Montag, 30. November 2009

Fragst, gehst hinein in den Wald und vielleicht kommst du, kommst heraus auf ganz unverstellten Wegen, dort nämlich wo Lichtung ist. Was aber ahne ich, wenn ich das ahne, was nicht ist. Und die Einengung, weil ich nur von dem ahne, was nicht ist, bricht auf in der Weise, dass ich das, was ist, nicht erahnen brauche, weil es ist. Es stellt sich aber so mir die Frage, ob das, was nicht ist, allein durch mein Ahnen wird, also existent wird? Und bin ich dann im ausufernden Sinn Schöpfer dessen, was ich ahnte?
Du siehst, der Wald ist ein Duschgel, ist Himmel, ist Meer. Das Einzelne ist kaum im Ganzen zu erkennen. Und ich kaleidoskopiere, schaue mir in der Brechung des Ganzen nur die Splitterteile an. Erfreue mich an Licht und NichtLicht, denn auch daraus schließt nichts anderes als Sein oder NichtSein. In einem Blatt schrieb ich, dass am Anfang das Wort war und erst im Nachhinein kam ich auf die Frage, war das Wort nur – unabhängig von Silbe, Buchstabe, Laut – war das Wort also nur, oder wurde es auch gesprochen? Und hier ließe sich der Gedanke wieder ansetzen, ab wann ein Wort ist. Ist es schon oder wird es erst im Sprechen? Wenn das Geahnte durch das Ahnen allein existent wird, dann ist es, ist mit dem Werden letztendlich geboren und demnach nicht mehr zu ahnen notwendig. Das ist nicht länger ein adressiertes Selbstgespräch, das ist ein Entwirren verworrener Schnüre, das manches Mal nur mit einer Schere noch zu bewältigen ist.


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An dich habe ich so oft schon gedacht und mich gefragt, ob alles Gedachte imaginär ist. Und mit der ganzen Einbildung bin ich in romantischer Geselligkeit. Die Unübersetzbarkeit von Einbildung und Tatsache in das jeweils andere scheint unbegründet. Bild wird Schrift, wird Ton, wird greifbar. Vielleicht steht auch die Realität zur Nicht-Realität in einem Verhältnis von 1: 2 oder 2:1. Alles Atmen ist doch Wiederkehr in der Welt. Ist Frequenz und Doppelton. Ein. Aus. Ein. Aus. 1:2 ist eine der leichtesten Tanzschrittfolgen. Lang : Kurz Kurz. Lang : Kurz Kurz. Zur passenden Musik und richtigen Körperhaltung ließe sich ein geschlossenes System erkennen. Abiträr und deswegen Freiwild ist alles, was ich schreibe.
Und wenn ich an dich denke, denke ich an Fensterglas, an Abgenutztes und Unabänderbares. Ich fühle mich in diesem durch Worte beschriebenen Raum, fühle mich zwischen die dargestellten Menschen, fühle mich hinein gestellt ohne Bezug zu all dem. Fühle mich wie gespannte Angelschnüre, an der sich niemand mehr schneidet. Aber du sagst, ich könne schwimmen, und erst durch dein Sagen, schwimme ich tatsächlich. Dass ich vom Erkennen anderer so abhängig bin, wollte ich mir nicht eingestehen, aber ins Meer streue ich nichts als Salz. Alles Seiende hat Substanz und Wirkung.
Die Sonne tut in dem Moment das Ihrige. Als wollte sie die gefrorenen Ziegel schonen, schleicht sie hinterrücks heran, ist schon längst da, bevor man ihres Schleichgangs überhaupt aufmerksam wurde. Ideen sind schonungsloser, sie greifen an, greifen mitten hinein und geben keine Ruhe mehr. Warum schläft die Stadt, ist sie so ideenlos?
Weil du mich siehst, sehen mich andere. Und durch das ganze Gesehenwerden, nehme ich mich auch außerhalb meines Selbst wahr. Ein Aquarienfisch, der sich, trotz Salzwassers, seiner Begrenztheit bewusst wird. Vielleicht wird es auffällig, wie oft ich in Unterwasserwelten tauche. Aber das ist nicht der einzige Ort. Im Gehölz ist es Niemandem aufgefallen. Nicht im Gehölz, nicht auf den asphaltierten Straßen und auf Grasflächen, in die Steppe hinaus habe ich es noch nicht gewagt. Womöglich der Übersichtlichkeit wegen, vermutlich aus purem Instinkt, aus Angst vor den weiten Flächen, die unmöglich Fluchträume bieten können. Und immer nur von allen gesehen auf der Flucht, immer wieder nur die Füße in die Hände nehmen und rennen. Unendliches Rennen. Da schlägt allerorts in jeden Winkel Wind ins Gefieder.
Abgedroschenes Leben schreibe ich durch meine Finger, wie andere es zwischen den Beinen tragen. Tragen es dort, als würde das allein zur Wiederbelebung genügen. Aber dass es das Gebrauchtwerden, das sture Be- und Abnutzen ist, was Leben einhaucht, begreifen sie nicht. Also tragen sie, fahren unbesetzte Kinderwagen durch die schlafende Stadt, tragen Abgestorbenes zur Schau ohne Zuschauer. Und ich warte, warte auf eine nicht folgende Reaktion auf diese Aussage. Warte mir schattiges Grün und purpurnes Blau unter die Haut. Aber das du mich siehst ….


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Du sagst, du seiest zustandslos, irgendwie untertage, und ich denke an die Untertagebauten, die man oberflächlich nicht zu Gesicht bekommt, obwohl sie ganze Landstriche ausmachen. Da, wo Kahlschlag regiert, lohnt der Blick unter die Haut. [Irgendeiner sagte, die Erdfläche sei nur Haut und die Menschen darauf Ungeziefer.] Aber wie viel Geziefer ich wirklich bin, solle man mir doch selbst überlassen.
Du sagst, es freue dich so, dass ich schreibe. Aber von den vielen Unmöglichkeiten keine Spur, keine Ahnung, kein Annehmen oder Hoffen. Ich schreibe kaum noch, ich hole Luft zum Atmen, schleppe jeden Tag daran, fühle mich sisyphosisch und habe in der Gegenwart den Blick in die Zukunft. Du sagst, du hast aus Nobel gepriesenen Mokkatassen getrunken. Ich beneide dich darum!

Das habe ich dir schon vor Tagen geschrieben. Bis Heute liegt es ungelesen , liegt wie eine Leerstelle. Bis B. sind es vier Stunden, aber in Gedanken bin ich bei dir. Und bei deiner Zustandslosigkeit ist es ein Leichtes für mich, mir deine Aggregatzustände auszumalen. Ich denke dich erden, federn, ich denke dich luften allerorts, flüssig von Gefäßwänden gerahmt, ich denke wie es mir gefällt. Untertagegrachten.
Manchmal überhole ich mich im Leben und muss mich mahnen, mich wieder einzuholen. Wie man einen am Haken hängenden Fisch einholt. Mit Kraft und Gewalt, mit der Lust und Absicht ihn zu töten. Die Beute ist immer auch die Krone. Ich überrenne mich um Weiten, schlage mit dem Herz bis zum Hals, manchmal auch die Beine hinab und hinaus. Schlage hinaus und zwischen die Beine. Ein windender, zappelnder, wirbelloser Zitterfisch. Ich entwische.

Hast du die Blätter an die Anderen, die du nicht kennst, gelesen, hast du gelesen und gesehen, wie das Schreiben sich mit dem Gelesenwerden ändert? Wie das Lesen dem Schreiben auf die Haut rückt, wie es kritzelt und kratzelt, wie es sich unabwendbar macht? Und hast du mich gesehen? In letzter Zeit, in gerade vergangener Nähe? Ich verliere von mir. Vom Ursprünglichen kommt mir das Wesentliche abhanden.
Du erinnerst dich, der, der am Lineal seine Zukunft mit mir abmaß, du erinnerst dich, an den, der mich liebensunwürdig nannte. Er hatte womöglich Recht, er erkannte meinen Verlust, er hatte ihn lange schon vor mir verstanden. Du erinnerst dich an den aus Afghanistan. Er nahm ein Stück, obwohl ich es nie so meinte, von mir und asphaltierte es in die Wüste. In diesen Staub aus Sand asphaltierte er einen Teil von mir hinein. Und der mit dem Gedichtband auch. Alle die, die nicht wiederkehrten.

Narrative Unmöglichkeiten, Intertextualitäten. Wer erkennt sie denn über die Grenzen hinaus? Wer legt denn sein Ohr an die Luft und lauscht? Wer nimmt die Worte noch in die Hand, sie abzuwägen? Wer rückt denn sein Bett von der Wand, weil an derselben Wand nur anderseits ein fremdes Bett steht?

Du sagst, du seiest zustandslos und aus der Haustür führe keine Richtung.

