, so viel Zeit bliebe ihr nicht. Sie müsse noch heute zum Geburtstag, zu diesem Herrn älteren Semesters. Dabei würde sie gar nicht wollen, es sei doch schließlich schon eine Schande. Und überhaupt, sagte ich, schließlich seien wir kein Ersatzteillager und können nicht ihre schlechten Ansichten über das Alter, das eigene obenhin, in bessere Aussichten stellen. Vor allem, nach der langen Zeit. Und sie suche ja nur einen Satz, ein Fragment, einen aus dem Sinn gerissenen Teil. Und wir hier, und ich mit den wenigen Jahren ...




Montag, 5. November 2007

Fahre mit dem Rad und werde das Gefühl nicht los, die Stadt liegt in jeder Straße bergaufwärts. Fahre und während ich nicht von der Stelle komme, spüle ich den Mund, spüle alles Leere gegen die Wangenwände. Als ließe sich damit noch etwas einreißen. Wessen der Mund überdrüssig ist.

„Ich habe Angst vor dem Leben.“ sagte die eine. Und ich sagte nichts anderes als: „Das brauchst du nicht, mit der Angst kommst du auch nirgends sonst an. Treffen im Leben immer nur auf den Tod.“ Dass sie etwas anderes meinen könnte, darauf kam ich nicht. Nicht damals. Und heute denke ich darüber nach und über die Situation. Wie wir in unsere Leben gekleidet waren, und so stolzierten. Zwischen den Büchern, als gehörten sie, als gehörte alles Wissen der Welt uns. Und das nur, weil wir im Raum waren, weil in diesem Raum das Gesetz auf unserer Seite war.

Kindheit. Das ist etwas, was wir das ganze Leben mit uns tragen.

Und ob man darüber glücklich sein sollte. Ich weiß es nicht.

Ich atme und vermisse die Kinderjahre. Das ist, als komme man aus dem Sommer immer nur wieder in den Herbst, den Winter. Herbst Winter. Lebensjahre. So. Und nicht anders. Ist das.

Über das Gras weht ein Wind. Furcht die Erde. In der Stadt ist davon nichts zu spüren. Wir riechen kaum noch den erdigen Grund, und wenn wir auf Rasen sitzen, dann eben auf Rasen, kein Gras, keine Wiese. Wie man sie kennt aus den Sommer-Kinder-Jahren. Sitzen zwischen Hundekot und erinnern uns der Erdhügel, der Maulwurfsburgen. Und wie wir den Hund hetzten, ihn zur Jagd antrieben. Bis wir dann wortlos standen und lauschten, wie die Kriechtierknochen zwischen den Hundekiefern krachten. Köterkot.

Die Straße liegt Licht bespuckt vor dem Haus. Ich gehe nicht, gehe nicht hinaus aus Furcht, mit den Hosen das Licht aufzuwischen.

Montag, 29. Oktober 2007

Gewicht ablegen. Als ob ich das so einfach könnte.

Der mit dem Gedichtband. Ich habe ihn gesprochen. Er kam, und er blieb, und ich sagte dies und sagte dann das. Aber der wusste gar nicht. Dabei lächelte er, lächelte zögernd, über - ein zurückhaltend - weit hinaus. Ich sagte nichts mehr, und zum Abschied keinen Gruß, nur ein Nicken. Eine Verständlichkeit.

Am Fluss bin ich lange nicht gewesen. Habe ihn aus der Höhe im Fernsehen gesehen. Wie ein Aasfresser über dem Tatort. Aber wirklich erkannt habe ich die Stelle nicht. Bin ausgewichen und habe das Programm gewechselt. Wenn ich etwas Schauriges sehe, dann nehme ich es mit in den Schlaf. Dort weitet es sich aus, und alles wird ganz schaurig. Plötzlich.

Stadtbilder.

Ich schaue einfach darüber hinweg.

Der aus Afghanistan schreibt:

>fröhlich kann ich euch verkünden, das ich wieder heil und in einem Stück in Deutschland angekommen bin.<

Schön.

Montag, 22. Oktober 2007

Ich stehe hier jeden beschissenen Tag und biete die Abos an, die keiner haben möchte. Möchte doch keiner mehr wissen, was in der Welt geschieht. Ist doch online alles schneller, aktueller. Wer liest noch Zeitung? Die hinkt hinterher. Nicht mal kostenlos wollen die Leute sie haben. Für keinen Preis der Welt interessiert sie, was in ihr passiert. Weggucken. Das lernt man schon in der Schule, vom eigenen Heft auf das des Nächsten schielen. Darüber hinaus wäre zu viel des Guten.
Und wenn man hier steht, Tag für Tag, lernt man die Seltsamkeiten der Straße kennen. Die immer gleichen Gesichter, die immer gleichen Rhythmen, in denen die Geschäftigen morgens zur U-Bahn schwanken. Und wenn die dann das Feld geräumt haben, kommen die Tanten und Omchens. Die schlendern und schnacken. Kommt man sich vor wie auf der Federviehtauschbörse. Ist auch der Trubel vorüber, treten aus den Hauseingängen die Penner und Säufer. Dann stellen sie ihr Becherchen auf den Gehweg, breiten ihre Decke oder manche haben sogar einen Schlafsack, aus und nehmen Platz. Dort harren sie dann aus, den Tag, die Nacht, die Woche, ein, zwei Monate. Bis das Ordnungsamt sie vertreibt, weil vielleicht ein Stadtfest, eine Kirmes, Weihnachtsmarkt oder sonst etwas ansteht. Da wird die Stadt gefegt. Nichts darf auf den Straßen liegen. Niemand.
Auch ich muss dann für die Zeit meinen Stand wegräumen. Bringt ja kein Geld ein, nicht der Stadt. Und Touristen wollen noch weniger über das Weltgeschehen informiert sein. Die interessiert dann nur der Dom, die überteuerten Maronen, die kreischenden Karussells. Deren Blicke gelten nur diesem bunten Treiben oder aber einer FalkFaltungStadtkarte. Also packe ich mit den Pennern und Säufern meine Zeitungen und suche mir einen anderen Ort, einen Platz, an dem es sich vielleicht lohnt umzuschlagen.

