Donnerstag, 30. August 2018

Die kurze Zeit deines Lachens

Läufst nachts durch die Straßen und klopfst an die Türen der Nachbarn. Läufst und rufst und klopfst und weißt am darauf folgenden Tag von alledem nichts mehr. Schimpfst mich eine Lügnerin, schimpfst mit Tränen in den Augen, mit bläulich schimmernden Schatten unter deiner weißen, dünnen Haut. Du grübelst und klopfst dir gegen den eigenen Kopf, klopfst und würdest doch schlagen wollen, weil dein Kopf dir unvertraut wird. Vielleicht glaubst du sogar, er käme dir abhanden. Oder aber ich, ich, die Lügnerin. Ich Kassandra in verkehrter Zeitabfolge des Gesehenen, ich käme dir abhanden. Und wie wir alle weinen, weinst auch du, sobald du allein bist, weine auch ich, sobald ich allein bin. Alle weinen wie du weinst.
Deine Hände verschränkst du vor deinem Bauch, die Daumen kreisen umeinander. Du bist unruhig und sagst das auch. So dünn die Haut unter deinen Augen, aber wenn du lachst, siehst du, für die kurze Zeit deines Lachens, glücklich aus.

Sonntag, 19. August 2018

Sagst, du kannst und du willst auch nicht mehr. Sagst das und kraulst dich mit den abgerundeten Fingerkuppen hinter den Ohren. Sagst, das Alles täte dir nicht gut. Und überhaupt! Ja, sage ich. Schlussstrich. Luftmatratze. Blasebalg. Kannst du pumpen und den Stecker ziehen. Luft ablassen. Du sitzt und ich sehe dich kraulen und weinen und schweigen und schauen und fürchten.

Und nichts als die Welt dreht sich weiter. Dreht sich nicht um dich. Nichts und niemand dreht sich um dich. Auch wenn es laut ist nicht. Ich atme. Und das nicht nebenher wie sonst üblich sondern bewusst und deutlich, als solltest du nichts als mein Atmen hören. Hörst du mich!

Dass ich große Knochen habe, sage ich. Und du schaust und kraulst einfach weiter, als hätte ich nichts gesagt. Und ich stehe vor dir, kratze dir den Schorf von den Wunden, kratze und pule bis es blutet. Du sagst nichts. Nicht dazu und auch sonst. Zum Beispiel zum Drehen der Welt sagst du nichts.

Amygdala. Ist ein schönes Wort, sage ich. Hast du Angst? Vor schönen Worten vielleicht oder sonst vor den Dingen, wie sie sind und was sie anzurichten vermögen. Fürchtest du dich? Man sagt nicht umsonst, Hunde können deine Angst riechen. Und dass Stöcke im Unterholz die Angst vor Schlangen lostreten. Amygdala, wiederhole ich. Aber du sagst nichts außer, dass du nicht mehr willst und auch nicht kannst. Und die Angstanlage hast du abgeschaltet, nirgends schrillt Alarm.

Limbisch drehe ich mich ein, winde mich um deinen Balken, der zwischen deiner rechten und deiner linken Weltsicht steht. Säume deine Wahrnehmung,  am Balken wie ein Segel im Wind gespannt. Doch du sagst nichts. Vielleicht weil du jetzt weißt, dass sich nichts, nicht einmal die Welt um dich dreht. Drehdichein. Sage ich und gucke und bete dir die Fachtermini nicht am Rosenkranz aber doch schmerzverzerrt herunter.

Inzidenz. Prävalenz. Morbidität. Letalität von letum, letalis.

All das Wissen hübsch in Worte gepackt. Ich euphemisiere dir gern die Welt, die sich nicht um dich drehen möchte. Auch nicht, wenn du mit den Füßen auf den Boden stampfst. Auch dann nicht!

Mit den Händen halte ich meinen Mund, ihn nicht immer sprechen zu lassen. In all das Schweigen, das auszuhalten gelernt sein möchte, in all dieses Schweigen hinein halte ich meinen Mund mit den Händen. Du sitzt und ich sehe dich sitzen. Ausgesetzt habe ich dich. Hineingesetzt in diese Welt, zu diesen Menschen, die nicht deine Welt zu sein scheint, zu Menschen, die dir nicht ähnlich zu sein scheinen. Da sitzt du nun. Sitzt dich aus. Sage ich. Luftmatratze, Blasebalg.


Was fehlt dir denn, frage ich. Und du suchst mit deinen abgerundeten Fingerkuppen Halt zu finden. Lächerlich!  Mir fehlt es an Worten, mir fehlt es an Zahlen, mir fehlen Gedanken, Gefühle fehlen mir nicht. Mir fehlt ein Verständnis der Dinge, die ich da sage, halte ich mir nicht mit Händen den Mund zu. Mir fehlt eine Reizstärke, die ausreichend wäre, in mir auch einmal etwas loszutreten. Es fehlt mir an Menschen, die schwindelfrei meine Drehdicheinzeit aushalten. Es fehlen die Winde in den Segeln um weiter, um endlich vorwärts zu kommen. Es fehlt mir an Ruhe in der Welt, die sich nicht um mich, aber doch drehen möchte. Dreht.

Dienstag, 14. August 2018

Ich sage immer, mir brennen die Augen und dass das der Ruß der letzten Jahre sei. Auf dem Rad zum Beispiel oder in der Bahn. Wenn ich an der Ampel stehe und mich jemand fragt, weshalb ich weine, oder wenn mir in der Bahn jemand gegenüber sitzt und sieht, dass meine Augen tränen und der mich fragt. Dann sage ich das.

Und es fühlt sich auch so an. Zuerst spüre ich den Rand meiner Augen. Diese zarte, hell schimmernde Haut, diesen Rand, den manche Menschen farblich noch weiter linieren. Genau da beginnt der Brand und zieht sich in das jeweilige Auge hinein und kreiselt inwendig weiter. Es kommt vor, dass das rechte Auge weniger stark brennt. Aber auch andersherum. Dann weidet das Brennen, wird flächig, sodass Tränen hervorschießen, als wollten sie das Feuer löschen. Das passiert in meinen Augen, der Rest meines Körpers bleibt unbetroffen, als wären Abschirmdämme oder Schutzwälle vor den Rändern meiner Augen aufgestellt worden. Der restliche Körper fährt Fahrrad oder sitzt in der Bahn oder steht, geht, liegt. Das hängt von der Uhrzeit ab.