Mittwoch, 18. November 2009

Ich weiß, du bist in L. und wahrscheinlich schaust du aus diesem Stillleben unbewegt hervor, das ich von dir kenne. Aber es wird nicht schneien, während hier im Norden die ersten beginnen Schneeketten über ihre Frühlingsgefühle zu ziehen. Du sagst, es sei das Leid einiger, in ihren Gedanken stecken geblieben zu sein, und ich sehe dich denken. Ich weiß nicht, ob es wirklich ein Leid ist oder war oder demnächst für andere noch sein wird. Ob man in einer Gedankenwelt in einen Stau, in eine Sackgasse, in Einbahnstraßen geraten kann, weiß ich nicht. Dem Gedanken sind die Grenzen nicht wie dem Körper gesetzt.
Das letzte Mal, als wir einander sahen, war Sommer gewesen. Vielleicht keine Jahreszeit, vielleicht nur eine Übergangsvariante, so wie man auf dem Weg von der Umkleidekabine zum Wasserbecken ein Handtuch umlegt. Nur eine Möglichkeit die Zwischenzeiten zu überdauern. Ansonsten auch mit dir nur virtuelle Hinterzimmermöglichkeiten. Weil sich im Dunklen die Dinge anders sagen lassen? Poetenbar mit Poetenaugen an Poetenwänden. Dass wir nicht lachten und dabei im Ernst noch immer den Wein ausschenkten! Wir sprachen über das Schreiben, als sei nur das es gewesen, über das wir hätten miteinander sprechen können. Als ob wir überhaupt hätten so schreiben können, dass sich darüber sprechen ließe. Einer von uns war ausgeflogen, wäre ich es gewesen, ich hätte ausgeflohen gesagt, aber ein anderer war über den Nestrand gesprungen und ist bisher nicht wiedergekehrt. Dort, wo ich seit Jahren bin, kehrt niemand hin. Gewagt Ungewagtes gehe ich an …


Am ehrlichsten schreibst du immer noch, wenn du an dich selbst adressierst. Ehrlich, ehrlicher, am ehrlichsten? Wahrheit oder nicht, das ist hier die Aussage! Du liest die Blätter der Anderen, als wären sie an dich gerichtet, oder eben auch, du schreibst die Blätter, als wären sie an Andere gerichtet. Die Frage, wie verlässlich das Schreiben ist, wird eins mit der Frage, wie verlässlich das Lesen ist. Und ich könnte an dieser Stelle beginnen, ICH zu schreiben. Aber du wirst mir zustimmen, kaum einer spricht sich über die Schulter selbst ins Ohr. Ins Gewissen, vielleicht, ja, aber ins Ohr?
Wie weit ist es bis zum Rand, vom Alltäglichen zum Schönen? Wo entlang zieht sich das Grenzsein zwischen Hier und Dort. Hier, wo ich bin und dort, wo du bist. Hier, wo ich schreibe, dort, wo du liest. Und wenn ich von Phantomschmerzen spreche, überall dort, wo du nicht bist – (auch hier eine Wiederholung nur) – wo ist dann dieses überall dort und wo genau sind die Schmerzen?
Du löst deine Worte inmitten einer Unmenge von Worten, so als lösest du eine handvoll Salz im Meer auf. Und dann sitzt du auch noch hier/dort und wartest, dass jemand genau dein Salz im Meer erkennt, es herausschmeckt. Auch hier ließe sich der Gedanke mit dem Wald und den Bäumen, dem Förster und der Schneise anbringen. Alle Gedanken ließen sich im Grunde verbinden, nur bekäme man einen Strick nie gebunden, weil es keinen Anfang, kein Ende nehmen würde.
Wenn dir einer einen Narziss vor Augen hielte, würdest du dich wieder erkennen? Ich sage wieder erkennen, nicht erkennen, weil davon auszugehen ist, dass du dir längst selbst in Vergessenheit geraten sein könntest. Fluchtkörper sind zumeist ohne Erinnerungsschranken. Nicht und nirgends ein Ort, der etwas aufhält. Gedächtniskultur ist eine Kultur des Aufbewahrens. Und wer flieht, hält an nichts mehr fest. Vielleicht bist du Fluchtkörper geworden, weil du mit diesen Köpfen, die durchdringend mit einer Art von Flucht beschäftigt waren aufgewachsen bist. Die Mauer gab jeden Anlass Entkommensgedanken wie heimliche Pflanzen zu kultivieren. Und alles, was wächst, beeinflusst das nebenan Wachsende. Unkraut, Wild- und Freiwuchs. Hättest du einen Förster gebraucht, um keinen Fluchtkörper zu bekommen?



Wenn einer einen Förster braucht ….
Manche sagen, wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Ich habe gerufen, aber heraus kam nichts. Nicht aus meinen Mund, nicht aus dem Wald selbst. Vielleicht ist der Himmel wie der Wald, auch nur eine Summe von Einzelnen und wir sind gar nicht in der Lage, das Einzelne in der Summe zu erkennen. Du könntest jetzt hier mit Mathematik beginnen, aber inwieweit ein Schneider dazu befähigt sein wird, aus Flüssen ein Meer zu stricken, weiß ich nicht. Ich ahne. Ahne immer nur von dem, was nicht ist. Und jetzt bist du nicht mehr, zumindest nicht hier und dort, wo ich noch bin.
Per Briefpost durch die Galaxie, durch die Zwischen- und Hintertüren der virulent Virtuellen, hin zu den universal Progressiven. Wenn die Flaschenpost das Meer überdauert, überdauert vielleicht der Mensch seine eigene Zeit und Technik. Wenn einer einen Förster sucht, geht er hinein in den Wald und kehrt nicht wieder hinaus.

Mittwoch, 11. November 2009

Wir stoßen wenigstens noch aneinander, sind wie gerissene Angelschnüre, die durch einen Fluss treiben aber zum Meer nie gelangen. Als würde das Meer noch etwas ändern. Vielleicht sind wir einander die größten Lügner, jeder im Geheimauftrag des anderen unterwegs, bleiben die unbesprochenen Dinge unter dem Teppich gekehrt. Andere wickeln Leichen, wir treten mit Absatzschuhen jeden Kahlschnitt und flaumlosen Teppich. Wir geraten an uns selbst in die windigste Ecke. Und dass du nicht widersprichst, liegt nur daran, dass du ungesagt bleibst. Wobei ungesagt nicht unaussprechlich bedeutet. Also spreche ich dich, spreche regelmäßig die Abfolge der Buchstaben.
Am Anfang war das Wort.
Ich sage das und denke, vor dem Wort müssen die Silben, müssen die Buchstaben, müssen Laute gewesen sein. Demnach zerteile ich kleinstmöglich alles Sprechbare, teile hinab und hinauf, teile hinab und hinauf. Zerfalle im Zerlegen selbst, falle hinab, falle hinauf und bleibe nur dort hängen, wo das Sprechbare ungesagt bleibt. Vielleicht sagt einer, Wiederholung, alles nur Nachahmung und immer Selbes. Recht hat er. Aber dort, wo ich nicht wiederhole, muss ich schweigen.
Luftlinie, wenn es die unter Wasser gäbe, ungefähr 200 Kilometer, die uns unterscheiden. Angelschnur ist Angelschnur, die eine etwas dicker für Hochseeangler, die andere etwas dünner, beinah unsichtbar, für die, die im Klaren und Flachen fischen, aber was sie wirklich unterscheidet, ist die Entfernung, ist das Gewässer. Ich habe so gern Gefilde im Haar, sage ich, nicht weil ich es so meine, nur weil es so klingt. Gefilde im Haar. Das ist nicht der Inhalt, das ist das Gesprochene. Geh Hilde und fahr! Manchmal darf ich Dinge nicht ungesagt lassen.



Du beobachtest. Nicht heimlich bist du aber still. „Die Blickrichtung beeinflusst den Abstand.“ Und das hast du wirklich gesagt, zumindest geschrieben, das ist etwas von dem, was mir nicht einfällt, was ich nur erfahre. Dass man voneinander ohne miteinander so viel in Erfahrung bringen kann, wussten wir vorher. Aber das es wirklich geschieht, ist etwas anderes. Von welcher Seite soll ich den Draht zuerst aufrollen, wenn die Welt sich in Daten, Punkten, Funktionen verliert? Wahrscheinlich verliert sie nichts von sich, sondern gewinnt vielmehr, nur für mich, die über die Unbegreiflichkeit der Dinge nicht hinauskommt, ist es ein Verlust.
Aber ich schlage mir „Splitter und Balken“ ins Auge und sehe schwarz-weiß eine Landschaft. Triadische Modelle des Lebens, denke ich mir. Körper, Geist und Landschaft. Wobei Landschaft auch die Anderen bedeuten mag. So kann es ja auch sein, ich existiere als ein Sein zwischen Körper, Seele und der Wahrnehmung Anderer. Oder eben als Ort in der Landschaft. Ließe sich doch die Frage stellen, ob nicht jedes Gemälde nur eine Flucht, ein Fluchtpunkt, aus der Welt gegriffen in die Welt gestellt, sein kann? Wäre es demnach wieder nur Nachahmung oder eigene Existenz. Wieviel Platz würde ein Fluchtkörper, wie meiner, in einem Bild einnehmen, wenn er somit aus der hier wahrgenommen Realität, entschwindet?
Eigentlich wollte ich dir schreiben, und nun schreibe ich doch mir selbst. Auf gewisse Art ist alles Schreiben ein Selbstgespräch. Doch die Einsicht, über die eigene Erkenntnis so nicht hinaus zu gelangen, lässt einen anderen Adressaten, abgesehen von sich selbst, in den Rahmen rücken. Ich bin so herrlich selbstverliebt, gestehe ich hier an dieser Stelle, weil spätestens an diesem Punkt angelangt, der Leser zwischen Fakt und Fiktion nicht mehr zu unterscheiden weiß.