Donnerstag, 18. Oktober 2007

-

"Die Stadt. Ja. Dieses unaussprechliche Ding zwischen den Zähnen. Ich beiße und renne die Straße entlang, ramme jede Laterne. Wie beim Skislalom. Beiße mir an diesem kreisrunden Ding die Zähne aus. Hast gesagt, ich würde es lernen, und zur Not würdest du es mir eindreschen. Das ginge dann schon. Laufe wie ein Clown und frage mich, was besser ist, wie ein geschlagener Clown oder wie eine geschlagene Frau auszusehen. Vielleicht kann ich die Schminke noch umtauschen. Sehe ja fürchterlich aus. Dreschen. Das kennst auch nur du, dieses Wort.

Guck doch! Wie die mich glotzt! Schlampe!

Nich nen Clown jesehn?

Ich kann es kaum noch aushalten. Diesen Gestank, das Licht. Diese ganze verschissene Tour. Weißt du, ich habe dich gesehen. Wie du dir die reingezogen hast. Aber das ist mir egal, fick doch, wen du willst!

Ich renne und kotze auf dich. Auf die Stadt, auf den ganzen verlogenen Scheiß. Draußen, dort, wo ich herkomme, gibt es solche wie dich gar nicht. Ihr kommt nur, wenn ihr jemanden braucht, weil die Stadt keine mehr hat. Dort habt ihr schon alle gedroschen. So ist es doch. Oder? Oder!

Kommt raus aufs Land und nehmt, was euch gefällt. So läuft das doch. Wenn ihr darauf keinen Bock mehr habt, fahrt ihr eben wieder raus. Bei den Bauern gibt’s ja immer was, und dafür müsst ihr nicht mal was zahlen. Wollen ja alle in die Stadt, die dummen Hühner."

-

Da begegnet mir einer. Einer, den ich kenne. Nur die Zeit, die dazwischen liegt. Da stehen wir und wissen nicht, was wir aus der Begrüßung machen wollen. Eine Umarmung, einen Luftkuss links und rechts vorbei, einen Händedruck, eine gewohnte und lieb gewonnene Distanz? Wir reichen uns die Hände und suchen einen Ort, einen Tisch am Fenster. Mit Aussicht, sollten wir nichts zu sagen finden. Er sitzt und ich muss ihn anschauen. Die Augen, die Haut, die gefalteten Hände.
Und, wie geht’s dir?
Ich lächle und warte mit der Antwort. Ich weiß nicht, was er hören möchte, mein Befinden, mein Arbeiten, meine Liebe. Wie geht es dir?, hat er gefragt. Nicht, was machst du, bist du noch zwischen den Büchern, noch immer mit dieser Frau – wie war noch ihr Name – zusammen. Oder. Bist du gesund?
Ich schreibe.
Und jetzt lächelt er. Er sieht nicht gut aus.
Du bist ruhiger geworden.
Ja.
Ich betrachte ihn und er schaut aus dem Fenster. Dahinter steckt der Herbst in den Bäumen. Ein Jahr. Ich habe meinen Namen geändert, meine Adresse, mein Leben. Und ich sehe, ihm ekelt davor. Vor dem Leben.
Arbeitest du?
Ja. Nur montags nicht. Meine Oma wird sterben, meine Mutter ist krank.
Ich sage nichts. Draußen fällt Laub. Das ist es, was der Herbst liegen lässt. Wir sind hier. Es tut gut, fühlt sich nach etwas an. Deswegen bleiben wir, vielleicht auch deswegen, weil wir nicht wissen, was wir aus dem Abschied machen sollten.


Montag, 15. Oktober 2007

Performance.

Was stelle ich dar? In Wort und Laut, Schrift und Text. Was stelle ich sprachlich dar?

Oder schreibe ich um den heißen Brei? Viel mehr noch, weiß ich gar nicht um den Brei, um den ich schreibe? Huhn oder Ei. Finde ich schreibend zum Thema oder ist das eigentliche Thema Auslöser des Schreibens?

Hach! Grundsatzfragen!

Zum Grund hinabsteigen, im Kaffeesatz wälzen und wühlen, ihn deuten und lesen. Wissen schöpfen. Mit der Kelle, mit dem Löffel. Auch mit einer Gabel, wenn nichts anderes zu greifen ist. Oder mit den Lippen schlürfen, was im Elternhaus verboten war.

Schlürf nicht!

Schöpfe kein Wissen, denn das ist Versuchung. Dem Versuch erliegen. Erlegen sein.

Das schwache Weib ist so nah am Wasser gebaut. Hat vielleicht auch deswegen vor dem Manne schwimmen gelernt, Schwimmhäute zwischen Leber und Milz.

Wieder nur ein Überleben.

Wir schwimmen, bauen unsere Häuser im Wasser und wissen um den Manne, der am Ufer den aufrechten Gang übt. Trainiert, bis die Muskeln vom Knochen durch die Haut treten. Er VerÄußert sich.

Performance.Ach,Wa










Ach, weißt du, ich glaube - Giraffen darf man gar nicht als Haustiere halten.




Der mit dem Gedichtband, ich sah ihn, wie er an der Kreuzung stand und dann die andere Richtung wählte. Ich schrieb ihm. Habe gemeint, Stadtkinder wüssten nicht, wann Schwalben sich sammeln. Sie haben kein Bild vom “Schwalbenstacheldraht“ vor Augen, die imaginäre Grenze zwischen Sommer und Winter. Ich konnte ihm nicht nachlaufen, stand hinter Glas zwischen Büchern und Menschen. Und davor eine Mutter mit Kind, deren Worte durch die offene Tür drangen, drangen einfach herein und an mein Ohr. Diese Giraffengeschichte.

Vor den Fenstern blühen die Baumkronen ein letztes Mal golden auf. Mit den Beinen an den Heizkörper und mit dem Kopf gegen das Fensterglas gelehnt, schaue ich und weiß, es wird wiederkehren, alles Sonnige, alles Jubelhochjauchzende. Zu allen kehrt die Aussicht zurück, selbst zu den aussichtslosen, den jetzt noch verschlossenen Fenstern, aus denen einer fiel oder sprang, letzte Aussicht genoss.

Aussichtsschluss. Wir sind Montag bis Donnerstag von 12.00 – 14.30 Uhr für Sie da !

