Donnerstag, 31. Oktober 2013

Zwischen meinen Hirnbalken ein Knarren und Knirschen. Ich lese Sätze und verliere Worte. Verliere Sinn und Verstand. Immer auch ein wenig des eigenen Verstandes. Bleibt auf der Strecke, bleibt liegen, bleibt stehen, bleibt mit irgendetwas von mir erhoben an irgendeinem Streckenabschnitt und bleibt dort wirklich so. Und den einen oder anderen, der auf der Suche ist, den schicke ich dann, schicke ihn auf meine Lebensstreckenabschnittswege, schicke den einen oder auch den anderen dorthin, wo ich etwas von mir auf der Strecke verloren gegangen glaube. Und dann staune ich, wie das von mir Verlorengeglaubte mit dem einen oder auch dem anderen steht, manchmal sogar, als wollten sie die Arme umeinander legen, wie sie dort stehen, dort, an Ort und Stelle wo sie sind, wo der eine oder der andere das von mir Verlorengegangene gefunden hat, dort auf diesem Streckenabschnittsposten, dort stehen sie, beinah Arm in Arm, und ich sage mir, wer so steht, muss auch warten können.

Muss warten können.

Zum Beispiel darauf, wie ich werde sein können, nachdem die Abrissbirnen meine Hirnbalken abgeräumt haben werden. Wie ich werde sein können, nachdem Verluststrecken wieder aufgenommen worden sind, Verlustverschüttetes wieder aufzurütteln, also wieder anzureimen. Oder auch anzudichten. Mit einer Heißlustpistole vielleicht, Heißluftpistole. Heilluftpistole.

Von Unterarmsommern habe ich gesprochen, von Wüsten- und Kalklandschaften. Ich reime mir alles, reime und dehne, sodass es mir in meine Wortschatzkiste passt. Wortschatzkisten mit Verschluss- und Verriegelmöglichkeiten. Einweggläser. Gläser für nur einen Weg aber auch Wegwerfgläser. Man weiß nie, wie dieses weg und weg oder Weg und Weg zu lesen zu verstehen ist. Einwegdinge. Dinge, die nach nur einem Weg weg zu legen sind. Abseitsstellung. Und das schon aus der Etikettierpistole. Kettentierpistole. An die Ketten gelegte Tiertötungsmaschinen. Langlebvernichtungsanlage.

Die Hirnbalken dehnen und biegen sich. Manchmal leide ich unter den Gewichten. Bin kaum fähig in die Kopfhöhe zu stemmen, was zu stemmen ist. Mit aller Kraft, die für mich immer auch Gewalt ist, anstemmen. Gegen sich selbst.

Gedankenreederei. Einer legt ab, der andere legt an. Man setzt über. Kreuz- und Queerfahrten, Linienverkehr. Fracht- und Hafenanstalt. Meinen Kopf aus Trübem fischen.

Drüben war und ist und wird immer die andere Seite sein.

Wortschatzkisten. Im Keller habe ich begonnen, die Ausdehnung aller möglichen Inhalte zu berechnen. Im Keller habe ich gestapelt, sortiert, ausgedehnt, eingenommen, einwegfest gemacht, poliert und verstellt. Habe mir alle Zugänge verstellt. Nun knirscht und knackt es zwischen den Hirnbalken.

Dienstag, 29. Oktober 2013

Wenn ich jeden Tag ein wenig schreibe, wie viele Tage werde ich schreiben, um vieles geschrieben zu haben. Oder um Vieles geschrieben haben zu werden? Ich schreibe nicht jeden Tag. Ich denke darüber nach, ich lege Ideen linker Gehirnhälfte und auch rechter Gehirnhälfte ab, einige Ideen rutschen mir unbeachtet den Nacken hinunter, rutschen Wirbel für Wirbel, und ich frage mich noch, was mir im Nacken sitzt, rutschen hinab und sinken über mein Steißbein zu Boden. Auf manche trete ich mit den Füßen. Ungeachtet. Ich schreibe jeden Tag. Ein wenig mehr oder ein wenig weniger.

Ich schreibe und spreche mich selbst in der zweiten Person an. Weil ich, während ich schreibe auch eine zweite Person bin. Mein eigener Adressat, die immer widerstehende Figur, der Gegenpart alles Gesagt und Gedachten. Ich bin du. Oder ich bilde mir ein Du, eines, das dort steht, um das sich schreiben, um dass sich Gedanken machen lässt. Jeder Gedanke wird Gegenständlich, weil alles Bezeichnende ja etwas hat, was es Bezeichnet. Also gucke ich hin und male mir mit diesem Du eine schreibende Gegenposition. Oder eine ge- oder beschriebene Gegenposition.

Ich schreibe keine Geschichten. Ich schreibe keine Geschichten! Ich schreibe keine Geschichten?

