Mittwoch, 18. November 2009

Ich weiß, du bist in L. und wahrscheinlich schaust du aus diesem Stillleben unbewegt hervor, das ich von dir kenne. Aber es wird nicht schneien, während hier im Norden die ersten beginnen Schneeketten über ihre Frühlingsgefühle zu ziehen. Du sagst, es sei das Leid einiger, in ihren Gedanken stecken geblieben zu sein, und ich sehe dich denken. Ich weiß nicht, ob es wirklich ein Leid ist oder war oder demnächst für andere noch sein wird. Ob man in einer Gedankenwelt in einen Stau, in eine Sackgasse, in Einbahnstraßen geraten kann, weiß ich nicht. Dem Gedanken sind die Grenzen nicht wie dem Körper gesetzt.
Das letzte Mal, als wir einander sahen, war Sommer gewesen. Vielleicht keine Jahreszeit, vielleicht nur eine Übergangsvariante, so wie man auf dem Weg von der Umkleidekabine zum Wasserbecken ein Handtuch umlegt. Nur eine Möglichkeit die Zwischenzeiten zu überdauern. Ansonsten auch mit dir nur virtuelle Hinterzimmermöglichkeiten. Weil sich im Dunklen die Dinge anders sagen lassen? Poetenbar mit Poetenaugen an Poetenwänden. Dass wir nicht lachten und dabei im Ernst noch immer den Wein ausschenkten! Wir sprachen über das Schreiben, als sei nur das es gewesen, über das wir hätten miteinander sprechen können. Als ob wir überhaupt hätten so schreiben können, dass sich darüber sprechen ließe. Einer von uns war ausgeflogen, wäre ich es gewesen, ich hätte ausgeflohen gesagt, aber ein anderer war über den Nestrand gesprungen und ist bisher nicht wiedergekehrt. Dort, wo ich seit Jahren bin, kehrt niemand hin. Gewagt Ungewagtes gehe ich an …


Am ehrlichsten schreibst du immer noch, wenn du an dich selbst adressierst. Ehrlich, ehrlicher, am ehrlichsten? Wahrheit oder nicht, das ist hier die Aussage! Du liest die Blätter der Anderen, als wären sie an dich gerichtet, oder eben auch, du schreibst die Blätter, als wären sie an Andere gerichtet. Die Frage, wie verlässlich das Schreiben ist, wird eins mit der Frage, wie verlässlich das Lesen ist. Und ich könnte an dieser Stelle beginnen, ICH zu schreiben. Aber du wirst mir zustimmen, kaum einer spricht sich über die Schulter selbst ins Ohr. Ins Gewissen, vielleicht, ja, aber ins Ohr?
Wie weit ist es bis zum Rand, vom Alltäglichen zum Schönen? Wo entlang zieht sich das Grenzsein zwischen Hier und Dort. Hier, wo ich bin und dort, wo du bist. Hier, wo ich schreibe, dort, wo du liest. Und wenn ich von Phantomschmerzen spreche, überall dort, wo du nicht bist – (auch hier eine Wiederholung nur) – wo ist dann dieses überall dort und wo genau sind die Schmerzen?
Du löst deine Worte inmitten einer Unmenge von Worten, so als lösest du eine handvoll Salz im Meer auf. Und dann sitzt du auch noch hier/dort und wartest, dass jemand genau dein Salz im Meer erkennt, es herausschmeckt. Auch hier ließe sich der Gedanke mit dem Wald und den Bäumen, dem Förster und der Schneise anbringen. Alle Gedanken ließen sich im Grunde verbinden, nur bekäme man einen Strick nie gebunden, weil es keinen Anfang, kein Ende nehmen würde.
Wenn dir einer einen Narziss vor Augen hielte, würdest du dich wieder erkennen? Ich sage wieder erkennen, nicht erkennen, weil davon auszugehen ist, dass du dir längst selbst in Vergessenheit geraten sein könntest. Fluchtkörper sind zumeist ohne Erinnerungsschranken. Nicht und nirgends ein Ort, der etwas aufhält. Gedächtniskultur ist eine Kultur des Aufbewahrens. Und wer flieht, hält an nichts mehr fest. Vielleicht bist du Fluchtkörper geworden, weil du mit diesen Köpfen, die durchdringend mit einer Art von Flucht beschäftigt waren aufgewachsen bist. Die Mauer gab jeden Anlass Entkommensgedanken wie heimliche Pflanzen zu kultivieren. Und alles, was wächst, beeinflusst das nebenan Wachsende. Unkraut, Wild- und Freiwuchs. Hättest du einen Förster gebraucht, um keinen Fluchtkörper zu bekommen?



Wenn einer einen Förster braucht ….
Manche sagen, wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Ich habe gerufen, aber heraus kam nichts. Nicht aus meinen Mund, nicht aus dem Wald selbst. Vielleicht ist der Himmel wie der Wald, auch nur eine Summe von Einzelnen und wir sind gar nicht in der Lage, das Einzelne in der Summe zu erkennen. Du könntest jetzt hier mit Mathematik beginnen, aber inwieweit ein Schneider dazu befähigt sein wird, aus Flüssen ein Meer zu stricken, weiß ich nicht. Ich ahne. Ahne immer nur von dem, was nicht ist. Und jetzt bist du nicht mehr, zumindest nicht hier und dort, wo ich noch bin.
Per Briefpost durch die Galaxie, durch die Zwischen- und Hintertüren der virulent Virtuellen, hin zu den universal Progressiven. Wenn die Flaschenpost das Meer überdauert, überdauert vielleicht der Mensch seine eigene Zeit und Technik. Wenn einer einen Förster sucht, geht er hinein in den Wald und kehrt nicht wieder hinaus.

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