Donnerstag, 11. Oktober 2007

Seit Tagen nichts Neues. Sehe zu, wie mir die Haare aus der Nase wachsen. Kann beinah hören, was so unschön anmutet, als wüchsen sie mir in den Ohren. Arm in Arm gingen wir, spazierten das Flussufer entlang, den Wind im Kragen, so dass wir die Mäntel höher schlossen als eigentlich gedacht. Schlenderten so, weil die Zeit uns nicht im Nacken saß, wir waren jung, sind alt geworden und haben so nah dem Tod endlich gefunden, dass Zeit kein rechtes Maß ist. Kein Maß für einen, der weiß, das Ende hat mit dem Anfang schon längst, schon lange dem Ganzen voraus, begonnen.

Doch seit Tagen nichts Neues von dir. Mit den gichtschweren Fingern krause ich mir das Haar, während der Wasserkocher sich stumm schreit. Irgendwann wird alles in Flammen aufgehen. Und all das nur, weil ich nicht hochkomme, weil ich den Stuhl breit sitze, breit mit meinem Gewicht, mit meinen Gedanken an dich.

Ich denke daran, mir den Mantel überzuwerfen, zum Fluss hinab zu steigen und spazieren zu gehen. Allein war ich in den letzten Wochen selten. Du warst immer an meiner Seite. Manchmal wollte ich nur in den Himmel schauen, nur ans andere Ufer.

Die Schlüssel habe ich schon in der Hand, die Schuhe an den Füßen. Es sind nur acht Minuten. Nur eine kurze Zeit bis hin. Zum Sterben.


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dez`06

Dienstag, 9. Oktober 2007

Brich die Absätze von den Schuhen! Läufst du noch? Wir rennen schon! Schau, auf der anderen Seite rennen die Krähen, deren Flügel wir stutzten. Red nicht von Gott und Engelsfedern. Renne! Hinterdrein höre ich Schritte und spüre Fersentritte. Zwischen den Beinen, auf dem Rücken, oben- und untenauf. Wie sie hetzen und dabei ins Stolpern geraten. Die jagende Meute und ihr Gestank, der vorauseilt, uns längst gestreift und überholt hat. Aus den Gräbern zum Himmel hinauf. Das hält keine gute Seele aus. Renne, sonst kommst du im Leben nicht an !

Ich amputiere Finger. Da bedarf es keiner Feingliedrigkeit. Hau drauf und ab. Im Garten steht der Holzblock, drin steckt die Axt. Ringsum sieht es aus, als habe einer ein Huhn gerupft. Das beginnt im ganz Kleinen. Und dann wird es groß.

Ich adoptiere Wünsche und Träume ohne Einkommensnachweis, ohne Haus und Hof. Wer nicht wohin mit den Klagen der unerfüllten Wünsche weiß, die ihn Tag und Nacht wach halten, kommt zu mir. Am Briefkasten habe ich ein Schild angebracht. Traumklappe. Das ist für die, die nicht erkannt werden wollen. Irgendwann ist immer Zeit, und das Unerreichbare betrübt nur noch.

Aber ich habe eine Axt. Damit stutze ich Flügel.

GesellscHaft. Da ist man auch nur gefangen. Nicht anders als in Einzelhaft. Nur dass man als Geselle wie ein Mitglied zählt. Oder einen Brief als Errungenschaft eines Handwerks vorlegen kann. Aber schließlich als Einzelner, als Mitglied in Haft.

>… ich zolle dem Anderen ja gerade deshalb meine Beachtung, weil ich glaube, daß er auf dem Gebiete des Antwortenkönnens mir ebenbürtig ist. <

José Ortega y Gasset -Der Mensch und die Leute-

Kehrt der Einzelne sich deshalb der Masse zu? Weil die Haft, der er so oder so ausgesetzt ist, im Zusammenkommen mit einem Anderen erträglicher wird? Und kehrt sich der Einzelne aus demselben Grund von der Masse wieder ab, weil womöglich der Andere durch seine Antwort deutlich macht, ihm nicht ebenbürtig zu sein? Hin- und Rückkehr. Demnach macht eine soziale Inkompetenz keinen Sinn. Niemand ist sozial unfähig. Lediglich der Gegenüberstehende entspricht nicht, und so dauert die Suche fort.

> Die Grundlage der Scham ist nicht irgend ein persönlicher Fehler, sondern die Schande, die Erniedrigung, die wir dabei empfinden, daß wir sein müssen, was wir sind, ohne daß wir es uns so ausgesucht haben, und es ist das unerträgliche Gefühl, daß diese Erniedrigung von überall zu sehen ist. < Milan Kundera, Die Unsterblichkeit

Hänge in den Kleidern und weiß nicht, ob das so weiter geht. Was weiß ich von Morgen vor Morgen? Kann mir mit dem Wissen bis Übermorgen Zeit lassen, dann hat es Bestand, Gewissheit. Ich trinke, rauche nicht, gehe vor Morgengrauen zu Bett, und wenn ich esse, dann, weil ich zuvor gekocht habe. Eben wie ein Schrank, in dem nichts als Kleider hängen. ZweckErfüllt.

Zumeist schätze ich Distanzen falsch ein. Ob es sich nun um nahe Liegendes oder Fernes handelt. Die Tasse knallt auf den Teller und alle im Café schrecken auf. Selbst ich bin erschrocken. Da greife ich ins Leere, weil das Greifbare weiter ist als gedacht, angenommen, abgeschätzt. Das ist nicht tragisch, wirst du sagen. Aber Umhertreibende bemerken es. Ich bin von allen Seiten einsehbar. Und du musst ganz deutlich darüber denken, was es bedeutet, Nähe sowie Ferne falsch zu bemessen, und ob ein Maßband da überhaupt noch Abhilfe schaffen kann.

Unbeschwert. Gewicht ablegen. Ich könnte hungern, allerdings habe ich schwere Knochen. HA ! HA ! Das sagt Jede, die sich beleibt meint. Schwere Knochen ! Das ganze Gerüst wiegt schwer, muss schließlich Leben tragen. Mensch!

Wäre ich gern hochbegabt? Dann hätte ich einen Grund, eine Ursache, eine Ausrede für die soziale Inkompetenz. Hochbegabt. Begabt hoch zwei. Und ein anderer bleibt auf der Strecke. Zurück. Zurückgeblieben. Vielleicht ein Leben lang wartend auf Rückkehr des abhanden Gekommenen. Begabt unten zwei. Das ließe sich aufaddieren, aufmultiplizieren.

