Donnerstag, 11. Dezember 2014

Hinterher werden wir sagen, wir hätten das Laub nicht fallen sehen. Hinterher werden wir stelzbeinig im Minirock stehen und uns über die Kühle der letzten Tage beschweren. Wie wir den Winter nicht haben kommen sehen, werden wir sagen und kopfschüttelnd, ein Bein nachziehend die Allee entlang wandern. Warten, dass ein eiliger Fahrer seinen Wagen stoppt, uns auf seine Spritztour einzuladen. Solange er zahlt, sagst du und unterbrichst mich in dem, was wir alles nicht gesehen, nicht bemerkt, nicht gewusst haben werden. Denn, dass die Zeit kommen würde, in der uns unstete Fragen gestellt werden würden, dass diese Fragezeit kommen würde, das hatten wir gewusst. Wir hatten gewusst, dass die zertretenen Füße uns in diese Fragezeit hinein und aus den normalen Zuständen hinaus katapultieren würden. Und trotzdem werden wir sagen, wir hätten das Laub nicht fallen gesehen.

Dass mir dieser vielgliedrige Fuß in seinen Einzelteilen so fremd sein würde, hatte ich nicht ahnen können. Sie haben ihn mir abgenommen, wie man Jemandem am Reklamationsschalter ein defektes Gerät abnimmt, sie hatten diesen einen vielgliedrigen Fuß von mir genommen und vor mir in seine Einzelteile zerlegt. Scheibchenweise zerstückelt. So saß ich, den Kopf fest auf die Schultern gestützt, der Fuß lose vom Rest meines Körpers, so saß ich und hörte die stampfende Stimme der Schwester über den Gang eilen: „Nicht mal zum Frühstücken kommt man!“. Ich saß und stellte mir vor, wie der leere Magen der Schwester sich umdrehen und sie von innen her überfallen wird, und ich bekam Angst, sie könnte über den Flur zu mir in dieses Zimmer treten, meinen abgenommen Scheibchenfuß sehen und genüsslich hineinbeißen. Wie man eben genüsslich in ein Stück Fleisch beißt, wenn man seit Stunden nichts zu essen bekommen hat. Wenn man solange nichts zu essen bekommen hat, dass der eigene Magen über einen herfällt. Wenn man nicht zum Essen kommt, weil Füße abgenommen, betrachtet, zerscheibt und wenn möglich auch repariert werden wollen.

Der Fuß in seinen Einzelteilen war einer genaueren Untersuchung wert, befand man. Hier ein Brüchchen, der Spalt gerade wie ein Haar dünn, kaum zu beachten, dort ein Riss, da ein Gewölbe im Knochen, und anderswo, als habe jemand angebaut. Die Stimmen klingen wie aus einem Rohr. Scheibchenweise dringen sie hervor, treten mir in den Gehörtunnel, schlagen an Schädelwände, hallen zurück. Prallen wütend ab, dort, wo sie nicht weiter kommen. “Keine Brüchchen, keine Risschen. Ihr Fuß sieht in seinen Einzelteilen, soweit wir blicken können, gesund aus! Knicken sie beim Gehen nach Innen?“  Ich versuche mich an mein Gehen zu erinnern. Ich erinnere mich nicht. Ich verlor jede Haltung, nachdem die Sache mit den zertretenen Füßen begonnen hatte. Ich fiel zur rechten Seite ab, die linke knickte ein, der Oberschenkel zog zusammen, die Hände griffen nach allen Seiten an alles Halt- und Stützbare. Wohin knicken denn meine Füße, wohin sollten sie denn knicken, frage ich mich. Und kaum hatte ich keine Antwort gegeben, stampfte schon wieder die Hungerstimme der Schwester durch den Flur: „MEEEEEEENSCH!“ Ich könne jetzt gehen, sagt die Scheibenstimme. Wie ich ohne den mir abgenommenen Fuß denn gehen solle, frage ich und schaue auf die Einzelteile vor mir. Der Scheibenautomat spuckt Bilder in Passbildübergröße. Motorengeräusche, als wollten wir auf der Stelle zum Mond fliegen. Ich nehme eines der Bilder und klebe es mir an die Hosennaht, genau dort, wo mir der Fuß mit Handschuhfingern abgenommen worden war. Es will nicht halten.

