Mittwoch, 14. Juni 2017



Alles, was mich bewegt oder unbewegt lässt, sucht sich Platz. Sucht und kratzt. Sucht innen und außen, klopft und tropft, dringt hindurch.  Und ich muss gar nichts tun, denke ich. Also tue ich nichts. Bin bewegt und irgendwie auch unbewegt, bin da und atme - vor dem Abschied die Luft. 

Es sind kleine Gesten, leise Worte, scheinbar unbeachtetes Handeln. Nur dass ich sie sehe, höre, beachte. Den Reizrahmen habe ich mir zurechtgelegt. Ausgelotet, abgesteckt, koordiniert.  Und ich beginne mich zu fragen, ob die, die wüssten, dass ich keines ihrer Worte vergesse (wenn ich es nicht unbedingt wollte), wenn diese das wüssten, ob sie alle diese Worte, die sie sagten, wirklich gesagt hätten und wieder sagen würden. 

Die Tage sind gezählt.

Es werden mir fehlen ... So viele Dinge werden mir fehlen. Und womöglich ist das wenig professionell. Aber es ist die Wahrheit. Das bin ich als Mensch an Ort und Stelle. Ich werde anderen Menschen begegnen, anderen Gesten und Worten, die ich unbedingt vergessen werde wollen und doch nicht vergesse. Dennoch bleibt all das, was mir begegnete, bleibt alles, was ich sah, hörte, roch, glaubte, hoffte, bezweifelte, all das und mehr bleibt und ist in meinem Kopf, in meiner Haut, in meinem Bauch. Wird zu einem Teil von mir.

So vieles in mir ist belebt worden. Vieles, was lag und irgendwie noch am Leben war, atmete. Mehr nicht. Und ich bleibe und atme vom Abschied ein wenig Luft.

Dienstag, 6. Juni 2017



Ich sitze am Fenster und die Füße baumeln im Regen. Dritter Stock. Wenn man wollte, könnte man mich springen glauben. Aber ich springe nicht. Bin bisher immer nur weit und hoch aber niemals hinab oder irgendwo hinaus gesprungen.

Weitsprung, Hochsprung, Landesmeisterschaften. Lauf! Spring! Und ich träume immer wieder, dass mir die Schuhe fehlen. Die richtigen Schuhe, die zum Laufen und Springen, diese mit den Spikes in der Sohle. Siegerschuhe eben. Die kauft man nicht in Polen oder in der Tschechoslowakei. Die gab es noch, als ich diese Schuhe brauchte. Also nicht die aus Polen oder der Tschechoslowakei. Aber die Tschechoslowakei gab es noch. Und vielleicht deswegen träume ich noch heute von diesen Schuhen, die ich nie hatte, und von diesem Metallschrank, in dem solche Schuhe waren. Aber nicht meine. Irgendwelche. Fremde. Lauf! Spring! Und das in diesen Schuhen, die keine Siegerschuhe waren.

Die Füße baumeln im Regen und ich ertappe mich dabei, wie ich denke und nicht esse. Das Essen des Denkens wegen vergessen. Und auch keine Lust empfinden. Lust auf Essen. Für irgendetwas in mir wird es gut sein. Das Denken. Irgendein Teil in mir ernährt sich davon, wächst und gedeiht. Oder eben nicht. Das Denken geht ohne Anstrengung. Essen muss gemacht werden. Ich habe keine Lust. Keine Lust den Kühlschrank zu öffnen. Keine Lust Salat zu schneiden. Keine Lust vom Teller Dinge mit der Gabel zu nehmen und zum Mund zu führen. Keine Kau- und Schlucklust.

Die Füße im Regen.

Ich denke an Handlungen, an Fähigkeiten, an Räume und Nichträume und die, die diese beschreiben. Wer beschreibt mir meine Räume? Handlungsräume, Freiräume, Bewegungsräume. Räume, an deren Wände ich stoße, gedanklich anecke oder mich gezwungen meine, die Glaubensrichtung zu ändern. Zwangsräume, Rangzäune.

Und dann. Diese Landesmeisterschaften. Lauf! Spring! Zieh durch! Siegerin auch ohne diese Schuhe mit den Spikes. Siegerin, Beste, Schnellste, Weiteste … Macht doch nichts! Wenn keiner mehr applaudiert. Macht doch nichts, dass niemand etwas anderes erwartet hat! 

Mein Denken bestätigt meine Regeln. Landesdenkmeisterschaften.

Die Zurückhaltetechnik in allen Belangen. Dann kommst du niemanden zuvor. Dann nimmst du niemanden den Raum. Dann ist es nicht klar, dass es immer schon klar war. Nicht anders erwartet!

Mensch. Auch einmal unerwartet sein. In der Leistung.

Die Füße baumeln im Regen aus dem Fenster.


Und doch ist die Denkleistung erbracht. Liegt der Schirm tropfnass in der Badewanne, aktualisiert sich das Inhaltsverzeichnis automatisch und stetig. Bei jedem neu dazu gefügten Wort, jeder Silbe, jedem Buchstaben. Bei jeder Denkverweigerung knurrt mir der Magen.