Eine meint, wir bräuchten hier einen Förster, weil das Dickicht zu sehr um sich schlage. Aber ich weiß nicht, ob wir einen brauchen, der Schneisen in den Wildwuchs schlägt, der seine Markierungen wie eine Spur hier und dort am Abrieb der Einzelnen setzt. Ich weiß nicht, ob die Natur eines Schliffs bedarf. Und wenn einer eine Schneise schlägt, dann erinnert das weniger an ästhetische Autonomie, als an selbstherrliche Verwirklichung des subjektiv Schönen. Schließlich wäre ein Förster auch viel zu nah am Geschehen, er sähe den Baum im Walde nicht, nicht die Lichtungen im Kahlschlag. Alles bedarf einer Distanz, aus der heraus sich ein Blick erst erschließt. Die Blickdistanz beeinflusst demnach den Eindruck, die Wahrnehmung und mit ihr die Erkenntnis. Du wirst mir wohl nicht zustimmen, aber das hindert mich nicht, schließlich bin auch ich nur Wild- und Freiwuchs. Aber ich überlege auch über die Blickdichte. Wie nah am Geschehen ist noch längst nicht zu nah? Ab welchem Punkt wird aus dem Nah ein Mittendrin?
Dass ich mich an mich selbst verliere, hängt mit der Selbstherrlichkeit, die ich anderen gegenüber eingestand, zusammen. An mir selbst könnte ich die Frage nach dem Nah oder Mittendrin spalten, allerdings geriete ich so wieder in das Gespräch mit mir selbst derart hinein, dass ich dich vergessen könnte.
Dabei gab es eine Zeit, in der ein Vergessen - mir zumindest - unmöglich schien. Derweil sind wir weiter voneinander, und das sowohl im räumlichen als auch zeitlichen Sinn, getrennt als Parallelen es darzustellen vermögen. Dort wo du bist, grenzt mein Universum an den Rand. Einer sagte mir, ich solle über den Rand auch hinausschauen, aber ich wage es nicht. Das Unerwartete ist immer ein zu lang Erwartetes.

Freitag, 6. November 2009

Eine mögliche Brieffolge:


Ich habe dich grünhäutig im Arm. Vielleicht auch nur in der Erinnerung. Aber wer kann wissen, wie nah oder fern eine Umarmung wirklich ist. Wer kann von den gelebten oder ungelebten Momenten wirklich wissen? Man sagt nicht ungelebt, sagst du, man sagt, tot. Und weil du das sagst, weiß ich, du hörst nicht, du sagst nur und hörst nicht.
Das sind immer nur die Momente, von denen wir leben. Der Moment des Erwachens, der Augenblick, wenn man freudig einen Brief empfangen hat und gespannt den Bogen Papier auseinander faltet. Diese kurze, kaum sechzigsekundige Minute, die ein Kuss manchmal nur anhält, aber tagelang etwas aufrührt. Es sind immer nur Akte in der Zeit, die wir erleben. Und manchmal sagst du, du hast geträumt, während ich an den Fingern die Stunden abzähle und irgendwann auch zu einem Schluss gelange. Kurz Schluss.
Wie deine Haare sich über meine grüne Erinnerung kräuseln, und deine Brust sich an meine schmiegt, weil sie sich nach einer zweiten, einer linksseitigen sehnt. Wie wir so sind und parallel in der Zeit existieren, in Ort und Raum. Meine Haut ist Ort für allerhand, früher fanden sich passgenau deine Lebenslinien darin. Früher fand sich so viel. Aus den Hinterzimmern stürzten wir in die Vorkammern, spannten Segel und …
Kosmonauten waren wir in den Universen des jeweils anderen.


Man sagt Ausbruch, nicht Flucht, sagst du und ich sehe dich brechen, aus dir heraus und denke an die Fluchtkörper. Vater hatte einen, Mutter wollte keinen und ich bin einer. Nur Haut und Flucht. Und wenn wir mit den Buchstaben beginnen zu spielen, den einen durch den anderen ersetzen, setzen wir Veränderung in Gang, schieben zwischen die Universen schwarze Löcher, Zeitschleifen, zwingen Parallele in eine Kreuzung und beginnen uns vielleicht an dem Punkt zu fragen, ob die Existenz von uns oder aber wir von ihr abhängig sind. Aufbruch. Deine gelbe Erinnerung, dein Auftauchen in Fluchträumen.
Vater war wenigstens immerwährend abwesend, inzwischen Mutter ein Hier und Dort war. Dann lieber ganz auf der Flucht, denke ich, als zeitlang auf Zwischenstation. Flucht ist auch eine Art von Gedächtnisverlust. Dass ich nicht weiß, wann und wo wir uns das erste Mal sahen, ist nur zu verständlich. Dass aber du Ort, Zeit und Datum so genau angeben kannst, ist verwunderlich. Zwischen den Jahren, sagt man, und ich meine, zwischen den Leben sagen zu müssen.


Ich sehe dich Briefe schreiben, sehe dich sitzen zwischen Elefanten und Maulwürfen unter Eich und Tieck. Dabei solltest du über Utopien der Unmittelbarkeit nachdenken, solltest lernen und vom Gelernten erfahren und ereignen. Aber ich sehe dich sitzen am Morgen wie im Tag und darauf folgend in der Nacht. Doch wenn einer eine Reise macht, sage ich zu dir über deine Schulter hinweg, sitzt er nicht. Selbst wenn der Gedanke flieht, zieht er den Körper nach, zieht ihn irgendwo aber nicht an die Fesseln einer Stuhllehne hin. Also schreib weiter Briefe und vergiss darüber das zukünftig Vergangene. Bleib mit deinen Federn in den Tagebrüchen der Romantiker stecken. Nimm E.T.A. und H.v.K., nimm A.v.A., nimm den Aufstand und den Rückstand, nimm Platz in einer Mitte, die über die Zeit längst hinaus geschlagen ist. Und vielleicht nimmst du bald die ganze virulente Virtuelle, das surrende Grenzsein zwischen Realität, Mimesis und Unwirklichkeit, nimmst es zwischen die Hautklappen und schlägst es wie eine Eintagsfliege tot.

Sonntag, 1. November 2009

Es ist ein neuer Morgen, ein Monat angebrochen, der von sich wird Reden machen. Ihre Kleider hat sie über die Stuhllehne gelegt, hat alle Spangen aus dem Haar gelöst, ist mit den Händen über ihr Gesicht gefahren und hat dabei unmerklich die Augenbrauen in die richtige Linie gezogen. Sie ist nackt und möchte es am liebsten die nächsten Nächte und Tage bleiben, weil der Winter so einen schönen Schauer über die Haut treibt, sie beinah dazu zwingt, sich in sich selbst zurück zu ziehen, alle Wärme, selbst die restlichste, bei sich zu halten. Der Winter, anders als der jubelschreiende Sommer, ist eine Zeit, die Türen und Fenster schließt, Decken aus den Kommoden kramt und sich in Kissen schmiegt. Der Winter ist eine Zeit für sich, eine Zeit für Alleinseiende, eine Zeit ohne Zwang zur Heiterkeit. Am Abend gab es ein Feuerwerk. Sie sah still vom Balkon zu, sah wie die Leuchtkörper über den Hausdächern explodierten, sah die Menschen geisterhaft durch die Straßen schlendern, sah wie das Abenddunkel sich für die nahe liegenden Tage bettete. Es wird nicht mehr hell werden, dachte sie am Abend, nicht mehr dieses Sonnenhell.
Sie war fünf, als sie mit dem Vater das erste Mal über das Wasser lief. Der See war gefroren und durch das Eis konnte sie die Pflanzen im Wasser sehen. Bäuchlings lag sie auf dem See. Mund und Nase schmolzen kleine Wölbungen in das Eis, aber darunter lagen eingeschlossene Luftblasen. An die Luftblasen hatte sie immer denken müssen, die Luftblasen hätten den Vater doch retten müssen, aber er hatte wahrscheinlich nicht gewusst, wo sie waren und wie er sie hätte atmen sollen unter Wasser. Denn als es laut krachte und mit einem Mal der Vater nicht mehr auf dem Eis, sondern darunter zu den Pflanzen gelangte, war niemand außer ihr da. Niemand, der gewusst hätte, den Vater zu den Luftblasen zu lenken, niemand der gewusst hätte, dass die nasse Kälte nur Minuten braucht. Der Winter ist auch deswegen eine Zeit zum Alleinsein, denkt sie, weil er die Menschen um einen herum schluckt. Er nimmt sie in sich auf, als wäre er die frierende Haut, die alles in sich zurückzieht, um auch die restlichste Wärme bei sich zu halten. Ihr Vater selbst war für sie zum Winter geworden. Auch deswegen steht sie nackt in der klirrenden Kälte, es ist wie damals, als sie stundenlang reglos auf dem Eis lag und sah, wie ihr Vater zu den Pflanzen, nicht aber zu den Luftblasen gelangte. Und es tut so weh, kalte Luft zu atmen.
Die Kleider über der Stuhllehne sind Sommerkleider, es ist auch ein Stuhl für den Sommer auf dem Balkon. Nur noch kurze Zeit, dann muss sie zurück, muss in die Wärme der Räume, der geschlossenen Fenster und Türen. Denn inzwischen weiß sie, die nasse und auch die trockene, klirrende Kälte braucht nur kurze Zeit. Im Warmen erholt sich die zusammengezwungene Haut, erholt sich auf schmerzhafte Weise, bekommt Risse und Furchen. Es ist keine Zeit für Berührungen, die kalte Haut ist auch eine Zeit für Alleinsein, für Berührungslose. Denn allem Kalten, dem man mit Wärme entgegenkommt, geraten Schmelzwunden ins Sein.