Ich werde sagen, ich habe von all dem nichts gewusst. Ich werde meine Fingerknöchel aneinander schlagen und überlegen, in welche Richtung wir die Hunde loslassen sollen. Und dort, wo dann der Knochen bricht, dort wo die größere Hälfte des kaputt gegangenen Knochens sein wird, dorthin wird das Glück fallen, und dorthin wird der Größere von uns beiden treten. Wenn möglich auch auf Füße.

Und dass das Laub gefallen war, bevor wir uns die Füße zertraten, davon werden wir nichts gewusst haben.

Montag, 10. November 2014

Mit den Beinen, die sonst Sprungkörper sind, stehe ich. Ich stehe und rücke vom Fleck nicht einen Millimeter ab. Dabei ist die Abrückzeit längst gekommen. Sie ist und war vielleicht auch. Ich wusste früher schon um meine Schwächen im Zeitrechnen, und nun stehe ich und verstehe die Zeit nicht zu subtrahieren, dass sie von Neuem auf mich zukommen würde. Mit der Zeit und ihren Rechensystemen verstehe ich mich nicht. Nur die Beine sind nicht länger die sich mir über Jahre anvertrauten Fluchtkörper.

Sitzen. Nicht länger stehen. Und Atmen. In den Bauch. Aus dem Bauch heraus. In die Schultern, die sich heben und wieder senken. Atmen in die Hohlräume des eigenen Körpers. Vielleicht bis hin in die tiefste Magengrube, sie mit Luft aufzublähen. Sich Aufbeulen. Sich so lange aufbeulen, bis die Sprung- und Stehbeine dünn, nur noch Fäden am Ballonkörper sein werden. Haltestrippen.


Die Zeit und ihre Systeme vom Handgelenk streifen und aus den Augen verlieren. Die Flucht anordnen. Ballonen werden. 

Sonntag, 31. August 2014

(W)ortpflanzung.

Ich pflanze mich wort. Hier und anderswo. Dort großspurig im Zeilenabstand. Großzügig  halber Tacho. Ich denke an Drosselbart und spiele mit Königsworten. Aus Prinzessinnenhaar flochten wir Fluchtseile und stießen die Jahrhundertträume aus den offenen Fenstern. Schwester, wir warfen wortlos Wunder über Bord.

Großzügig. Ein windiger Zeilenabstand. Raum schaffen und wo kein Raum ist, Nischen sagen. Und besetzen. Nesthocker bleiben. Sich einverwaben. Mehreckig Beine und Arme arrangieren und mit den Augen gucken. Unbewegt einverwabt bleiben.

Ich pflanze mich wort.

Sprich nicht so hochtrabend. Sagte Mutter. Also grub ich tiefer und pflanzte Wort für Wort und bedeckte Wort für Wort bis zum letzten Punkt mit Erde. Ich presste und drückte. Faltete eine Fluchtlinie für das Regenwasser, faltete die Erde beidseitig der Wortsprösslinge zu schmalen Tälern.

Sah damals und auch später kein Gedeihen.

Die Worte weg-  und abtreiben. Der Mund, ein sich nicht schließender Bauch. Der Mond, ein sich immer wieder halb- bis ganz erhellender Punkt. Ein Leuchteloch. Ein Magnet. Eine Saugschale. Der Mund nur ein vernachlässigtes Worthaus. Mehrstöckig ohne Nachlass. Lass nach, Stockmeer !

Der Mond nur ein hieb- und stichfestes Argument für Ebbe und Flut.

Aus Prinzessinnenhaar, Schwester, flechte ich mir ein Kleid. Hochtrabend, Mutter, stecke ich alle Worte in Brand. Alle Pflanzungen treiben, werden WortWildWuchs.


Ich pflanzte mich wort.


Montag, 11. August 2014

Ich habe mich auf Kindertage hinunter skalpiert. 
Und die Einen verstehen das Schnittmuster nicht. Die Anderen suchen noch,
das Verhalten zu erklären. Erklär- und Musterbasis. 
Lache ich skalplos ein Kindlachen.  

Man darf nichts unversucht lassen! Auch nicht das Kindlachen im Erwachsenenmund.

