Freitag, 30. Dezember 2016

6 aus 49


Strickst sieben mal sieben deine Laken. Eine Unsicherheit reihst du an die andere, reihst sie auf und aneinander bis sieben mal sieben die Fläche ergibt.  Wir sitzen auf deinen Teppichen als wollten wir fliegen. Sieben mal sieben Meilen weit, ohne Stiefel oder andere Zaubertricks. Weg von dem, was wir einander ausmachen, weg von dem, was ich dir anvertrauen möchte, weg von dem Muthaufen, den ich seit Tagen durch das Sieb werfe und anhäufe.

Ich möchte mich, meiner, mir offenbaren. Und wenn ich DU sage, meine ich ICH.

Ich stricke sieben mal sieben meine Laken. Eine Unsicherheit reihe ich an die andere, ich reihe sie auf bis sieben mal sieben die Fläche ergibt. Meine Angstteppiche, auf denen ich sitze als wollte ich fliegen. Manchmal aus dieser Welt hinaus.

Weil meine Ober- und Innenflächen zu klein scheinen, alles aus dieser Welt aufnehmen zu können. Ich höre, ich rieche, ich schmecke, ich sehe, ich taste, ich empfinde, ich vergleiche, ich sortiere, ich bewege, ich gehe, ich erwarte, ich prüfe, ich ordne, ich strukturiere, ich höre und sehe, und sehe, das dass, was ich höre nicht zu dem, was ich sehe passt, ich rieche und schmecke und vergleiche und verstehe, dass diese beiden Empfindungen nicht zueinander gehören, ich sehe, ich taste, ich fühle, ich höre, ich …

schließe die Augen, suche Abstand zwischen meinem Körper und dem, was ihn umgibt zu finden. Suche Abstand. Halte Rückzug. Sehe das Dunkel unter den Lidern und höre und rieche, und höre höre höre ohne zu sehen, was ich höre. Also male ich Bilder. Sehe mit geschlossenen Augen alle Möglichkeiten, die mein Gedächtnis diesem Gehörten zuzuordnen weiß. Nebenher rieche ich, suche nach Antworten, sage etwas in den Raum, von dem niemand weiß, wem es gilt, sage zweierlei Sätze, die nicht zueinander passen, weil sie an zweierlei Gesprächsfetzen, die ich gehört habe, geknüpft sind.

Ich öffne die Augen. Sehe Verwirrung. Ich sortiere die Sätze den jeweiligen Gesprächsorten zu. Ich sehe und höre, bin bemüht, das Tempo, in dem mein Gehirn Verbindungen knüpft und Impulse sendet zu drosseln.

Suche Abstand zu dem und zu denen, was oder die mich umgeben. Suche eine langsamere Fahrrinne. Suche die schmale Spur zur Anpassung.

Zeitweise Auszeit.

Bewege mich im Sicherheitsabstand.

Sieben mal sieben sind 49. 

6 aus 49. Die Lottozahlen.

Guten Abend und herzlich willkommen bei der Ichschau.

Ich schaue in sieben mal sieben Spiegel. Ein Spiegel wirft das Bild dem nächsten zu. Ich spiegele mich sieben mal sieben hinaus in die Unendlichkeit. Ich suche mich zu begreifen, schaue mich an, sage: DU

Du auf deinen Angstteppichen. Du mit diesem Flaumhaarkörper. Du Ichgestalt in einem der Universen. Du gleichzeitig Ungleichzeitige.

Donnerstag, 11. Februar 2016

Hirnhaut sei keine Rinde, sagt sie und die andere schüttelt die Schultern, kreist den Kopf und zieht dann die Schulterblätter Richtung Gesäß, als wären sie beim Sport. Ständen da Blumen anstelle der Feuchtpräparate fände eine von beiden das lustig,  stattdessen meint sie aber: Hirnhäute, Mehrzahl! Die eine schaut weg während die andere ein Foto von sich und dem Präparat macht. Haute, haut, gehäutet, trällert sie und säbelt mit ringbesetzten Fingern der anderen den Skalp ab.

Die eine lernte die andere bei einem Spaziergang mit Torsten kennen. Sie hatten zuvor nichts miteinander zu tun, doch dann war da Torsten, der die eine mit der anderen verband. Seither teilen sie manchmal das Bett miteinander. Hin und wieder auch Torsten. Dass das niemand in den falschen Hals bekommt, was auch immer das wieder heißen mag, dass auch niemand das missversteht, das Bett miteinander teilen, ist nicht gleichbedeutend mit geschlechtlichem Verkehr. Mit Torsten geht manchmal die andere, dann wieder die eine spazieren. Torsten ist 17 Jahre alt. Ein alter Riesenschnauzer mit struppigem Bart und beinah zahnlosem Maul.

Das mit dem Bett ist eine andere Geschichte.

Die andere studiert Medizin und kennt, was Hirnhäute von Rinde unterscheidet, deswegen schaut sie lange hin und betrachtet die gesäbelten Hirnscheiben als wären es Wunder. Vielleicht sind sie das ja auch. Die eine mag nicht immer, was die andere macht, dennoch mag sie sie und versteht die Dinge, die sie nicht sonderlich mag. Sie studiert nicht Medizin und kann die eingelegten Leichenteile nicht länger ertragen.

Einmal war die eine von einem Spaziergang ohne Torsten zurückgekehrt. Sie hatte vergessen, dass der Hund bei ihr war und verließ ohne ihn das Restaurant, in dem sie zu Mittag aß. Erst als die andere vor ihr stand und durch sie hindurch zu schauen schien, fiel ihr Torsten wieder ein. Die andere schlug der einen ins Gesicht. Danach teilten sie sich Torsten für eine lange Zeit nicht mehr. Das Bett musste hin und wieder geteilt werden, weil die eine sonst keinen Schlaf gefunden hätte.

Gesehen werden möchte sie so nicht, denkt die eine. So von innen her, so aufgeschnitten, gescheibt, eingelegt. Sie denkt an die übervollen Kellerregale ihrer Großmutter. Eingelegte Birnen, Äpfel, Pfirsiche, Gurken und dieser feuchte Geruch. Die eine guckt wie die andere die missgestalteten Totgeburten betrachtet. Weshalb geht man an einem sonnigen Sonntag in das medizinhistorische Museum? Sie liest kurz das Schild unter dem Gefäß. Geburts- und Sterbetag sind notiert. Die Schrift der Großmutter auf den Gläsern konnte sie nicht entziffern. Alte, zittrige Krakel. Es hätten auch Nazikreuze sein können. Sie schraubte auf, roch, kostete und schraubte wieder zu.

Die andere macht noch immer Fotos. Irgendwann wird sie genug haben, um sich zuhause anhand ihres Bildmaterials einen vollständigen menschlichen Körper basteln zu können. Mit und ohne Krankheiten. Zuletzt fotografiert sie das Gesicht der einen. Dieses schöne Gesicht, denkt die andere, dieses wunderschöne Gesicht, was bloß dahinter stecken mag?

Die eine nimmt die Andere bei der Hand, als wäre diese ein Kind. So verlassen sie den Raum mit den Regalen voller eingelegter Menschenteile. Vor einem Spiegel bleiben sie stehen und bemerken sich in den Spiegeln, die dem Spiegel gegenüber angebracht sind. Die eine guckt zur anderen, die andere guckt zur einen. Mehrzahl, hundertfach, unendlich. Als befänden sie sich in einem Raum mit Regalen, auf denen nur die eine und die andere ausgestellt sind.