Donnerstag, 22. Oktober 2009

Nachts, wenn ich durch die Straßen laufe und nicht begreife, dass ich nicht nur durch Straßen sondern auch durch eine Stadt, durch eine Gegend, irgendwo durch einen Kontinent, durch ein Stück Welt laufe, sind es die Geräusche, die sich verdoppeln. Mehrlingsgeburten, von allen Seiten drischt etwas auf mich ein, und dieses etwas, dieses undefinierte Vielzeug ist es, das mich vermissend macht. Ich Frau, werde plötzlich Kind. Stehe als Kindfrau und gebäre Mehrlinge in die Nacht, die nichts weiter sind als vergangene Tage. Und ich, mehr Kind als Frau weiß weder mich noch die Geburten zu nähren, zu wärmen, zu überleben. Überliebensfähig. Ist keiner von uns. Nicht Frau, nicht Kind. Nachts, wenn ich durch die Straßen laufe und nichts begreife, sitzt ein anderer Teil von mir im Verhörsaal, der nur Raum mit Wänden ist. Aber diese Wände haben Ohren, überdimensional und die machen den Saal, machen das Gesagte zum Gehörten und später in den Gassen um mich herum, wird es Geräusch. Geräusch im Verhörsaal kann das Knacken im Holz sein, kann in den Gängen der Wände ein Wurm nur sein. Ein vielgliedriges Mehrlingswesen nur. Geräuschkulisse ist immer aus Gesagtem gehört und für unbedeutend Gehaltenes. Nachts.

Mittwoch, 7. Oktober 2009

Es muss etwas an mir sein. Es gibt diese Menschen, die ich schätze und in die Kramkiste der Freundschaften lege, und genau diese Menschen sind anders, wollen nicht in die Freundschaftszange gelegt werden. Es wundert mich, ich wundere mich. Das Wunderbare ist, was sich zu wundern lohnt. Da ergibt sich ein Ereignis und es ändert das Verhältnis von da Gewesenem, Seiendem und Werdendem. Wohin aber diese Änderungen schwingen, weiß niemand, der nicht schwungerfahren ist. Wohin treibe ich diese Menschen? Wohin treiben sie mich? Ich trete an den Rand und sehe darüber nur hinaus. Mit den Menschen ist das so eine wunderbare Sache.
Ich meine, nichts dazu zu können und merke, wie ich abgleite, hinabgleite ohne nirgends nach Halt zu greifen. Ich spüre diese Gedankenketten, die sich um mich legen, mich würgen, mich nicht mehr freigeben. Nächte verbringe ich so. Tage. Mit den Menschen ist das so eine Sache. Sie kommen und gehen, ich komme und gehe an ihnen vorbei, an ihnen vorüber. Aber nirgends ist etwas gewesen, von dem ich sagen würde, das muss es gewesen sein, was dazu geführt hat, wie es jetzt ist und morgen sein wird. Ich bin teilnahmslos bei dieser Sache, die zu wundern sich lohnt. Die Einsamkeit scheint mir immer noch der sicherste Ort zu sein.

Der Fluss zieht auch ohne mich weiter Richtung Meer. Wieviel von ihm schon an mir vorbeigezogen ist, weiß das Meer. Manchmal regnete es Bäche, Flüsse, ganze Ströme. Gestern Abend regnete es das Meer, und ich wollte fragen, wie viel von ihm im Fluss gezogen war. Aber als ich zur Sprache kam, war die Straße längst überflutet und alle Fenster und Türen geschlossen. Ich brach ab, meine Stimme brach mitten im Fragen einfach ab. So verzweigt und verästet habe ich mich selten erlebt. Aber die Stimme macht, wozu sie in der Lage ist. Und wenn aus ihr heraus ein Baum entsteht, dann ist das so.

Donnerstag, 17. September 2009

Es ist Zeit vergangen. Nicht wir sind vergangen, sind nicht verirrt, nicht verlaufen, sind vielleicht nur etwas seitwärts gerückt. Nebenbei sozusagen. Und anbei lag das Meer, lag mit seinem großen Rauschen und ich wusste nicht, übertönt es dein Schweigen oder macht es dein Schweigen erst aus. Du warst immer nur leise im Gegensatz zum abseitigen Meer. Das dort liegt, vor mir, mir vor den Füßen, so als käme ich gar nicht umhin, hinein zu treten. Trittstein. Jeder einzelne, der mir über die Zehen kieselt.

Das Sein, also unser Sein, deines und ebenso meines, bedarf einer Ortschaft, um sein zu können. Nur wo das Sein da ist, ist es existent. Das las ich im Zusammenhang mit Sprache und Tod, und dass das anfängliche Wort uns sterblich macht. Und jetzt, da ich daran denke, fällt mir dein Schweigen auf. Deine Todesangst. Und ich denke das erste Wort, das du sagtest und denke, es war deine Reaktion auf mich als ein Reiz in deinen Ortschaften. Unbewusst war dein erstes Wort, unbewusst deine Wahrnehmung von mir, wie man eine auf Grün geschaltete Ampel wahrnimmt, und den Fuß nicht vom Pedal nimmt. Nebenher. Seitweise.

Ich hatte vorgeschlagen, nicht länger zu reden sondern zu schreiben. Unser geschrieben Gesagtes wiederholbar, überprüfbar zu machen. Du hattest genickt und geschrieben. Aus Lauten wurden Silben, wurden Worte, ganze Sätze bildeten sich. Immer wieder. Jede einzelne Silbe wiederholbar. Alles was du mir geschrieben sagtest, schwimmt mir vor Augen. Mund, Nase, Ohren bleiben unberührt.

Unrührbar ist alles was wir empfinden. Im Wort.

Donnerstag, 27. August 2009

Jetzt. Da du dort drüben atmest, fehlt mir gänzlich Wind im Gefieder. Ich hebe die Arme der Nachtluft Willen nicht, ich hebe die Arme nicht für einen Mann im Kleid, einen Hund mit Kieferprothese. Ich hebe meine Arme nicht.

Ich vermisse die Straßen, die Bahnhöfe und den Geruch. Das ganz Eigene, was eine Stadt ausmacht. Ihr Gedächtnis. Metropolisch, sage ich und denke an den Osten, den Westen, den Norden und irgendwo auch an den Süden. Wenn ich ginge und nicht ankäme, wäre es endlos. Aber wohin kommt der Mensch?

Über seine Gedanken hinaus, kommt er nicht. Kommt nicht über den Rinnstein seiner Gestirne. Dabei würde ich so gern. Würde kommen und darüber hinaus schon wieder schwinden. Davonkommen ist immer auch ein Dahingehen.

Ich dekonstruiere mir die Welt. Setze Bausteine an Straßen ab, setze Ringsteine an Ecken und morgens nehme ich ein Bad, während andere sich sammeln, zerstreue ich. Zerstreue von mir, was bleiben wird. Alles, was ich schreibe, könnte bleiben wollen. Und wohin wird es kommen, wenn ich gegangen sein werde?

Du atmest dort, wo ich nicht bin. Schlägst Wind in Anderer Gefieder.

Mittwoch, 6. Mai 2009

Im Wald schlägt Gefieder


Sie rennt, dabei wusste sie früher nicht die Beine in die Hand zu nehmen. Jetzt rennt sie und der Rock rutscht ihr bauchwärts über die Knie. Alles habe ich diesem Dreckskerl gegeben und jagt der mir nach, dieses Schwein! Sie rennt und keucht, der Mund steht offen, wie ein vom Sturm zerrissenes Tor einer vergessenen Scheune. Von hier kann ich sie rennen sehen und den Kerl, der ihr an den Fersen hängt. Der jagt, denke ich.

Im Wald schlägt Gefieder. Hörst du? Ich sehe die Menschenspitze sich durch das Geäst schlagen. Dreckskerle. Im Wald schlägt einer einen anderen Ton an. Du hörst nicht?
Dabei hast du doch Gefieder im Haar, denke ich und bestaune deine Ähnlichkeit mit anderen Himmelskörpern. Wenn Götter im Himmel thronten, sage ich, du würdest wie sie aussehen. Aber es ist Gefieder und es gibt Leute, die meinen Federvieh und andere, es gäbe nirgends Götter. Nicht einer sei irgendwo.