Nicht jeder achtet auf Satzzeichen. Dabei bezeichnen sie etwas, bezeichnen Lücken und Gesten, bezeichnen Höhen und Tiefen, Zerwürfnisse und Zusammenkünfte.

Ich schreibe und schaue mir dabei DICH an. Dich Leser. Dich Schreiber. Dich Sucher und Finder. Das Du ist immer eine andere Ecke, eine Mehrzahl von Ich. Mein Ich ist ganz viel von dem, was dieses DU sieht und wahrnimmt, was dieses Du aus meinem Ich macht. Du ist Ich. In bestimmter Hinsicht. In bestimmtem Hinsehen. Das Ich möchte manchmal ein wenig mehr wie Du sein oder das Du ein wenig mehr wie Ich.

Kein Wunder, dass mancher manchmal die Grenze übertritt. Oder die Grenze viel mehr oder viel weniger schwindet.
Manchmal wünscht man sich, obwohl man es gar nicht muss, man wünscht sich, nicht in dieser Haut zu stecken. Ob nun in der eigenen oder der eines anderen. Also Ich und Du. Und dann sieht man, wie sehr das Ich dazu veranlagt ist, sich in ein Du zu denken, zu fühlen. So sehr, dass das Ich manchmal glückfroh ist, nicht in dieser DuHaut stecken zu müssen.

Ich schreibe ein wenig weniger. Heute.

Donnerstag, 24. Oktober 2013

Seit Tagen die immer gleichen Töne, dass sich selbst wiederholende oder widerrufende Klingen irgendwelcher Zirpgestalten. Ich nenne sie Zirpgestalten, weil sie mit den Augen nirgends auszumachen sind. Nur hören, immer wieder hören. Hören, hören, hören. Wie der Klang einen foltert, also mich malträtiert, martert, mordet. Wie der Klang sich mir wie ein Folterkleid umlegt, denn du hörst ja nichts. Wie er sich mich einverhäutet, als gelte ich diesen Zirpgestalten ein Klangkörper zu sein. Ich höre, höre, höre, höre, höre, höre, wo ich stattdessen auch schlafen, essen, trinken, sprechen, lachen, gehen sollte. Ich höre! Sonst nichts weiter. Und du sagst, da sei nichts, sagst mir, ich solle dir doch zeigen, sagst mir, ich selbst sähe doch nichts, ich bilde mir nur ein. Du sagst und ich höre. Höre dich und sehe die Zirpgestalten nicht.

Mein Nasenbein, weder die Paukenhöhle, noch der Steigbügel, nicht Hammer und Amboss, nichts in meinem Ohr schmerzt. Nur mein Nasenbein. Links und rechts, die von den Augen abfallenden Flanken. Als breite sich der Schmerz in Flügeln, in der Spannbreite meiner Wangenknochen aus. Und über den Tag zieht der Schmerz, zieht wie ein flauer Vogelschwarm von meinen Nasenbeinrändern zur oberen Zahnreihe. Und das alles wegen der Zirpgestalten. Unaufhörlich. Im Sinne dieses Wortes … un auf hörlich. Ich höre. Höre. Höre. Höre. Zu Zeiten, zu denen ich auch schlafen sollte.

Du sagst, ich hätte schlecht geträumt, aber ich sage, ich höre nur noch, auch dort, wo ich vielleicht träumen sollte. Du siehst die Nacht nicht, weil du ja die Augen im Schlaf geschlossen hältst. Du siehst und hörst nichts, und ich suche die Zirpgestalten. Wühle zwischen Tüchern und Kleidern, suche unter Tellern und Tassen, räume die Besteckkiste aus, räume sie wieder ein, ich habe die Zeitungen und Bücher durchblättert. Alle. Und jede Seite. Ich reiße die Tapete an den Ecken ein, ich suche darunter die Zirpgestalten, ich reiße, wenn du nicht hier bist, die Dielen vom Boden. Ich sehe nichts. Ich höre. Höre, HÖre, HÖRe, HÖRE während ich reiße und schiebe, wühle und kratze. Während ich alles andere bin und tue und sein sollte und tun sollte.

Ich suche und finde ein wenig Wüstensand zwischen den Matratzen. An den aus Afghanistan habe ich lange nicht gedacht. Nicht an seine im-Blut-saug-wie-im-Pool-schwimm-Mücke. Ich dachte nicht an ihn, aber hier ist Wüstensand. Zirpgestalt. Zirp. Zirp. ZIRp. ZIRP! Es ist in meinen Ohren, und die Mücken. Ihre schmalen Leiber, ihre Wüstenflügel, ihr Sand-und-Blutsaug-Rüssel. Ihre ganze Wüstengestalt. Ich fege zwischen den Matratzen. Fege Sand aus alten, längst vergessenen Tagen. Der aus Afghanistan hat eine Tochter bekommen. Hat erst eine neue Frau gefunden, diese dann geheiratet, sicher ist sicher, denke ich, und jetzt, kürzlich erst, bekam diese seine Tochter. Verhalf ihr zur Welt zu kommen. In diesen Wüstensand, denke ich. Die Mücke saugt, und dann badet sie im Fremdkörperblut. In Soldaten- und Afghanenblut.