Emotional hochbegabt? So einer ist nicht überlebensfähig. Emotionale Überintelligenz ist unlebbar. Nicht auszuhalten. Unerträglich.

Unterbewertet. Gesellschaftlich. Da rede ich mich selbst hinein. Fühle mich emotional und intellektuell unterbelichtet vom zuständigen Personal zur Betrachtung der Lage. Dabei muss ich schmerzlich gestehen, stelle, setze (oder überhaupt) ich mich selbst in Pose. Positionierungsdrang. Oder. Wenn nicht hochbegabt, dann zumindest doch unterbemittelt, weil: für dazwischen gibt es kaum einen Grund.

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> Liebe ist unbelehrbar, das macht sie zur Provokation. <

Angela Krauß

Wenn man das Wort -Provokation- synonymisiert (unschönes Wort), stößt man auf Begriffe wie:

  • Herausforderung
  • Aufreizung
  • Brüskierung
  • Kampfansage
  • Kriegserklärung

Donnerstag, 4. Oktober 2007














War unterwegs. Und ich hatte das Gefühl, den Wind immer im Gesicht, niemals im Rücken zu haben. Das Meer. Das Land. Die Dünen dazwischen, kurz hinter der Brandung, nur knapp vor den Häusern, die sich hochzogen wie Felsen. Wir waren zu Fuß und unter den schweren Schuhen knirschten die Muscheln. Knirschte all das, was das Meer einfach lässt. Liegen lässt. So wie der Winter den Schnee.

Wir sprachen, doch ich sagte kein Wort. War ganz ungläubig. Wollte sie nicht fassen, weil sie sich nicht fassen ließ. Die Weite, diese Ferne, das ewig Hinausreichende. Und wie die Schiffe, diese eisigen Monster auf ihr spazieren, balancieren. Dort und immer noch weiter. Hinaus.

Geh nicht! Sagtest du. Ich ging. Mit den nackten Füßen und einer Mütze auf dem Kopf. War aus den Schuhen, die für die Berge gemacht sind, gestiegen und ins Meer gegangen. Mit bloßen Füßen und grünen Hauptes.

Mit der Ebbe beginnt immer schon die Flut. Das sagtest du auch und ich lachte. Lachte, weil es eine Phrase war, und du im nassen Sand saßest und dir vom Brot ein Stück heraus brachst. Und dann auch vom Käse, als hättest du seit Tagen nichts gegessen. Die Wenigen schauten uns an oder zu, und wir beobachteten die Drachen über unseren Köpfen, und wie der Himmel sich zuzog, schwarz und gewittrig wurde.




Freitag, 28. September 2007

- Verliere von mir.

- Was?

- Ich fühle mich nicht wohl.

- Hier?

- In meiner Haut.

Hat doch nicht wirklich jemand geglaubt, dass das unblutig ausgeht.

8.oo Uhr vor den Bäckereien der Innenstadt. Warenanlieferung. Wie duftend die Kisten vor den Türen standen. Da bekam man schon Lust, musste nur Zugreifen. Ich ging vorüber und sah ihm nach, dem Ausgehungerten, seinem tierischen Blick. Seiner Gier. Und ich traute mich nicht, ihn zum Frühstück einzuladen. Vielleicht auch deswegen, weil er sein ganzes Leben dabei hatte, auf den Schultern, auf dem Rad. Und wohin dann damit, fragte ich mich. Aber da war ich schon gegangen. Die Einkaufsmeile lag lahm. Nirgends etwas. Ich schlenderte und war gespannt, was aus dem Tag noch werden könnte.

Es wurde nicht viel. Die üblichen Nachrichten, das übliche Versagen. Sonntag kommt N. aus Wien, dann reisen wir nach Amsterdam oder auch ans Meer. An einen weit angelegten Strand.

Kein Schreiben. Kein Lesen. Kopf unter Wasser. Damit könnte man diesen Zustand vergleichen.

take me from this place

Dienstag, 25. September 2007

Rennst doch immer nur wieder in das Unglück der Anderen.

Ein kastanienrotes Meer, ein buddhistisches Meer tut sich auf. Irgendwo gegen ein Militärregime. Neben Mönchen auch Nonnen, die nicht immer in der Geschichte des Buddhismus willkommen waren. Sie treiben Sintflut gleich durch die Straßen. Und die Frauen steuern zielstrebig auf das Haus einer unter Hausarrest stehenden Freiheitskämpferin zu. 100%iger Symbolgehalt. Der chinesische Riese guckt und lauert aus seiner Festung. Der Rest im Zuschauerraum ist im Gegröle kaum auseinander zu halten. Studenten, die sich auflehnten, vor vergangener Zeit, wurden blutig auseinander geschlagen.

Der afrikanische Mittelstreifen steht unter Wasser. Die Wüste geht unter. Ersäuft. Schulen werden Unterkünfte. Bildung fällt bis auf weiteres aus. Die Ernten sind verloren. Hunderte Menschen sterben, Tausende sind auf der Flucht.

Armes Deutschland. Der Arbeitnehmer hat nichts vom Wirtschaftsboom. Ottonormalverbraucher verdient scheinbar weniger als vor der Wende. Und so eine Statistikeinsicht kurz vor dem 03.10.

Die Kanzlerin empfing den Dalai Lama. Daraufhin sagt China ein Treffen mit der Kanzlerin ab.

Ich sitze und staune aus dem Fenster. Staune meinem Rennen hinterher. Spaltung. Kernspaltung. Ich minimiere mich auf das Kleinste. Bis unter die Fingernägel. In den Dreck. Die Pflanzen in den Kübeln gehen vor meinen Augen ein. Ich habe einen Intensivnotstand ausgerufen. Seither nur Warten. Warten auf Wiederbelebung. Wie Bäume stehen Männer an der Straße. Ich könnte hinausgehen und einen mitnehmen. Und der würde mir dann vielleicht mit dem Leben kommen, das ich nicht habe.

Sonntag, 23. September 2007

Nachts. Die U-Bahnen wie Lichtschlangen auf den Straßen. Mann ohne Kopf, Frau ohne Bauch und ein Kind sitzt hinten. Ohne Zukunft. Zwischen meinen Schuhen ein Bierrinnsal. Ich stelle mir vor, wie ich mich beuge. Bäuchlings am Boden und die Zunge, den Rachen wie eine Schlucht geöffnet, in die alles rinnt. Hinabsinkt.