Der Rock bauch-, nein herzwärts sich öffnen. Dabei rennt sie und möchte doch nicht, dass der, der jagt, sie einholt. Ihr nachjagt, sie einholt und eindringt wie eine Gewehrkugel, der man nur mit Gewalt entgegenwirken wird können. Sie atmen, ich sehe sie und das Rennen. Wenn einer meinte, er lese Literatur, dann frage ich, was liest du? Und warum? Ich weiß, dass unten einer jagt, sage ich.

Käuzchen. Kleines, grausames Käuzchen. Du. Käuzchen aus dem Walde.

Sein Einholen hat ihr Rennen gestoppt. Sie liegt und er steht über ihr. Der Rock hält nichts mehr verborgen. Offenherzig, wie sie da ist, greift er an, greif ein, in sie hinein. Und ich sehe, weil ich einem Himmelskörper ähnlich bin. Ich sehe und bleibe dennoch schön. So wie die Götter, die nicht im Himmel thronen aber dort gedacht und schön geglaubt werden.

Du sagst, dass ich schön bin. Du hörst nicht? Im Wald wird Gefieder geschlagen.

Sonntag, 19. April 2009

Ich war mit Freunden im Stadion. Fußballfieber griff um, Gebrüll und Gejaule. Einzig faszinierte mich die Massenbewegung. 50 000 Menschen in einem ausmachbaren Raum auf die Bewegungen und Jungenspiele zweiundzwanzig Männer reagierend. Die Stimmung blieb nach einer leichten Aufhebung zu Beginn des Spektakels trüb wie der Himmel. Die Masse von 50 000 begann sich bereits vor dem Schlusspfiff aufzulösen, weil wohl das Ballspiel der Männer auf dem Rasen sie zornig und gleichzeitig enttäuscht stimmte. Demnach hieß es für jene, die das Stadion frühzeitig verließen wohl; Augen zu und raus, nicht dabei, nicht schuld gewesen. Schuld ist vielleicht auch ein deutsches Gewächs, vor Zeiten gesät und bisher gehegt und gepflegt. Und immer sind wir auf der Suche nach ihr. Einer muss sie ja haben, irgendwo muss sie doch zu finden sein. Die Schuld hat schließlich immer einer, sie wächst wie Unkraut auch in den saubersten und feinsten Gärten.

Und nun sitze ich im Morgen dieses Tages und betrachte die schematische Darstellung eines Hexameters und überlege, über Lautbarkeit. Ist ein Gefühl, ein Empfinden, selbst das Kleinste oder das Stärkste verlautbar? Lässt sich das oft frühzeitige und sachte Gefühl anfänglicher Zuneigung in Rhythmus und Klang unserer Sprache übersetzen? Können wir mit dem, was wir an Ausdruckmitteln haben, der Ursache auf den Grund kommen? Und wenn ja, ist dann Klang und Rhythmus meiner übersetzten Gefühle denen eines Gegenübers ähnlich, hätte er ebenso von der Möglichkeit seiner Sprache Gebrauch gemacht und sei er demnach imstande, meine Verlautbarung zu verstehen?

Kann ich sagen, was ich empfinde? Oder benutze ich nur Worte, denen wir per Definition unser menschliches Empfinden einverleibten? Und so gelange ich zu einem vorgestrigen Gedanken.

- exhibitionistisch tat sich die Welt mit Tor und Türen vor mir auf –

Diese Zeile schrieb ich und ließ sie als Anfangszeile eines möglichen Gedichts stehen. Es ist sprachlich nicht vorzeigbar verhält sich jedoch in dem Sinne weiter, dass es die Idee formuliert, der Mensch werde mit seiner Geburt in eine für ihn vollkommen nackte Welt geworfen. Doch bereits wenige Zeit später, wird dem Menschen die bloße Welt mit Wort und Sinn, (Geklang und Geklimper heißt es im Gedichttext weiter) bekleidet. Die Welt wird dem Menschen hinter seiner Sprache versteckt und dort bleibt sie ihm womöglich zeitlebens verborgen.
Natürlich kann jetzt im gedachten Gedicht ein Punkt der Erkenntnis folgen, demnach eine tragische Wendung. Denn wie kann der Mensch ankommen gegen etwas, womit er sich und seine Umwelt definiert oder auch erst erfährt? Obwohl er nun weiß, dass genau dieses es ist, nämlich die Sprache, was ihm die Welt vermantelt also ihm die Weit- und Fern- und vielleicht auch die Darüber-Hinaus-Sicht einschränkt? Kann der Mensch, die ihm angetragene Sprache ablegen und sich gleichzeitig der Nacktheit, den offenen Toren und Türen der exhibitionistischen Welt aussetzen?
Wenn die Sprachfähigkeit jedoch eine Notwendigkeit zum Verständnis bildet, wird der Mensch die nackte Welt wohl kaum erkennen und verstehen können. Also nähern wir uns nach dem Erkenntnispunkt im Gedicht einem dramatischen Schluss an?
Ist der Mensch durch seine notwendigen Mittel begrenzt?

Donnerstag, 16. April 2009

Es ist eine spröde Zeit der Sprache. Die Wissenschaft raubt den Glanz und lässt ihn uns gleichzeitig erst begreifen. Diesen Glanz, der überall hindurch glimmt, der hier und dort unfassbar dennoch immer vorhanden bleibt. Ich stecke wie in einem Mantel aus Unkenntnis, und an diesem Mantel die Knöpfe zu lösen allein, ist, als risse ich mir in die Haut, ins eigen Fleisch und Blut.

Während die Stadt ihre Trümmer beseitigt, während der aus Afghanistan nicht mehr hier sondern anderswo ist, während seit Monaten keiner mehr kam und mir einen Gedichtband schenkte, habe ich zu studieren begonnen. Beklemmt sitze ich zwischen meinen Lebensstühlen. Dem einen, der mich zur Arbeit gehen und das Alltägliche bewerkstelligen heißt, auf dem anderen, der meint, ich sitze allerorts nur auf der Arbeit, im Alltäglichen nicht am rechten Platz. Und wie ich mir die Stühle aneinander rücke, nicht mehr zwischen ihnen zu sitzen, rücke ich ab.

Vor mir tut sich exhibitionistisch die Welt mit ihren Toren und Türen auf.

Was nutzt es, den Regen zu verstehen, wenn die Verwüstung längst begonnen hat? Was nutzt mir die literarische Landschaft, wenn ich mich in ihr wie auf einem Minenfeld bewege?

Ich schleiche durch die Treppenhäuser der Sprache, höre den Nachklang mir ferner und fremder Schritte. Luge nur mit einem winzigen Blick hinaus und nebenher und sehe nichts als die sich entblößende Welt.

Samstag, 14. März 2009

Alles ist mir, in Anbetracht der täglich stattfindenden Tatsachen, zuwider, jeder Schritt auch nur der kleinste, jede mühelose Geste, jedes Dahin und Daher. Ich fühle mich zellophanen und mit aufgedrucktem Verfallsdatum. Eine chiffrierte Zahlenfolge, von der ich nur ihre Bedeutung weiß, sie zu entschlüsseln aber nicht verstehe. Wann und wie meine Zellophanhaut reißt, weiß ich nicht, nur dass es geschehen wird, ist sicher. Und in der Sekunde vor dem eintretenden Moment, möchte ich nicht mühelos sein, möchte viel mehr kurz aufschimmern, nur einen Augenblick, einen Lidschlag lang glimmen und glühen, nur irgend ein kleines Licht möchte ich vor dem Sterben sein.

Mittwoch, 4. März 2009

Ich sitze auf einer Stadt, die sich senkt, einsenkt, aussenkt, hinabsenkt. Ich bin untertunnelt und sehe die Staubwolke aus den Nachbarhäusern kriechen, wie sie sich aus Stein und Gebälk drängt, wie sie drängt und herannaht, als wolle sie allein noch mehr einreißen. Ich greife mit meinen viel zu kurzen Armen und Beinen an die viel zu weit auseinander liegenden Wände, greife um mich und versuche zu halten, was ich halten kann, während vor den Häusern, die einsinken und wegsinken, Menschen in alle Richtungen laufen, als läge in allen Richtungen ihr Überlebenswille. Und als wäre das allein eine Garantie, rennen sie und rennen staubig, wie die Wolke, die sie vorantreibt, rennen und vergessen ganz, dass die Stadt sich in allen Richtungen senkt.

