Sonntag, 9. Januar 2022

Zwischen Hirnbalken


Zwischen meinen Hirnbalken ein Knarren und Knirschen. Ich lese Sätze und verliere Worte. Verliere Sinn und Verstand. Immer auch ein wenig des eigenen Verstandes. Bleibt auf der Strecke, bleibt liegen, bleibt stehen, bleibt mit irgendetwas von mir erhoben an irgendeinem Streckenabschnitt und bleibt dort wirklich so. Und den einen oder anderen, der auf der Suche ist, den schicke ich dann, schicke ihn auf meine Lebensstreckenabschnittswege, schicke den einen oder auch den anderen dorthin, wo ich etwas von mir auf der Strecke verloren gegangen glaube. Und dann staune ich, wie das von mir Verlorengeglaubte mit dem einen oder auch dem anderen steht, manchmal sogar, als wollten sie die Arme umeinander legen, wie sie dort stehen, dort, an Ort und Stelle wo sie sind, wo der eine oder der andere das von mir Verlorengegangene gefunden hat, dort auf diesem Streckenabschnittsposten, dort stehen sie, beinah Arm in Arm, und ich sage mir, wer so steht, muss auch warten können.
Muss warten können.

Zum Beispiel darauf, wie ich werde sein können, nachdem die Abrissbirnen meine Hirnbalken abgeräumt haben werden. Wie ich werde sein können, nachdem Verluststrecken wieder aufgenommen worden sind, Verlustverschüttetes wieder aufzurütteln, also wieder anzureimen. Oder auch anzudichten. Mit einer Heißlustpistole vielleicht, Heißluftpistole. Heilluftpistole.

Von Unterarmsommern habe ich gesprochen, von Wüsten- und Kalklandschaften. Ich reime mir alles, reime und dehne, sodass es mir in meine Wortschatzkiste passt. Wortschatzkisten mit Verschluss- und Verriegelmöglichkeiten. Einweggläser. Gläser für nur einen Weg aber auch Wegwerfgläser. Man weiß nie, wie dieses weg und weg oder Weg und Weg zu lesen zu verstehen ist. Einwegdinge. Dinge, die nach nur einem Weg weg zu legen sind. Abseitsstellung. Und das schon aus der Etikettierpistole. Kettentierpistole. An die Ketten gelegte Tiertötungsmaschinen. Langlebvernichtungsanlage.

Die Hirnbalken dehnen und biegen sich. Manchmal leide ich unter den Gewichten. Bin kaum fähig in die Kopfhöhe zu stemmen, was zu stemmen ist. Mit aller Kraft, die für mich immer auch Gewalt ist, anstemmen. Gegen sich selbst.

Gedankenreederei. Einer legt ab, der andere legt an. Man setzt über. Kreuz- und Queerfahrten, Linienverkehr. Fracht- und Hafenanstalt. Meinen Kopf aus Trübem fischen.

Drüben war und ist und wird immer die andere Seite sein.

Wortschatzkisten. Im Keller habe ich begonnen, die Ausdehnung aller möglichen Inhalte zu berechnen. Im Keller habe ich gestapelt, sortiert, ausgedehnt, eingenommen, einwegfest gemacht, poliert und verstellt. Habe mir alle Zugänge verstellt. Nun knirscht und knackt es zwischen den Hirnbalken.


(alter Text .... wer weiß von wann? ;)