Schweißnass die Körper. Zwischen Rauch und Musik bewegt sich eine Masse. Zähflüssig. Wie Zucker kleben Hände an mir. Und wie über Zucker lecken Lippen. Das Kleid ist zerrissen, war es schon immer. Die Träger muss man mir im Nacken zusammenbinden. So ein Kleid, wie ein Bikini. So zur Schaustellung. Vielleicht auch praktisch auf den überladenen Toiletten. Nirgends kann man noch Platz nehmen.

Hast du mich gefragt? Was denn? Na ob auch ich will. Wozu denn?

Es wird niemals dunkel. Hier.

Stehe und greife mit den Zehen durch den Boden. Umklammere die äußerste Kante, die Erdkruste und fühle mich wie auf einem Sprungbrett. Fühle einen Krampf, der sich durch die Zehen, durch die Wade, den Oberschenkel bis hin zum Herzen frisst. Wie er nagt und schabt, an jedem Muskel. Späne brechen mir durch die Stirn.

Glaubst du, du kannst dich verstecken?
Glaubst du, du kannst dich erstrecken?

.

Feststellung

ich bin kein
Emotionsbolzen
den man sich
nach Lust
und Laune
in das fleischige
Herz rammt

Freitag, 21. September 2007

Allein. Beim Chinesen. Habe etwas mit Curry bestellt und ein Bier. Trinke und sitze in der gähnenden Leere des Lokals, schaue hinaus ins Dunkel. Dorthin, wo freitags das Leben tobt, die Stadt pulsiert.

Sitze am Text und habe zwei neue Ideen in Gang gebracht. Gestern gab ich E. die gekürzte Fassung. E. hat eine Geschichte verfilmt. Vertrickfilmt. Und nun gab ich ihr die zweite und damit einen Auftrag. Gespannt folgte ich ihrem Lesefluss, wartete auf Regung, Bewegung der Mundwinkel. Der Pakt ist geschlossen. Stunden am Telefon. Hier und Dort Veränderungen. Hier und Dort mein Einstreuen, mein Anmerken, es handelt sich um eine gekürzte Fassung. Die Idee steht schon bereit für mehr. Mehr und mehr. Immer nacheinander. E. sagt, sie wolle mehr Länge. Ich meine, mir die Länge für eine Erzählung aufsparen zu wollen. E. fragt, ob sie die Geschichte dennoch verwenden dürfe. NATÜRLICH. JA.

Davor aber die Arbeit am Kinderbuch. Planung abgelaufen, überfällig. Jetzt beginnt die Durchführung, neben all dem Übrigen. Terminsetzung: nächste Buchmesse. Und plötzlich hat man drei Fische an einer Leine. Werden sehen, was im Boot landet.

Das Verhalten eines Unbekannten am nächsten Morgen ist unvorhersehbar.

Ewig war die Zeit, in der ich das zu erfahren hatte. So viel Zeit und so viele Menschen, die einen berühren, obwohl man unberührt bleiben wollte. Keine Wehr. Keine Wehrmacht. Nirgends noch Kraft. Das Gewaltige tritt stets über die Ufer. Und wenn ich Ufer, nicht Fluss, nicht Meer bin, sein kann? Nicht mehr?

Renne über die Brücke, über das Wasser und fühle mich den Möwen überlegen. Wie sie kreischen, und ich lache. Renne von einem ans andere Ufer. Halte links und rechts Hände, die nicht zu mir gehören. Halte sie so.

Mutter hat Vater ans Kreuz geschlagen. Seinen Kopf auf den Jesuskörper genagelt. Da hängt er nun, und der Körper passt nicht zum Gesicht. Denn das strahlt, ist aus besseren Zeiten. Und Mutter hat ihn so hängen, weil er für sie leidet, meint sie. Ich lasse sie und spare mir alles Übrige.

Die Stadt macht mich lahm. Ich komme kaum hinterher. Während ich mir noch Wasser ins Gesicht werfe, schminkt die Stadt sich schon zur Abendgarderobe. Werfe mir das Wasser wie Steine ins Gesicht. Komme nicht nach, weil ich an einem Wort, wie an einer roten Ampel hänge. Nur ich, scheint es, warte auf Grün. Der Rest springt vor die Gefahr.

Ich will dich spüren, sagte ich. Und sie schlug mir ins Gesicht. So, das hält eine Weile, das hallt nach, das Gefühl, gab sie zurück.

Nur ich tobe nicht.

Donnerstag, 20. September 2007

Stecke mir mit Klammern Strenge ins Haar und fühle mich trotz der Pulloverschichten dünnhäutig. Sag doch, hast du Mutter mit ins Grab genommen oder liegt sie noch auf den Feldern? Ich habe so Angst, aber ich muss hinaus, muss auf die Felder, wenn sie dort noch liegt. Und ich kann sie schreien hören, wie sie bei jedem Kind schrie, fluchte und mit der bloßen Hand Vaters brach. Ich habe nichts. Kein Brot, kein Kleid, nicht einmal Zeit blieb mir. So stehe ich und stecke Klammern ins Haar, schmücke mich wie einen Christbaum. Mitternacht wird einer mich entzünden und ich gehe in Flammen auf. Wie steht mein Geäst?

Die Kirchentür stand offen. Ich trat heran, und heraus dröhnte Orgelmusik. Weiter wagte ich mich nicht. Vater unser, der du bist …

Ja. Wo denn? Fliehhemdchen. So ein großer, schwerer Körper.

Wie fern bin ich dem Nahen? Und wie weit lässt sich das dehnen? Wie lange noch?

Alles Sterben hat ein Ende, ist man erst einmal tot. Gilt das auch für die Liebe? Alles Lieben hat ein Ende, …

Mutter, liegst du auf den Feldern? Sag doch! Ich trage Klammern und um Mitternacht gehe ich in Flammen auf. DU wirst mich sehen können. Lichterloh. Froh. Weil sonst kaum noch einer brennt. Kaum ein Christbaum im September. Vor den Türen der Kathedrale stehe ich. Geschmückt, kahl geschlagen. Geästet.



Geächtet.

Mittwoch, 19. September 2007

Ist ein Eisenherz tröstlicher?