Die Stadt hat ihr Gedächtnis verloren, sagt die Stadt am Morgen nach dem Absturz über sich selbst. Sagt kaum etwas über die Vor- und Nach-, die Rück- und Nebenwirkungen. Sagt nichts über einen wie mich, der ich hier sitze und mit allem, womit ich halten kann, hält. Die Stadt sagt, die Untertunnelung ist allerorts, und dass man die Hohlräume nicht füllen könne, weil dann könne man sofort ihr Herzkreislaufsystem lahm legen. Die Stadt macht von sich reden. Vielleicht auch, weil sie das Gedächtnis verloren hat und nur vom Jetzt und Morgen leben kann, weil sie seit Gestern ein neues Denken und Andenken trägt. In sich selbst, in ihren Tiefen, die tiefer werden und alles Oben Lebende hinabreißen. Die Stadt macht Reden von sich, weil Reden ein Versuch ist, sich ins Gedächtnis zu rufen, und wenn die Stadt schon kein eigenes mehr hat, dann muss sie sich in das Gedächtnis der anderen bringen.

Und während ich auf diese weit auseinander liegenden Wände beschränkt bleibe, treiben vor den Häusern Menschen, wie eine Wolke umher, zerstauben in alle Richtungen, weil man auf der Straße ein Zittern bemerkt, eines, das ganz von Unten, aus den anorganischen Hohlräumen der Stadt nach oben drängt. Eines, dass sich Zentimeter breit durch Stein und Gebälk reißt. Und ich sehe wie aus dem Zittern eine Wunde wird, wie die Straßen und Häuser aufreißen.

-


Es ist die Stadt, die schuldlos und still vor mir liegt.

Dienstag, 17. Februar 2009



„Am Rande des Abgrunds ist die Aussicht schöner“
Yvonne Kuschel, Leipzig





Schneefeld im Osten ein Rand ohne Aussicht


Sie ist ihm Abgrund. Über ihre Vorhöfe und Brustwarzen
hinweg und hinein in die Herzkammern
und hinaus auf die Blutkreisbahnen,
die das Herz wie eine Achterbahn umschlingen.

Sie ist ihm Abgrund.

Was aber ist der Abgrund?
Oder wo?
Und wie weit ist es
bis zum Rand, bis hin zum Äußersten?

Beginnt der Abgrund, wo die Sprache endet, weil man meint, sich mit Worten im Oberwasser halten zu können? Immer diesen einen Kopf, der ausreicht oberhalb der Wasserlinie zur Luft zu kommen. Und weil dem Schweigen Gold in den Mund gelegt wird, sinkt es, driftet tief hinab, wo es schwer den Boden eines möglichen Abgrunds berührt? Möglich, weil man nicht weiß, ob das Berührbare noch oder schon abgründig genug ist, um als Gefahr gelten zu können. Ein Abgrund. In einem selbst bildet er die Unmöglichkeit des Endlosen, zumal er ein Ende, eine Schluss-, eine Torauslinie ist.

Wenn das Herz die Sicht auf die Dinge hätte.

Er atmet als sei das so nebenbei, nicht lebensnotwendig. Seine Augen sind Schießscharten und zwischen den Wimpern erkennt sie den Lauf des Gewehrs, das er wie eine Geige im Anschlag hält.
Schöne Aussicht, sagt er
und schaut durch das Spiegelglas sie an.
Wie sie nackt und kraus neben ihm steht.
Sagt schöne Aussicht und meint
Abgrund.

Legte er ihr Gold in den Mund, sie wäre sein Schweigen, und sie wüsste um ihren, sie in die Tiefe schleifenden Wert. Stattdessen aber klappt er den Spiegelschrank zu, streicht mit dem Finger ihr krauses Haar, eher nachlässig als zart, eher als würde er diese Landschaft roden,
zu einem Kahlschlag machen wollen.

Inwieweit kommt ihr Anvertrauen einer Selbsthäutung gleich, nach welchen Maßstäben hat sie ihn erwählt, dass sie sich ihm hingibt, sich vor seinen Augen und seinem Herzen gänzlich bis auf das truglose Fleisch enthäutet? Es ist eine Notwendigkeit, eine Lust zur Entfaltung, eines Aufblätterns all dessen, was sie verborgen haltend gepflegt und gedeihen lassen hat. Über die Jahre hinweg, denn liebensfähig bedeutet auch lebensfähig sein.

Sagt schöne Aussicht und
meint Abgrund.

Sie ist ihm Abgrund.
Über ihre Vorhöfe und Brustwarzen hinweg,
hinein in die Herzkammern und hinaus auf die Blutkreisbahnen,
die das Herz wie eine Achterbahn umschlingen
und ihn in Höhen reißen, in Tiefen stürzen.

Da kommst du nicht hinaus, denkt sie, auch wenn du alles Lebendige abholzt nicht.

So wie er eingedrungen ist, kommt er nicht hinaus.

Du bist Krieg, flüstert sie, weil sie weiß, er kann sie nicht hören und stellt sich gleichzeitig die Landschaften in ihm vor.
Die dreckige, in Schlangenlinien asphaltierte Wüste,
das Minenschlachtfeld,
den Dschungel. Und herzwärts:
das Schneefeld im Osten.

Er zerstört, während er sie anschaut und die Aussicht genießt.

Zieht über sie her, über sie hinweg, zieht sie an und zieht sie aus, zieht an all ihren Fäden, wie an Angelschnüren. Die er schon oft über den Bogen der Geduld bis zur äußersten Spannung getrieben hat. Kann in der Unruhe ihrer Seele Stürme entfachen, jetzt kann er hereinbrechen und einreißen, was keinen Anker in ihr warf. Die Hoffnung, die Liebe, das Leben selbst. Wie junge Fische kann er sie an sich ziehen, ihnen die Haken samt Kiemen herausreißen und sie blutleer zurück werfen, weil sie seinen Erwartungen nicht gerecht werden, klein und kümmerlich sind.

Während er sie anschaut und die Aussicht genießt.

Aussicht. Ist sie am Rande schöner, weil man dem Abgrund entkommen kann? Am Rande des Abgrunds, das heißt, mit den Händen schon in der Zukunft klammern, während die Füße noch im Morast der Gegenwart stecken. Aus dem Abgrund emporsteigend, erklimmt man die Spitze der Möglichkeiten. Was ist Aussicht denn anderes als eine neue Chance, eine wiederholte Gelegenheit die Betrachtung zu ändern? Und wenn man bisher aus der Mitte des Abgrundes geschielt hat, geriet man nun eben an den Rand, an die äußerste Grenze, an die Unfassbarkeit mit den Augen zu sehen und daran zu glauben, was man mit ihnen sieht. Den Rand, die Möglichkeit alles Weiteren.

Ach, wenn das Herz diese Weitsicht hätte.

Sie lebt mit ihm wie auch Hunderttausende sonst. Krieg ist allerorts, ob im Großen oder ganz Kleinen. Dass er sie jedes Mal zerfetzt, sobald sie ihn berührt, ist das Ausmaß seiner Minenlandschaft. Drumherum kommt sie nicht, der erste Schritt ist immer schon Ein-Tritt ins Schwarze.


Wie nah sie beieinander sind. Krieg. Abgrund.
Liegen Hand in Hand und mit den Köpfen gegen die Wand, weil Betten immer wie Todgesagte an der Wand stehen. An einer Wand, an deren Kehrseite ein anderes Bett gerückt ist, andere Köpfe und Hände Hand in Hand liegen. Die Kriege und Abgründe der Anderen sind nebenan, sind immer eine wandbreit entfernt.

Sie hört ihn. Hört ihn durch die Wand hindurch das Bett, den Todgeweihten verschieben, als hätte er gelauscht, was in ihrem Kopf, hinter dieser Wand aus Gesicht und Haar vor sich geht.

Sie zieht mit den Fingern Landschaften in ihr nacktes Dasein. Überall dort, wo die Nägel einsinken, entstehen Gräben. Im Winter läuft er Gefahr! auf ihrer Haut auszurutschen oder schlimmer noch, einzubrechen. Im Winter hält sie ihn fern.

Randwärts.


Der Rand, diese Umrahmung der Dinge, alles Unfassbaren, die innen- und außenwendig abkapselt, einkerkert, ausschließt.
Formt. So wird der Rand Rahmen, Umzäunung aller Möglichkeiten, wird wegweisend und Berührungspunkt. Der Rand selbst ist der Abgrund. Weil er in dessen Form gezwängt nirgends Platz und Raum findet. Über ihre Einrahmungen hinaus kommen die Dinge nicht.

Wenn das Herz nicht umrandet wäre.

Über ihre Einrahmungen hinaus kommen die Dinge nicht!

Wenn das Herz nicht umrandet …

Der Krieg nimmt, was er möchte. Land, Leib, Leben. Er nimmt es zwischen die Hände, als wolle er zärtlich sein,
dann zerbröselt er es gewaltsam leise mit den Fingern, zerbröselt es und schaut zu, wie es zu Boden rinnt, wo er es das letzte Mal mit den Füßen noch erwischt, fest und erdig zu treten. Krieg muss nicht laut ausbrechen, um von sich Reden zu machen

Über ihre Einrahmungen hinaus kommen die Dinge …,

denkt sie und schaut in einen zugeklappten Spiegelschrank, der das Bild von ihr, ihr nacktes und krauses, kaleidoskopisch zerbricht. Selbst die Dinge sind seine, auf ihren Streukörper gerichteten Sprengwaffen. Mein Krieg, sagt sie vor Verstreuung im Raum nicht sicher, mein Krieg, wenn doch deine Liebe so gewaltsam leise wäre!
Sie könnte sie überhören und kaum bemerkend andernorts wüten lassen.