Donnerstag, 4. November 2021

Wetterwechsel

 Ein wenig fühle ich mich in alle Gegenden zerstreut. Mein Kopf denkt ostwärts, obwohl vom Süden die Winde wehen, die mich frösteln lassen, sodass ich die Arme um meinen gebeugten Körper lege. Das Herz höre ich schlagen als schlüge es im Norden Feuerholz, der windigen Kälte beizukommen. Ich schaue auf Schilder, die in alle Richtungen weisen und ich weiß nicht, ob diese Richtungen für mich zukunftweisend sind.
Ab November bin ich weg. Das stimmt, das habe ich gesagt. Ich habe das gesagt und dir die Hand in die Hand gedrückt. Ich habe gedrückt und meine Augen unter Kontrolle gehalten, meine Worte bestimmt und knapp gewählt, ich habe geatmet und still gestanden. Während deine Augen keine Ruhe fanden, deine Worte brüchig waren, deine Atmung kurz und wiederholt aussetzte, habe ich still vor dir gestanden. Ich weiß nicht, wie viel Zeit in dieser Ewigkeit vergangen ist. Hinter mir legte ich leise die Tür ins Schloss. Ich ließ dich stehen, durch das Glas deiner großen Fenster wusste ich dich in die Leere schauen, die entstand, als ich aus deinem Raum hinaus trat. Ich sah dich und ging weiter, weil die Gegenden mich trieben, mich immer noch treiben. Ich sah deine Winde, deine Regenschauer, deine glühenden Sommer. Ich sah dich in deinen Unwettern untergehen.
Dass ich anderen Wettern nicht begegnen werde, wenn ich immer nur um dich kreise, sagte ich dir nicht. Ich sagte nicht, dass ich zweifele und den Winden, die mich treiben nicht unbedingt vertraue. Aber dass ich an Ort und Stelle nicht länger sein möchte, das sagte ich dir.
Tag um Tag entferne ich mich, sodass Anfang November in deiner Nähe nichts mehr von mir übrig sein wird.

 

2019

Aushalten

Seit Tagen halte ich aus. Oder Wochen? Jahre? Ich halte Ausschau nach den alten Kleidern meiner Mutter, ich halte die Hand meiner ungeborenen Schwester, ich halte das Kind aus dem Nachbarhaus aus, ich halte die Haustür im Rahmen einen spaltweit offen, dass mein gehirnzersetzter Vater den Weg zurück und an den Tisch findet. Der Geruch gebratenen Fleisches hilft manchmal.


Mutter war den Menschen, die kamen und gingen, als Drogen-Petra vertraut. Es gibt keinen Knochen, sagte sie, den sie sich nicht gebrochen habe. Meine Mutter war keine schöne Frau und vielleicht deswegen hat Vaters Gehirn mit der Zersetzung angefangen. Weil die Drogen-Petra nicht schön, weil jeder Knochen in ihr gebrochen war und weil sie jetzt nicht mehr da ist.

 
Eines Tages, ich hielt Türen und Tore offen, sagte Mutter, sie gehe und komme nicht wieder. Ich hielt den Mund, ich hielt meine Brust, die von innen her schmerzte, ich hielt die Enge meiner Lunge aus. Nur kurz legte ich mich auf den Boden, die Beine in die Höhe zu recken, wieder zu Kraft und zu Atem zu kommen, mich nicht übergeben zu müssen. So lag ich auf dem Boden zwischen den Türen, lag in der kalten, schweißigen Haut einer Frau, die ich unmöglich sein wollte. Mutter stieg über mich hinweg, Vater schaute durch das von Fassadengrau müde gewordene Fenster. Die Küche blieb kalt.


Vater wird von der Polizei zur Wohnungstür gebracht. Sie klopfen, auch wenn die Tür immer einen spaltweit offen steht. Vater, der in Unterhose durch die dunkle Stadt streunt, Vater, der die Klingelbretter der Nachbarhäuser drückt. Manchmal sehe ich, wie nachts die Fenster in den Häusern plötzlich aus der Dunkelheit hochschrecken. Ich sehe das und weiß, sie erschrecken vor meinem Vater. Vater, der mich nachts an den Haaren reißt und seine Drogen-Petra sucht. Vater, der gern einfach mal zuschlagen würde.


Die Haut, in der ich unmöglich habe groß werden können, ist grau. Ich habe aufgehört in spiegelnde Flächen zu schauen. Ich halte diese Haut aus, wie man zerschlissene Kleidung aushält. Auch weil sie bequem geworden ist, trotz der Risse und Löcher. Ist nicht schlimm, wenn da noch etwas drauf kommt. Macht nichts.


Nachts schlafen die Menschen doch, sagt einer der Polizisten und schiebt meinen unterhosenbekleideten Vater durch die Tür hinüber zu mir. Ich nicke und denke an Mutter, die der Geruch gebratenen Fleisches nicht mehr zurückgeholt hat. Der dunkle Flur drückt mir in den Rücken, Vater schreit und würde gern zuschlagen. Egal wohin oder wen. Ich fühle mich genau wie mein Vater sich verhält. Der Polizist wünscht mir alles Gute. Ja, sage ich, und schließe die Tür.