Zirpgestalt. Ich finde dich! Du sagst, ich renne Wände ein, du sagst, ich solle mal zur Ruhe und vor allem, zu mir selbst kommen. Ja wohin denn, brülle ich, weil ich über die immer gleichen Töne hinweg, zu dir hin brüllen muss. Dass du mich hörst! Ich solle nicht brüllen, schreist du, und ich sehe ja, dass du schreist, deswegen brülle ich ja. Dass du mich hören kannst. Ich höre dich nicht! Die Zirpgestalten.

Donnerstag, 17. Oktober 2013

Ein wenig habe ich mir, mich, meiner, dir, dich abgewöhnt. Habe mich auch meiner dir entzogen, wie man einen Splitter Holz oder auch Metall, der unbeabsichtigt aber schmerzlich unter die Haut gedrungen war, wie man diesen Splitter eben entzieht. Mit Fingerspitzengefühl, ein wenig mit der Nadel Vorarbeit leistend, ein wenig zudrückend und dann entschieden gezogen. Und des Fremdkörpers entwöhnt.

Ich fühle mich dir zugewandt. Wende mich ab und mache erste Schritte, Abwandtschritte. Abwandschritte. Ablassschritte. Erst nur einen, dann legt sich der zweite gleich hintan, der dritte Schritt ist nicht zu kontrollieren, ohne ihn gelänge nicht der vierte. Schritte. Schritttempo. Schrittlänge. Schritthalten. Schrittfolge. Eines flogt dem anderen. Aneinanderreihung. Unaufhaltsame Verselbstständigung. Perpetuum m.

P.m. Mobilmachung. Personalisierte Mobilmachung. Marginalisierte Profilmachung. Randgedränge. Ausschließmodus. Ausschlussmodi.

A.m. Am Morgen ist die Folge des Gestrigen. Ohne heute kein morgen. Ohne morgen kein gestern. Und jetzt? Ohne jetzt kein später? Zeitschritte. Zeitfolge. Der Zeit Folge leisten. Ihr nachrennen, hinterherhetzen, vorauseilen, durchdauern. Die Zeit durchweilen. Ein wenig sich entweilen.

Ein wenig wurde ich überdrüssig. Der Zeit, diesem Zeiger unter der Haut. Und wie der Finger Zeiger wird. Zeiger auf andere. Vielleicht auch dorthin. Ich gewöhne mich meiner mir ab. Meinem Fingerzeig hinterher und voraus, wohin er auch reicht, ich reihe mich darüber hinaus. Und weiter. Und währenddessen lege ich dich mir unter den Arm. Unbemerkt. Heimlich sind die Gesten, die ungesehen bleiben. Ich verstecke mich hinter meiner Heimlichkeit. Und dich lege ich mir unter die Haut, diesen Fremdkörper nicht missen zu müssen, diesem Fremdkörper Zeit gebend, zum Selbstkörper zu werden. Nicht Fleisch und Blut. Unter den Armen blute ich nur, wenn ich unachtsam, also unbedacht, vielleicht in eiliger Aufregung mit dem Rasierer abgerutscht bin. Dann wird dort Blutgegend. Unschön! Unaufhaltsame Verselbstständigung der eigenen Körperregion.

Ich lege mich deiner dir ab. Abgelegt, zu den Akten gelegt. Nicht durch den Reißwolf gerissen. Nicht gefetzt und zerschlissen. Nur ruhiggestellt.

Dienstag, 15. Oktober 2013


Unter deinen Armen grast Sommer. Mit deinen Sägeblattlippen hast du ihn eingeladen, ihn erbeten, ihn bewirtet, ihn dir unter den Arm, so ein wenig auch an das Herz gelegt. Dieses Herz, das ich immer suche, wenn ich dir ins Gesicht schaue, und das ich nicht finde, und zu dem ich sage: ich weiß, dass du andernorts heftiger schlägst. Unter deinen Armen hat sich dir der Sommer ins Fleisch gefressen. Wer meint, Graser fräßen kein Fleisch, der irrt sich. Ich habe es gesehen.

Du sagst, ich sei süß aber mehr auch nicht, ein wenig nur klug, ein Zuckererbsenhirn. Und ich sehe dir zu, wie du mir den Schädel entpellst, wie du die grüne Schale entkernst und mein Süßhirn raspelst. Ich sehe dir zu, wie ich immer nur zusehe während du schon mit anderen beschäftigt bist. Mit anderen Händen, mit anderen Mündern, mit anderen Hirnrinden. Ich sehe dir beim Zersetzen deiner Graslandschaft zu.