Ich habe mich vor meine Schuld und Sühne gestellt. Habe mich abgeschirmt. 
Habe Regenfallen gespannt. Ich habe meine Haut mit Silberfolie verlötet,
reflexiv zu werden. Weil ich dachte, um reflektieren zu können, müsse ich strahlen.

Seither strahle ich. Und vielleicht. In Jahren voraus. Ich werde reflektieren
und Dinge aus und von mir strahlen sehen, die längst erloschen sind. 
Erloschen sein werden. Zu dieser Zeit. In kommender Zeit. 

Rückblickend erscheint ein anderes Licht.

Ich habe mich auf Kindertage hinunter gebrochen. Um nicht zu sagen: 
mich skelettiert. 
Ich höre noch heute das Geräusch, wenn Vater das Mark aus dem gekochten Tierknochen saugt. 
Das Geräusch, wenn Vater das Weihnachtsbratenskelett mit den Händen teilt. 

Rauvaterhände.

Ich verspachtle längst verlassene Räume.

Große Hohlräume stopfe ich mit Toiletten- oder Wisch- & Wegpapier. 
Auf Rauvatertapete streiche ich grün und rot und blau und gelb.

Ich muss Licht ab- und zurückwerfen. Wellenlängen voraus, denke ich rückblickend. 

Mittwoch, 6. August 2014

Schreiblos. Seit Tagen schon. Nicht ohne Worte, nur ohne festgeschrieben zu sein. Also ungeschriebene Festworte oder unbefestigte Schreibworte. Fängt ja alles an, wo irgendwo alles gleich aufhört. Wie Nachbars Hund, der sofort aufhört, geht jemand an Nachbars Haus vorüber. Nur vorüber. Nicht hinein, oder drum herum. Es geht nur einer vorbei, weil er eben muss, weil die Straße oder eben der Fußweg keinen anderen Weg erlaubt, er muss da einfach an Nachbars Haus vorbei, und der Hund hört sofort auf. Das fängt ganz klein an und ist dann doch ein ganz großes Aufhören. Als bewegte das irgendwie die Welt. Der Anfang des Vorbeigehens und dann das Aufhören des Hundes. Reiht sich immer alles aneinander. Eigentlich hört gar nichts auf, alles bedingt nur etwas Anderes. Etwas Folgendes.

Als ich aufhörte zu essen, begannen meine Augen zu schmerzen. Erst rechts diese kleine Ecke, über die man, wenn man sie streicht, direkt in das Auge hineingreift und aus dem Auge herausstreicht. Erst dort. Dann aber irgendwann das ganze Auge. Also beide. Beide Augen in Gänze. Andere sahen das gar nicht, weil es sich hinter meiner Brille abspielte. Und die Gläser schützen immer einen anderen Blick vor. So, wie ich durch die Brille die Welt besser sehe, sehen andere durch meine Brille meinen Blick schöner. Einfach, weil ich meinen Blick nicht mehr so verengen muss. Seitdem ich die Brille trage, verenge ich meinen Sehrahmen nicht mehr. Da fällt jetzt viel mehr auf mich ein. Und gleichzeitig können die, die mir durch meine Brille in die Augen schauen, wenn das Glas nicht unbedingt spiegelt, können diese jetzt viel mehr meines schönen Augengrüns sehen.  Weil ich die Augen nicht mehr verenge, ist die Sichtfläche in meine Augen hinein eine größere. Die Leute sehen also durch meine Brille mehr von mir. Das schöne Grün. Zum Beispiel. Und auch die Stirn runzle ich nicht mehr. Die Brille hat mein Gesicht verändert. Und den Blick auf mich. Und meinen Blick natürlich ebenso.

Aber. Als ich aufhörte zu essen und meine Augen anfingen zu schmerzen, also auch als ich über diese Anfänge hinaus war und ich nicht mehr aß und meine Augen schmerzten, war mein Blick abgelenkt, sogar eingeschränkt. Schmerz lenkt ab, lenkt immer auf sich selbst, zieht die Aufmerksamkeit von aller Welt ab und auf sich hin. Ein Schmerzpunkt ist sozusagen ein Aufmerksamkeitszentrum, ein schwarzes Loch, was alles Drumherum absorbiert und nur sich selbst geltend macht. Ein Schmerzzentrum schmerzenster Materie.