2019

Samstag, 9. Januar 2021

 

Nur weil ich nicht um Ecken denken kann, heißt das nicht, die Welt sei rund. W. sagt, alles was sich sagen lässt, lässt sich klar sagen. Also behaupte ich, alles was sich denken lässt, lässt sich wenden, winden und wirbeln. Und dennoch bleibt es nur gedacht. So wie ich an W. denke und Worte sage, die nichts als Worte sind und Gedanken waren. Dabei stehe ich vor mir als stände ich neben mir und schreie. Schreie, dass jedes Wort zum Akt wird. Zu einer Tat. Ich schreie Gewaltakte und schreie gegen mich selbst an, wie ich stehe und nicht um Ecken denken aber doch schreien kann. Mit der Welt, wie wir sie kannten, ist es vorbei, schreie ich. Es ist aus und vorbei. Die Welt, wie wir sie ohne Ecken und Kanten immer nur rund und schön redeten, gibt es nicht mehr. Nichts, außer der Welt, gibt es mehr, seufze ich und warte auf deine Reaktion.

W. ist Altweibersache und Gabriel nicht der Engel, für den ihn alle halten. Denkmuster sind Strickmuster und die alten Weiber kennen sich bestens damit aus. Unterschätzt die alten Weiber nicht, schreie ich. Sie wissen mit den Händen mehr anzustellen als manch einer sich denken kann. Altweiberhände sind dem verschlissenen Rollendenken längst voraus. Um Jahrhunderte vielleicht. Ich schaue dich an und weiß, du traust mir nicht. Mir würde ich ebenso wenig vertrauen wie einer morschen Holzbrücke über reißendem Strom.

Wenn eine dir sagte und dann nicht weiterspräche, was würdest du tun? Was würdest du tun, wenn eine sagte, die Welt gibt es nicht und im selben Atemzug seufze, nichts außer der Welt gäbe es? Würdest du schweigen und meinen, die, die da spricht sei frei von Sinnen? Würdest du dich wagen und einen Schritt auf sie zugehen, auf die morsche Holzbrücke über reißendem Strom? Und wenn du wüsstest, dass die, die das sagt, Altweiberhände hat. Was würdest du tun?

Ich habe gesehen, wie ein Wort sich aus dem Wort herausschält und Handlung wird. Eine Tat. Ich habe es gesehen, habe sie stürmen, rennen und schreien gehört. Mit eigenen Augen und den Ohren vieler. Weil immer alle die Ohren aufsperren und dann die Münder dazu und die Augen, die Augen auch. Ich stand und wollte stehen bleiben, kam ins Straucheln, fiel und wurde mitgerissen. Mit offenen Augen trieb ich mit und sah immer mehr Worte sich schälen und häuten und Taten werden. Den Taten werden Schuldige folgen.  Sie werden ihnen hinterher trotten, wie anderen dem Wort, welches Glück bedeutet, nachjagen. Wie die Hunde der Fährte. Ein Jagen und Hetzen. Die Meute sind Leute.

Und jetzt lasse ich den Taten meine Worte folgen.

 

Lektüre, die den Text auslöste

Warum es die Welt nicht gibt (Markus Gabriel)
Tractus logico-philosophicus (L. Wittgenstein.

Freitag, 3. April 2020

Ich weiß nicht wann die Zukunft sich ändern wird


Ein wenig schiebt sich mir die Angst in die Schuhe. An den Fersen scheuert sie wund. Ich sehe den Weg durch die Gänge, vorbei an tausend Betten, vorbei an tausend leeren Betten mit Gestellen und Geräten ausgerüstet. Ich gehe ohne meinen Mund oder meine Worte zu schützen, ich gehe vorüber an dieser hochgerüsteten Bettenarmee und fühle die Angst Nägel in meine Fersen schlagen.
Ich atme ein. Ich atme aus. Ich gestehe dir meinen schweren Gang, die Angst in den Schuhen, ich gestehe dir, dass ich nicht weiß, wann die Zukunft sich ändern wird. Du lachst und schlägst mir auf den Hinterkopf, als wolltest du mir einen fremden Schalk aus dem Nacken schlagen. Ich greife deinen
Arm und werde laut. Du lachst einfach weiter und windest deinen Arm aus meinem Griff. Du warst immer schon stärker als ich. Ich lasse dich lachen und gehe langsam weiter, die aufgerissene Haut an den Fersen spürend. Deine Haare zittern. Jedes einzelne Haar zittert. Die Angst, denke ich, dich hat sie bei den Haaren gefasst und wir gehen weiter, legen auf jedes einzelne Bett einen ultrasteril verpackten Einmalbezug. Einmal und dann nie wieder, denke ich. Einmal zwischen diesen Betten wandeln, einmal diese Luft aus den Maschinen atmen. Und dann nicht mehr.