Du sagst, ich sei aus der Zeit gefallen. Und das nur, weil ich wenig anders, ein wenig auch schön bin. Du sagst das, um dich selbst in Ruhe zu wiegen. Denn du weißt nicht, was es ist, dass du an mir liegst. Oder dass dir etwas an mir liegt. Ich schaue und sehe den Sommer unter deinen Armen. Sehe ihn pelzig und wölfisch werden. Der Sommer ist selten ein schöner Gast.

Wir denken einander in unterschiedlichen Farben. Und oft beißen wir uns. Dir fällt das kaum auf, weil du ja mit anderen beschäftigt bist, während du mir nicht aus dem Kopf gehst, und ich mich frage, ob du durch all deine Möglichkeiten meine Kleinhirnerbse spürst.

Ich hätte mich gern so ein klein wenig unter deine Arme gelegt. So ein ungenaues Stück an dein Herz, das andernorts eindeutig heftiger schlägt. Aber dem Sommer kam ich nicht gleich, ich fürchtete sein Grasen, ich fürchtete sein sich dir ins Fleisch fressen. Ich fürchtete das stickige Grasland deiner Unterarmgegenden. Ich fürchtete, mein Zuckererbsenhirn von deinen Fleischwolfzähnen zermalmt zu sehen.

Und jetzt sehe ich dich immer noch mit dem Sommer unter den Armen. Ich habe mich aus deiner Zeit gestellt. Ich höre deinen Herzschlag immer eine Sekunde verspätet. Es rührt mich dann weniger, weil ich über die vergangene Zeit nicht länger nachdenke. Ihr nicht nachempfinde, nicht hinterher, nicht voraus, nicht nebenbei. Ich grase unter meinen Sommern.

Samstag, 12. Oktober 2013


Ich habe mir Mücken eingefangen. Fünf mit einem Streich, für jeden Finger eine Mücke. Ein Wink mit der Fünffingerhand. Ich habe Mutter die Mücken vom Kopf gefangen. Mutter sagt immer, ich fräße ihr die Haare vom Kopf, was natürlich nicht stimmt. Wer isst Haare? Aber jetzt könnte Mutter sagen, ich finge ihr die Mücken vom Mund. Denn es waren wirklich fünf Mücken, die um Mutters Mund, nein, vielmehr vor Mutters Mund umherflogen. Wobei ich nicht weiß, ob das Tingeln der Mücken mit dem Wort Fliegen zu bezeichnen ist. Also dieses Tingeln treffend bezeichnet. Weil Fliegen ja auch etwas Andächtiges, Heroisches, etwas ganz eigen Beeindruckendes hat. Ehrfurcht vor Mücken? Das kann ich mir an meinen fünf Fingern abzählen. Nein. Null Ehrfurcht. An keinem Finger ein Krümel.

Mutter ist schweigsam geworden, seitdem ich ihr die fünf Mücken vom Mund weggefangen habe. Vielleicht trugen diese Mücken ihre Worte von ihren schmalen Lippen, vielleicht waren es diese Tingeltierchen, die sie sprechen ließen. Sprechen von der Zeit ohne mich, sprechen von der Zeit mit mir, sprechen von dem, was sie erwarten wird. Mutter glaubt an den Weltuntergang. Jeden Tag begrüßt sie die Welt mit ihren sooft schon wiederholten Lebewohlworten. Als wären die Mücken vor ihrem Mund Eintagsfliegen, sie jeden Tag neu zu begrüßen, zu verabschieden, überhaupt etwas zu sagen. Wenn man nur noch einen Tag zu leben wüsste, was würde man noch alles sagen wollen? Oft fragt man so, was man noch alles tun würde wollen, aber was alles noch sagen? Weil man ja weiß, danach bleibt keine Chance mehr etwas ungesagt zu machen, etwas nachträglich noch auszusprechen. Was sagen?

Ich habe meine Fünffingermückenhand an Mutters Mund gelegt. Aber es rührt sich nichts, sie lässt meine Hand liegen, als läge ihr trocken gewordener Glanz auf den Lippen. Glanzlos. Mutters Nicht-Geste und meine Fünffingermückenhand. Ein wenig ekelt mich davor. Fünf an einer Hand, jede auf einem Finger. Wenn eine jede jetzt zustechen und ein wenig von mir aufsaugen würde. Wenn jetzt die Welt für immer unterginge. Und Mutter bliebe so unsagbar in meine Hand mit ihrem Mund, ihrem Lebewohlworte-Mund.

Ich habe mir diese Mücken von Mutter eingefangen. Und nun bekomme ich sie nicht mehr los. Mutter nicht und auch die Mücken nicht. Ich schaue und suche nach Eintagsgläsern.