Aber selbst die Dinge sind seine, auf ihren Streukörper gerichteten Sprengwaffen.

Sie steht und hört seinen Schritten hinterher, als könnten sie allein schon gefährlich werden. Wenn sie das Herz nicht mit dem Leibe so ummantelt hielte, es spielte sich auf, sich hinweg und hinüber. Gerade so, als dehnte es sich aus dem Brustkorb heraus und überfiele so alles Übrige. Mit Äuglein schaute sie wie aus einem zu groß geratenen, hoch geschlossenen Pelz aus diesem Herzen hervor und wüsste gar nicht wohin. So viel getriebenes Herz um sie.

Aber: Über ihre Einrahmungen hinaus kommen die Dinge nicht!

Seine Schulter kugelt in ihrem Gelenk und sie stellt sich vor, wie es wohl wäre, geriete seine Schulter in diesem Augenblick aus der Einrahmung. Mit welchem Geschrei er plötzlich vor ihr stände. Aber er schaut und zeigt auf ein Bild und meint, es würde niemals aus sich heraus geraten, nicht die Farbe, nicht die Figuren, nicht die Absicht des Malers. Über ihre Einrahmungen hinaus, denkt sie, kommen die Gefühle nicht, nicht das Herz, nicht der Verstand. Und wenn sein Herz heraus geriete? Er schaute sie durch den Spiegel an wie ein Bild, und sie wartete schon darauf, dass er sagt, sie käme nicht hinaus, aus ihr heraus käme nichts, was dort jemand gewollt haben könnte. Und er spricht und zeigt mit dem Finger und meint, niemand und nichts kämen aus sich heraus und während er scheinbar aus irgendeiner durchlässigen Umrahmung tritt, stellt sie sich sein kriegerisches Herz vor. Wie es schlägt und hämmert und über sich hinaus nicht kann. Wie es aus ihm nicht heraus kann, nicht zu ihr, nicht zu irgendeinem.

Er reibt sich an ihr auf, während er von den Dingen spricht, die die Welt ausmachen, den Dingen, die so unfassbar zu greifen sind, weil sie in den Untiefen jedes einzelnen Menschen ankern. Verkennbar, sagt er, sind die Dinge und sie beobachtet die Öffnung und durch sie hindurch, über sie hinaus die Aussicht, die an ihr zur Wunde wird.

So viel getriebenes Herz.

Es wird Zeit, sagt er durch die verschlossene Tür. Sie zieht mit Fingern die letzte Landschaft, das tauende Schneefeld brach. Es ist Zeit, denkt sie. Zeit für Krieg. Zeit für Abgrund. Zeit von den grünen, seichten zu den Tiefenwassern zu wechseln.

Abgrund. Zumal er ein Ende, eine Schluss-, eine Torauslinie ist. Der Abgrund ist das Äußerste.

Ist Rand ohne Aussicht

Dienstag, 10. Februar 2009

Über ihre Einrahmungen hinaus kommen die Dinge nicht. Deine Schulter kugelt in ihrem Gelenk und ich stelle mir vor, wie es wohl wäre, geriete deine Schulter in diesem Augenblick aus der Einrahmung. Mit welchem Geschrei du plötzlich vor mir ständest. Aber du schaust und zeigst auf das Bild und meinst, es würde niemals aus sich heraus geraten, nicht die Farbe, nicht die Figuren, nicht die Absicht des Malers. Über ihre Einrahmungen hinaus, denke ich, kommen die Gefühle nicht, nicht das Herz, nicht der Verstand. Und wenn dein Herz heraus geriete? Du schaust mich an wie gerade zuvor das Bild, und ich warte schon darauf, dass du sagst, ich käme nicht hinaus, aus mir heraus käme nichts, was dort jemand gewollt habe. Und du sprichst und zeigst mit dem Finger und meinst, niemand und nichts kämen aus sich heraus und während du scheinbar aus irgendeiner durchlässigen Umrahmung trittst, stelle ich mir dein Herz vor. Wie es schlägt und hämmert und über dich hinaus nicht kann. Wie es aus dir nicht heraus kann, nicht zu mir, nicht zu irgendeinem.

Sonntag, 8. Februar 2009

Ich denke nach. Denke darüber hinaus, aus mir heraus und durch die Straßen, denke meine Schritte voraus, also durch die Straßen, durch die ich gehen werde, denke ich nur. Bedenke den Bordstein, über den allmorgendlich eine Alte stolpert, weil sie jeden Tag vergisst, dass der Bordstein an der immer selben Stelle wenige Zentimeter höher ist als an anderen Stellen. Durchdenke diese Alte, ihren Weg, den sie allmorgendlich zurücklegt ohne darüber Bescheid zu wissen, wo sie gewesen war, wenn sie zur Mittagsstunde wieder heimgekehrt ist. Wohin es die Alte treibt, denke ich, und wie ihre hinkenden Beine schmerzen mögen, wenn sich der Bordstein ihnen mit wenigen Zentimetern in den Weg stellt. Denke durch die Straßen und an die Ecke, an der ich stehen bleiben werde, weil mich etwas aufhält oder anhält, das weiß ich noch nicht zu denken. Ich werde es sehen, denke ich, wenn ich an der Ecke, die mich aufhalten wird sein werde. Und vielleicht, ich denke über mich hinaus, begegnet mir ein Mädchen, eines, welches ich vom Sehen her kenne, aber niemals gewagt habe anzusprechen. Eines von diesen Mädchen, denen man auf der Straße still nachsieht, weil man weiß, sie haben keine Ohren für einen wie ich es bin. Für einen, der hinaus denkt. Und vielleicht wird das Mädchen die Ohren noch immer nicht haben, auch nicht an der Ecke, an der ich stehen werde, weil ich wissen werde, dass ich mich an dieser Ecke aufhalten muss. Sie wird Ohren für einen wie mich nicht haben, aber das wird sie nicht wissen, weil sie mich sehen wird, wie ich stehe und nichts anderes tun werde, als sie zu erwarten. Mit ihren Augen, die nicht wie die Ohren dieser Mädchen sind, wird sie mich betrachten, wird meinem Gesicht folgen, meinem Kinn, das flieht, meiner Stirn, die angreift und meinen Augen, die einfach nur warten. Ich denke mich an dieser Ecke und das Mädchen, welches mich ansieht, weil sie mit Ohren nichts bemerken würde von mir, einer wie ich bin. Und ihr Mund wird näher kommen, wird von ihrem Körper losgelöst kommen und etwas flüstern, was ich nicht verstehen werde, weil ich kein Gehör für leise Worte habe. Also werde ich stehen bleiben, werde schauen und das Mädchen ansehen mit Augen, die nichts zu sagen wissen. Das Mädchen hingegen wird sich abwenden, weil sie meinen wird, ich habe sie verstanden und mein Nichtstun sei die Reaktion auf ihr Gesagtes, was ich nicht gehört haben werde. Dabei werde ich nicht zu hoffen wagen, dass sie mich erkennt, weil ich nichts sagen werde, weil ich ja von den Ohren dieser Mädchen weiß. Also, denke ich, wird die Ecke nur eine Haltestelle sein. Nur ein Vorübergehen, ein Warten, ein An- oder Abhandenkommen. Und dann werde ich das Mädchen gehen und die Alte kommen und stolpern sehen. Ich denke durch die Alte, die mich sehen wird als einen, der an der Ecke steht und Mädchen auflungert.

Samstag, 7. Februar 2009

Auf deinem Amboss, mein Freund, zerschlage ich mir die Erinnerung. Mit jedem Hieb sehe ich zu, wie sich Farben und Formen deformieren, wie das Erinnerbare unkenntlich wird. Vor unseren Augen betreibe ich Vergessenstechnik und –fortschritt. Siehst du?
Er schlägt auf all die schönen Erinnerungsstücke, da auf die Uhr, auf das silberne Armband, haut auf Hut und Ärmel, drischt auf alles und nennt mich dabei Freund. Dieser Heuchler, dieser Mensch. Und da. Noch einmal wuchtet er mit seinem derben Sein auf das lieblich Kleine, was ich ihm aus meiner Hand gab. Und nennt mich noch Freund dabei. Der Mensch!

Diese Anfangszene lege ich mir auf den Tisch. Das als Beginn einer Denkspirale oder eines Textflusses. Das ist gleich, und als erstes fällt mir Amboss auf und die Gewallt, die projiziert wird, der Hammerschlag. Dabei könnte ebenso Ambo stehen, was die Bedeutung ändert, vielleicht sogar ins Tiefere hinein, was die menschliche Beziehung der Dargestellten anbelangt. Wobei ich zugestehen muss, dass Hammerschlag ebenso ins Göttliche gerückt werden kann. Glaubensbekenntnisse. Was Freundschaft angeht?