Vielleicht.

Wieder Post aus Afghanistan. Dieses Mal kaum noch Erschütterung. Es ist der dritte Brief. Mein Verstummen begann beim Einsatz der Feuerwaffen. Von leichter Aufregung hin zum Beben. Ich bebe. Dort, wohin niemand sieht.

Unter Bäumen säße ich gern. Auch bei Regen. Aber überall ist asphaltiert. Und dort, wo noch Platz wäre, ist plakatiert. Suchanzeigen, Ausstellungshinweise, Kinovorschauen, Morddrohungen, Konzertansagen … . Selbst der Himmel sieht wie Plakatwand aus.

Der mit dem Gedichtband war da. Wie er seine Hände um meine schloss. Und ob ich den kleinen Brief, den er geschrieben, gelesen habe. Was ich denke und dazu meine. Wie lange ich ihn nicht gesehen habe, denke ich und überhaupt, welchen Brief? Er lächelt. Dieses ruhige, kaum berührbare Lächeln. Und ich weiß keinen Rat, dem zu entkommen. Fühle diesen verdammten Fluchtkörper, fühle mich in ihm stecken, fühle mich bleiben wollen und gehen müssen. Erbärmlich ! Erb ärmlich. Genmanipuliert. Der mit dem Gedichtband, dem Briefchen, der geht und sagt, ich solle nach dem Brief schauen. Ich rufe hinterher, ich wolle doch und Seite 58.

wenn du
über mich rutscht
wie über einen
flaumlosen Teppich
dann liege ich
auch nur unten
und fühle mich
betreten

Das ist alt.

Und ich weiß gar nicht wohin. Treiben.

Dienstag, 18. September 2007

Hell. Dunkel. Das Wetter schlägt um wie ein Sekundenzeiger. Ganz eigener Rhythmus. Reicht gerade aus die Zahl einundzwanzig auszusprechen. Sonne. Regen. Sonne. Regen. Untertauchen. Luft anhalten. Auftauchen. Atmen.

„Sonst noch einen Wunsch?“
Wo soll ich anfangen? Und das hier. Das intimste Begehren? Wie lang, wie viel Zeit bleibt noch? Wie viele Wünsche, alphabetisch oder nach Priorität?
„Warten Sie, ich muss nachdenken.“
Ob die Übrigen mehr Zeit oder schon Vorüberlegungen getroffen haben?
„Bitte!“
„Dann ein Sovitalbrot bitte.“
„Geschnitten?“
„Nein, am Stück.“


N. sagt, die Figur ist unglaubwürdig. Weint hinter der Tageszeitung wegen der immer wiederkehrenden Nachrichten und brüllt und wütet später gegen das eigene Kind. Unglaubwürdig. Nicht authentisch.

Ich habe es hingenommen, ohne über meine Glaubwürdigkeit nachzudenken. Im Text habe ich es gekürzt. Oft ist zu streichen, was den Verfasser am meisten gefällt, ihm nahe ist, ihm am Herzen liegt. So nah also. Das interessiert den Leser nicht, das braucht die Geschichte nicht. Hm. Also streiche ich. Komme zu den geforderten sieben Seiten. Neun minus Zwei.

Reduktion.

Glaubwürdigkeit. Wie kann ein Gott dann glaubwürdig sein? Der heult doch auch und
entfacht Weltkriege, sieht es zumindest geschehen. Ist doch nur projiziert. Großflächiger. Und die Narren glauben.
Sind Kritikern gegenüber kaum abgehärtet. Da wird alles persönlich genommen. Ich-Bezogen selbst im Glauben an eine Über-Macht.

Sonntag, 16. September 2007

Wenn du mich streunen siehst, bin ich Kater und habe sieben Kätzchen gezeugt und auch zur Welt gebracht. Geboren. Neun Leben, eines davon ist weiblich, ist das Gebärende. Wiedergebärend. Sicherlich. Wenn du mich so siehst, schleiche ich nachts um die Häuser, und am Tage um die langen Beine der nach oben Gewachsenen. So streicht Zeit ins Land. Wie ich.

Bin abgerutscht mit dem Messer. Über den Fingernagel, habe mir eine Gravur gelegt, kurz bevor das Blut kommt. Knapp vor der behornten Haut. An Finger und Zehen sind wir auch immer Schuppentier, oder Panzer. Schuppenpanzer. An den sensibelsten Ausläufern unserer Selbst. Am wundesten Punkt die härteste Verschanzung. Wie wenig Beachtung man dem schenkt. Das Herz ist in aller Munde. Ausspucken! Das Herz pumpt. Und wie zart, wie fragil und fadenfein die Kapillaren sind, die alles Herzinnere bis zum Äußersten treiben. Da liegt die Kunst, liegt alles Gefühl. Im Äußersten. Das Herz zentrifugiert nur.

16.09.07

Heute ist ein Tag. Nicht wie jeder andere. Vielleicht ähnlich, aber nicht gleich.

Ich lasse eine Spurensammlung

.

10.09.07

Alles ist ein Anderes. Wahrnehmung ist immer Wahrheit. Und was im Sinne daraus gebildet wird, ist eine Interpretation, eine eigene Deutung der Dinge. Privat. Intim. Alles innere Geschehen.

Wahrnehmung. Das Geschehen wahr nehmen. Für bare Münze nehmen. Für wahr annehmen. Annehmen, vermuten, glauben. Das um uns herum. Und wenn nicht ?

Hinterfragen, anzweifeln. In Zweifel nehmen. Trugnehmung. Infragenehmung.

Und wie lange hält man das aus?

Hier ist alles tot. Zumindest könnte man das glauben, wenn man hier ist.

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11.09.07

Berlin

Bei Regen, immer bei Regen und wenn die Sonne scheint, sitzt man im Café.

Vieles um mich herum ist Ablenkung. Es ist nicht einfach, einem zu folgen, wenn anderes genauso ist. Das ist eine Wahrnehmungsverzerrung. Alles ist aus der Sicht des Betrachtens verzerrt, verändert und dargestellt. Natürlich, mir ist egal, welcher Zuckerbecher auf dem Tisch steht, aber passend zum Milchkännchen finde ich nicht verkehrt. Das ist Ordnung, ein Prinzip. Alles ist Ordnungssystemen unterworfen. Prinzipien.