Ich weiß nicht, wann und ob sich die Zukunft ändern wird.

Hinter oder über uns, ich kann es nicht genau orten, ertönt das Dauerdröhnen der Wachdrohnen, eine automatische Stimme weist uns an, den vorgeschriebenen Abstand zu halten, nicht stehen zu bleiben. Und dann die strengere Zurechtweisung: Keinen Körperkontakt! Gehen sie weiter, erledigen sie die Arbeit zügig! Das Drohnensurren wird dringlich, droht. Deine zitternden Haare streichst du dir gekonnt zwischen Gummi und Ohren, ich sehe deine schmalen Finger, dein Lächeln sehe ich hinter dem Mundschutz nicht. Ich fühle mich ungeschützt und ziehe die Atemmaske über Mund und Nase. Die Drohne begleitet uns noch einige Meter, sie surrt und spricht in kurzen Abständen. Die automatisierten Anweisungen sind keinem Geschlecht zuzuordnen. Überhaupt ist seit den Abstandsregeln die Geschlechterfrage weniger oft gestellt worden. Durch die Halle, zwischen den Gestellen und Betten schallen unsere Schritte wieder. Wir atmen, wir gehen, wir legen ultrasterile Einmalbezüge auf die wieder unbelegten Matratzen. Hinter uns rückt der Kontrolltrupp nach. Sie prüfen die Beatmungsgeräte. Für den nächsten Tag werden tausend Neuankömmlinge erwartet. Alles muss geprüft, gereinigt und vorbereitet sein. Diejenigen, die zuvor in diesen Betten lagen, sind bereits am Vortag verabschiedet worden. 

In meinen Schuhen schlägt die Angst weitere Nägel, von den Fersen arbeitet sie sich zum Mittelfuß vor. Meine Schritte sind langsam, sind schwer, schmerzen. Die Drohne schwirrt irgendwo durch die Halle, ich weiß, sie haben mich im Blick. Dort in ihrem Kontrollraum, auf ihren großen Monitoren sehen sie mich, sehen uns, wie wir gehen, wie wir arbeiten, sahen, dass ich deinen Arm griff, sahen, dass du stärker bist als ich. Vor ihnen sind wir ungeschützt. Auch außerhalb dieser Halle ist ihr Surren zu hören. Sie sehen auf ihren breitaufgestellten Monitoren wie ich esse, wie ich schlafe.

Was ich denke, sehen sie noch nicht. Aber auch das wird sich ändern. Sie brauchten nur Monate bis alle, die übrig geblieben waren, für ihr System relevant wurden. Wir wurden einfach umgeschult. Seit sechs Wochen bin ich im System als Sterbebegleiterin registriert.

Dienstag, 20. August 2019

Fingernagelrand. Meine Spaziermeile.

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Mit der Zeit gelingen mir Spiralen in der Luft.
Ich fixiere mit den Augen einen Punkt
und dann spiralisiere ich diesen.

Die Luft wirbelt, wirft Staub
in trockenen Mündern auf, zieht ihn mittig
in das Wirbelinnere, zieht den Staub
aus den ungeöffneten Mündern,
spiralisiert sich, solange ich den Punkt
in der Luft mit eigenen Augen fixiere.

Ein Lidschlag und die Spirale bricht in sich zusammen.
Staubige Angelegenheit.

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Bin mit meinen Wünschen und Ideen an den Rand der Realität gestoßen. Wer rubbelt, verrubbelt den Gewinn, denn die Realität muss erhalten bleiben. Manche halten das für wünschenswert. Aber in der Lostrommel schlafen nur Nieten. Das ist die Realität, sage ich.

Mittwoch, 5. Juni 2019

Den Hühnern brennt das Gras unter den Krallen. Das Kindergekreisch klirrt von den Fliesen des Schwimmbeckens zurück, klirrt durch die flimmernde Luft, klirrt gegen Glas, klirrt unter den Krallen der Gehegehühner, klirrt im brennenden Gras. Chlorgeruch liegt mir in der Nase und irgendwo das Gefühl einer Kindheit aus Freilandleben.