Diese Zwei, wie Männer stehen sie dort, sind aber Bäume, die unablässig mit den Ästen aneinander schlagen. Sich aufreißen aneinander. So lange schon stehen sie dicht an dicht, rücken sich mit der Zeit noch näher. Und nun so nah, dass nichts mehr hält, auch ihre Nähe nicht, behält sich nicht im Stillen, wird laut durch die Gewalt zwischen den Ästen. Was sie alles teilen mögen, diese Zeit entlang, die sie miteinander verbrachten? Beinah wie Freunde, die sich in die Haare kriegen.

Das Ausbrechen aus dem Rahmen, die Betrachtung aus einer Distanz, die Näheres erlaubt. Und überhaupt der Handlungs- und Schöpfungsraum, der zulässt, was ich tue, welcher der Veränderung Bewegung leiht.


...

Mittwoch, 4. Februar 2009


„[…] Das Vergessen oder die Deformierung bestimmter Erinnerung … […] (Halbwachs)


Die Deformierung bestimmter Erinnerung. Wie schön und Sinn verändert sich der Ausdruck Vergessen formulieren lässt. Natürlich modifiziert der Mensch seine im Gedächtnis gespeicherten Erinnerungen. Ob nun bewusst oder unbewusst, spielt hierbei keine Rolle. Die Tatsache an sich ist ausschlaggebend.

Das Gedächtnis, diese Werkstatt im Meisterwerk Gehirn, in der sortiert und unsortiert die unterschiedlichsten Dinge aufbewahrt sind und zur unterschiedlichsten Zeit in unterschiedlichster Weise angewandt werden, ist wohl ein Ort unfassbarer Ausmaße. Wobei der Begriff Ort nicht als räumliche Gestalt gedacht werden darf. Wahrscheinlich ist in Betracht von Deformierung Werkstatt sogar ein passender Ausdruck. Im Gedächtnis wird geschraubt, gehämmert, gemeißelt, zusammen gesetzt, getrennt, gebogen, begradigt usw. usw..

Man könnte beginnen, eine Geschichte im Gedächtnis spielen zu lassen. Dort hinein einen Gegenstand zu setzen und dann die Arbeiten beobachten. Aber man könnte auch aus dem Gedächtnis hinaus treten und von Außen betrachtend untersuchen, was geschieht, wenn die unterschiedlichsten Dinge zur unterschiedlichsten Anwendung kommen. Am Beispiel menschlichen Verhaltens die Deformierung oder Formierung des Erinnerbaren ausprobieren. Soweit es fassbar sein kann.

Aber in welcher Art arbeitet das Gedächtnis eines Schriftstellers in seinen Werken mit? Worauf greift ein Mensch zurück, der soweit ausgreift, ein ganzes Figurenpersonal mit Erinnern und Vergessen zu bestücken?
Bedeck deine Scham, ich habe genug abgestandenes Leben gesehen. Seine großen Hände suchen ineinander Halt, gerade so, als hätten sie nicht gewusst wohin, hätte sie den Rock nicht wieder über ihre Hüften gezogen, so wie sein Mund, seine ganze Mannsgestalt es ihr geheißen haben.
Als er an ihre Tür klopfte, hatte sie mit seinem Kommen nicht gerechnet, sie hatte gedacht, er würde nie wieder zurückkehren, würde nie wieder seine Pranke in ihren Nacken und seinen Kopf an ihren Hals legen. Als er gegangen war, flüsterte sie ein Lebwohl in die Winterluft, die ihre Lippen so rissig gemacht hatte. Und nun steht er hier, steht in ihrem Raum und spricht von ihr, spricht mit ihr von ihr wie von einem leblosen Tier. Du hast kein Leben mehr zwischen den Beinen. Er zündet sich eine Zigarette an und beobachtet sie, wartet darauf, dass sie auffährt, wie eine Furie auf ihn einschlägt mit diesen kleinen Händen, die keine Fäuste sein können, mit ihnen auf seine Männerbrust schlägt, als gelte allein diese Geste als ein Ausdruck ihrer Gewalt.
Was willst du? Sie zittert weniger vor Angst oder Aufregung als viel mehr vom übermäßigen Kaffeegenuss. Seit Tagen trinkt sie nur Kaffee, versucht sich die Nächte lang wach zu halten. Seine Lippen gehen auseinander, als wollten sie antworten, und sie zittert, ohne dass er es bemerkt, zittert seiner Antwort entgegen. Aber seine Lippen versinken nur im Zigarettenqualm, der vor ihr aufsteigt.
Was willst du? Sie ist nicht zur Furie geworden, hat nicht mit ihren Händen, die keine Fäuste sein können auf ihn eingeschlagen. Stattdessen steht sie und zittert, während seine Lippen unablässig Qualm ausstoßen. Ich habe die Stadt nach was Lebendigen abgegrast. Ich dachte, irgendwo muss doch noch Leben sein, in irgendeiner Möse muss doch ein Herz schlagen. Beim Wort Möse ist sie zusammengezuckt, als hätte sie den Ausdruck von ihm nicht erwarten können, dabei kennt sie ihn. Wie er jetzt die Stirn ans Fensterglas lehnt, er schwitzt, denkt sie, und sie kann es sehen, sieht seinen Rücken, das Dreieck, was sich gleichschenklig von seinem Nacken nach unten hin ausbreitet. Und sie spürt etwas, was keine Wut, keine Enttäuschung sondern nur Mitleid sein kann. Deswegen können ihre kleinen Hände keine Fäuste werden, obwohl sie es doch wollte. So oft schon, wenn er da am Fenster stand und von seinen Streifzügen erzählte.
Anfangs dachte sie noch, sie ist ihm mehr als die übrigen. Weil er zu ihr immer zurückkehrte. Sie meinte, bei ihr findet er sich, wo auch immer er verloren gegangen war. Er geht, sie wartet, er kommt und bleibt für eine Zeit. Eben so lange wie er braucht sich zu finden. Aber das letzte Mal hatte sie ihm gesagt, sie werde nicht warten, werde nicht immer nur warten und mit jedem Mal älter werden. Er lachte, aber sie meinte, was sie sagte, meinte vor allem das Lebewohl ernst, was er schon gar nicht mehr hörte. Und nun lehnt seine schweißige Stirn an ihrem Fenster, wo er einen Halt sucht, Halt mit Aussicht.
Ich krieche in jeden beschissenen Winkel dieser Stadt, in jede beschissene Ecke der Weiber, aber glaubst, es wäre irgendwo oder in irgendeiner etwas gewesen? Es kostet ihn Kraft die Tränen zu halten. Dieser Berg von einem Mann. Er schwitzt sich aus. Das wird mich verraten, denkt er, aber die kennt doch auch nichts, weshalb bin ich eigentlich zurückgekommen. Ist dasselbe, du bist nicht anders. Seine Stirn hat sich mit einem Geräusch vom Glas gelöst und seine Augen treffen sie. Er sieht sie zittern –
Leblose Scheiße lässt sich auch nicht wieder beleben. Er nimmt seine Pranke von ihrem Nacken, löst seinen Kopf mit einem ähnlichen Geräusch wie vom Fensterglas von ihrem Hals. Lebwohl.

Sonntag, 18. Januar 2009

Ich weiß nicht, wohin mich meine Gedanken treiben und ob das Eigentliche gedanklich zu erreichen ist. Man scheidet sich an der Frage, ob körperliches oder geistiges Sammeln zu dem führt, nach dem man sich unentwegt auf der Suche glaubt. Bisher ist mir niemand mit einer eindeutigen Antwort begegnet. Und ich fühle mich im Leben wie in einem ewigen Strom um einen Strudel, dessen dunkle und verborgene Tiefe, dessen unerreichbare Mitte den Lebendigen dort jenes erahnen lässt, wonach er sich auf stetiger Suche fühlt. Immer nur kreist man darum herum, wie ein Staubkorn, das von etwas Schwerem angezogen und in Bewegung gehalten wird. Aber dass wirklich mal einer eingetreten und mit der Erfahrung, die er dort getan hat, zurück vor die Menschen gegangen wäre, davon ist mir nichts bekannt. Wer einmal die schwarze Mitte des Strudels erreicht hat, so scheint es, kehrt nicht wieder zurück. Sodann scheidet die Masse im Strudel sich weiterhin an der Frage nach Körper und Geist, nach dem Eigentlichen, das sie allerseits und jedweder Handlung zugrunde meint. Beinahe so wie die Planeten und Monde eines Sonnensystems unwissend um diese eine Sonne kreisen. Immerwährend.


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Wenn das Erzählen aber eine Kunst ist und das Betrachten des Erzählten für manchen Unterhaltung für den Genauen jedoch eine Wissenschaft, was ist dann die Literatur? Ist sie, kaleidoskopisch unter die Lupe genommen, eine Art Natur, die dem Einen als große Einheit, als Ganzes, dem anderen als biopsychischer Prozess und dem Dritten gar als einfach nur gegeben erscheint? Ist sie schon immer anwesend, und wird erst durch den Schriftsteller in Teilen sichtbar (durch den Leser erlebbar), tritt sie demnach jederzeit allerorts ans Licht, wo in der Kunst Stimme, Wort und Zeit eine Einheit bilden? Und ist diese Kunst so Raum gebend, dass Millionen Menschen sich in ihr aufhalten und von ihr leben können?