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12.09.07

Kein Auge zugemacht. Die ganze Nacht nicht, und dann in aller Frühe vom Telefon geweckt. Im Dämmerzustand ins Auto gestiegen, zum Bahnhof gefahren. So vergeht die Zeit. Was geschieht nachts, während man nicht schläft? Jede halbe Stunde die Überlegung, aufzustehen, den Rechner hochzufahren und zu schreiben. Überlegung. Ein ÜberlegenSein. Alles Denken und Grübeln? Man darf mit diesen Wortfindigkeiten gar nicht erst anfangen. Da treibt man, treibt bis auf das Äußerste hinaus.

Mit dem Schluss weitermachen. Beim Schreiben, das ist wie ein Fließen, das folgt einer Fließrichtung. Kann ich nur Meter nach der Quelle, dem eigentlichen Ursprung vorgreifen, hinfort eilen, schon an der Mündung angekommen sein? Oder dort weitermachen, und die Mitte, das ganze mittig Liegende, vernachlässigen? Abschnittsdenken. –schreiben. Daran muss ich mich gewöhnen. Denn ich fürchte, sobald ich aus der Mündung trete, schwinde ich im Meer, verliere den Flusslauf. Und die Geschichte kommt ins Stocken, bevor sie ins Fließen kommen konnte. Da versiegt ein Strom, wird Rinnsal, verkümmert.

Prinzip.

Bin uneins. Merke es, wenn ich sitze und ruhig bin, es nicht sein kann. Unruhig werde, ausflüchte, hinausflüchte. Merke mich selbst aufspalten, auseinanderdriften. Und aus dem Augenwinkel heraus immer den Betrachter im Blickfeld, ob der etwas davon mitkriegt, mich sieht in meiner Zerrissenheit.

Natürlich sieht er. Wie kann er nicht, reiße selbst alle Hürden ein, reiße sie um und bleibe auf der Strecke. Der eigenen Laufstrecke, der Distanzbewältigungsstrecke. Einreißen.

Ein Ort, der nach dem Ortseingangsschild bereits wieder endet. Nichts. Hier ist nichts. Menschen, die nicht wissen, wohin, weil es kein Wohin gibt. Aussichtslos. Hier ist weit und breit keine Aussicht. Wo soll einer hin, der nur soweit geht, wie er sehen kann. Der wird nicht raus kommen aus der Enge, dem Begrenzten.

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Donnerstag, 6. September 2007

Weiß ich, in welcher Freiheit ich mich hier bewege? Und kann es eine Freiheit mit Grenzen sein, kann es denn diese geben? Wo beginnt, wo endet diese Freiheitsgrenze. Wo und wann darf ich mich im gezäunten Raum wie darstellen, geben. Und welcher Wahrheitsgehalt liegt im Menschen, einem Menschen, der täuscht, um zu überleben. Alle Lüge, aller Schein bekommt plötzlich einen Gebrauchscharakter, eine Notwendigkeitsfloskel. Überlebensstrategie. Abermals und Abermals.

Dort wird man gepeitscht und gesteinigt. Hier trägt man eine Lebenspartnerschaft ein. Dort werden Jugendliche mit Tötung durch den Strick des Lebens beraubt. Hier steigt das Diskussionsfieber, wenn es sich um die Lebensqualität und Akzeptanz im Alter handelt. An welchen Tischen sitzen wir, an welchen wollen wir Platz nehmen, wo lässt man uns diesen Platz? Und wie lange halten wir still und leise den Mund geschlossen. Weil das Eigene doch immer das Nähere ist. Ist das verwerflich. Wie eng sind die Grenzen in den Köpfen gesteckt? Und wie viel Angst verbirgt sich hinter diesen Grenzen.

Und komme ich umhin, darüber zu sprechen, ohne meine Ängste einzugestehen?

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Strafbarkeit von Homosexualität im Iran

§110: Die Strafe für Homosexualität in Form des Verkehrs ist die Todestrafe. Die Tötungsart steht in Ermessen des religiösen Richters.

§111: Der homosexuelle Verkehr wird dann mit der Todesstrafe bestraft, wenn der aktive und der passive Täter mündig und geistig gesund ist sowie aus freiem Willen gehandelt hat.

§129: Die Strafe für die lesbische Liebe sind 100 Peitschenhiebe für jede.

§131: Wenn die lesbische Liebe drei Mal wiederholt und jedes Mal mit Peitschenhieben bestraft worden ist, ist die Strafe beim vierten Mal die Todesstrafe.
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2007

Mittwoch, 5. September 2007

Trage meterlange Kleider. Durch den Abend, durch den Tag. Immerfort. Fort und während Andere bleiben. Und wenn ich schreite, dann schleicht mein Kleid hinterdrein. Ich fühle es. Sehe auch die Blicke, die ich auf mich lenke, über die ich nach Belieben richte und walte. Lasse Köpfe rollen, ohne im Hafen ein beflaggtes Schiff liegen zu haben. Und wenn einer noch schreit, dann lache ich schon gekrümmten Buckels.

Abendliche Vorbereitung. Ein Prozedere. Eine Sinfonie. Bis so ein Kleid angepasst, zurechtgerückt, beseelt ist. Damit habe ich Jahre verbracht. Und das, obwohl ich niemals Kleider tragen wollte.

Konfus. Ich bin konfus.

Teile ich mich durch das Schreiben selbst mit? Das ist die Frage, vor der ich mich momentan befinde. Teile ich mich mit? Was wird von mir verlangt, erwartet, erhofft? Doch nicht die Ausstülpung meines Innersten.

> - sondern so einen Mittelort suchen, wo das ausgesprochene Wort sensationell ist, … <

Goetz -Abfall für alle-

Ist Schreiben diese Suche? Diese Ortschaftssuche?

Wo und wichtiger beinah noch, wer bin ich, wenn ich schreibe.

Ohne mit der Wimper zu zucken, rase ich durch die Geschichten mehrerer. Das ist so, das ist meine Behauptung. Prämissen folgen. Ich trete vollkommen aus mir heraus, in mich hinein, das ist nur eine Relationsverschiebung. Dann ergibt sich ein Wort, und dieses das nächste, das immer und immerwährend nächste. Wer schreibt und wohin schreibt dieser mich. Das nimmt Gestalt an. Ohne Frage. Gestalt ist Form. Ich habe eine Textdatei im Kopf. Ich kann Verschiedenes zu bestimmter Zeit aufrufen. Bestimmtes zu verschiedener Zeit. Mach den Test, frage mich. Aber dann lass mich an den Schreibtisch. Denn der ist Bedingung.

Die Geschichten der Vielen treten in Konkurrenz zu: Teile ich mich mit. Beziehungsweise treffe ich hier auf die Frage der Identität. Das ist heikel in Zeiten des Gläsernseins. Jeder kann doch von mir sehen, was er zu sehen wünscht.

Und ich gebe zu, wenn ich vom Meer schreibe, vom Fluss, der nur fließt, dann gestehe ich meine offene Sehnsucht. Die liegt nämlich offen. Nichts ist unter Verschluss. Was nutzt das ganze Sicherheitsgetue. Und wonach sehne ich mich, was ist diese Sehnsucht.

Alles nur Gefühl, das ewige Empfinden eines Fehlenden. Emotionsbespuckt, wie wir alle sind. Da kann man sich kaum noch herausretten. Umschlagplätze, ganze Massenveranstaltungen.

EmotionsBespuckt.

Dienstag, 4. September 2007

Komme nicht umhin, den Kopf vom Rest zu spalten.

Ich sprach von Zeit und Vergänglichkeit. Seit Tagen schon denke ich nicht daran. Sitze jeden Morgen zwei Stunden am Text. Das ist wie eine Wanderbaustelle. Stagniert immer an einem Punkt. Gefrierpunkt. Bei der Kälte liegt alles lahm, weil die Finger schmerzen. Alle Versuche bringen nichts: Wärmflasche, Decken, heißes Bad mitten am Tag, und ewig dieser Tee.

Vor lauter Frust und Veränderungsdrang nochmals die Haare geschnitten. Man kann ja nie zufrieden sein. Mit Brille, kann ich sie so tragen. Warte. Und muss eingestehen, plötzlich schärfer zu sehen. Komme nicht umhin.

Die Zeitung habe ich seit Gestern nicht aufgeschlagen. Ich weiß vom Leichenfund bei Bonn in Königswinter, ich weiß von Afghanistan.

Was schreibt man einem, der in Afghanistan ist.

Hallo, hier ist alles so, wie es vor deiner Abreise schon war, und so wird es auch bleiben. Das Wetter ist beständig wie eh und jäh. Im Grunde bist du der, der etwas erlebt. Gruß und Kuss –

Hallo und vielen Dank für deine Mail. Hoffen, es geht dir gut, trotz Hitze, Sandmücke und Angriffe. –

War von Anfang an gegen die ganze Sache. Komm gesund wieder. –

Habe anderes geschrieben, und wahrscheinlich langweilt ihn das. Oder er sieht es in ganz anderen Relationen. Mehr verliere ich darüber jetzt nicht.

Was mache ich nicht alles öffentlich. Andere spazieren nackt durch den Park. Bis dann einer kommt, ein Ordnungsbewusster. Der kommt und die Nacktheit verpönt. Das öffentliche Ärgernis, die Erregung einzudämmen. Ach, was es nicht alles für Spektakel gibt. Wie belebend.

Wäre der Sommer ein wärmerer gewesen, ich hätte einen anderen Job gemacht. Wäre mit Clownsnase durch die Fußgängerzone stolziert, immer einem Passanten hinterher. Geradewegs, geradeaus, immer hinterher in dessen Art und Manier. Bis dann einer mal zurückgeschlagen hätte. Das passiert. Das sind die Kleinlauten. Die holen einfach aus, während du noch stehst und ein Gesicht ziehst. Und schon hat der die ganze Mascara an den Fingerknochen. Man selbst kann ja nicht heulen, mit dieser Grinsfresse von Clown im Gesicht.

Mit N. das Stück besprochen. Warten auf neue Szenen. Alle kommen voran.

Wohin hat mich die Kindheit getrieben? Hier an Ort und Stelle. In eine Stadt, in der es nie finster wird. Immer ist Licht. Irgendwo. Das war früher anders. Zu einer anderen Zeit. Und ich weiß gar nicht mehr, ob ich mich im Dunkeln überhaupt noch fürchte. Einer, in dessen Bett ich auch schlief, hat die Stadt verlassen. Vor zehn Monaten schon, sagte der. Sagte es mir am Telefon, obwohl ich von nichts wusste. Schließlich hatte der noch mein Rad im Keller. Schaue den Wolken hinterher, als wäre das eine Alternative.

Während der in Afghanistan mit der gemeinen Sandmücke eine Uhrzeit, Auftrittszeit verabredet,

> Nach 1900 Uhr muss darf man nichts kurzärmliges oder kurzbeiniges mehr anhaben, denn ab 1900 beginnt die aktive Zeit der Sandmücke, die die Krankheit Leischmaniose überträgt. Es ist eben so befohlen. Ob die Sandmücke auch weiß, wann sie Starterlaubnis hat, muss ich noch herausfinden... <
lese ich über Meta- und Objektsprache. Wofür man nicht alles etwas erfindet. Lese diese Grundkursbücher und fühle mich in einem Gedankenraster. Wie eine Murmel am Rechenkasten. Hin und Her kann man schieben, in Weiten und Tiefen. Mehrdimensional. Aber letztlich hängt alles an Begriffen. An einer Art und Weise der Verständigung der Betrachter. Ich lasse es so, betrachte das Ganze einfach aus meiner naiven Sicht, einer Naivität, die mich glauben lässt, ich verstehe etwas davon. Aber in den Büchern ist auch Witz. Zum Beispiel wird auf Seite 85 zum hundertsten Mal wiederholt, die Bezeichnungen hier nicht mit grammatikalischen Begriffen zu verwechseln. Ja, denken die denn, wir sind fragil? Und haben es auf Seite 85 noch immer nicht bemerkt oder längst schon wieder vergessen? Ich meine, wäre man denn dann über Seite 46 hinausgekommen. Nun ja, inzwischen führe ich Strichliste. Errechne mir den Wahrheitsgehalt aus meiner Weltbetrachtung heraus. Ist ja schließlich ebenso nicht feststellbar, ob die Realität erst durch uns zu dem wird, was wir uns von ihr versprechen.

Vogelperspektivisch gesehen, kann ich auf Alles scheißen.