Und da ich immer gleich bezweifle, was ich nicht begreife, begriff ich andauern meine Augen. Ich strich drüber, ich pikste hinein, immer dorthin, wo ich den Schmerz vermutete, als wollte ich mich seiner vergewissern, oder ich hoffte, jedes Mal ins Leere, also ins Schmerzleere, Schmerzfreie zu treffen. Ich hoffte das noch. Fürchtete das. Vielleicht. Tagelang. Ganze Nächte. Wochen.

Ich fing dann einfach wieder zu essen an. Das ist ein Abschluss, eine bestehende Sache in der Vergangenheit. Ich hatte wieder angefangen. Aber eigentlich führt sich dieses Handeln immer noch fort. Dauert also aus der Vergangenheit, sogar der eigentlich abgeschlossenen Vergangenheit an. Dauert bis hin zur Gegenwart. Also durch die ganz zeitnahe, beinah noch nicht existente Vergangenheit hierher in den Augenblick. Anhaltend Gegenwart. Und wird fortwähren. Wird Morgen noch sein. Also auch das, was schon in der Vergangenheit abgeschlossen war, wird Morgen noch anhalten. Oder einfach: wieder stattfinden. Sich wiederholend.

Nachdem ich mit dem Essen wieder angefangen hatte, hörten jedoch nicht die Augenschmerzen auf. Meine Augen waren also nicht wie Nachbars Hund und mein Essverhalten kein Vorübergehendes. Es mag daran gelegen haben, hatte ich gedacht, dass die Augen ja keine Ohren sind. Aber ich aß weiter. Hätte ich es nicht getan, wäre es ja nicht bis hierhergekommen. Also das Essen. Das hält ja an. Wie ich schon sagte. Das Schmerzzentrum zentrifugierte und alles, was leichter als der schwere Schmerz war, breitete sich aus, flog aus der Schmerzmitte und streute. Streuschmerz. Wie Haare. Die am ganzen Körper auftauchen. Dünn und vereinzelt oder büschelweise. Konzentriert an einem Punkt. So der Schmerz auf meinem Körper. Jeder Körperpunkt ein Schleudertrauma. All das, was aus dem Schmerzzentrum gestreut und geschleudert worden war, prallte anderswo auf und dagegen. Also auf mir.

Mit dem Essen hatte das also nichts zu tun. Obwohl ja immer etwas, etwas ganz anderes bedingt.

Das Essen also nicht.

Und es ist auch nicht so, dass diese Schmerzen irgendwann mal aufgehört hätten. Die haben also auch keine Ohren. Nicht wie Nachbars Hund, der immer sofort aufhört, wenn einer an Nachbars Haus vorüber geht, vorüber gehen muss, weil ja kein anderer Weg die Straße entlang führt. Diese Schmerzen seien Phantomschmerzen. Sagte man mir. Eine unwirkliche Erscheinung. Eine Einbildung. Ein Geisteswerk.

Aha. Sagte ich. Und drückte mitten ins Schmerzzentrum hinein und hielt den Schmerz, hielt ihn fest und aus und sagte: „Du bist nur Einbildung. Du bist nicht real!“ Und ich drückte und alles tat weh, tat so sehr weh, dass ich nicht mehr Anfang und Ende des Schmerzzentrums ausmachen konnte. Wie man die Anzahl der Haare auf dem Körper kaum ausmachen kann. Vereinzelt oder büschelweise. 

Wenn ich anfange zu schreien, bedingt das irgendwann ein Nichtschreien. So, wie das Einholen das Ausholen bedingt. Oder setzt das Eine das Andere voraus?

Das ist wie mit dem Schreiben. Der folgende Satz würde eigentlich einen nachfolgenden erfordern. Aber ich sage einfach hier: STOPP ! 

So ein wenig schreiblos sein. Seit Tagen schon. Das ist Geisteswerk, sage ich mir. Durch die Brille.

Freitag, 11. Juli 2014

Ich kann nicht atmen. Es gelingt mir einfach nicht, die Luft aus dem Raum vor meinem Mund in den Röhrenraum im Innern meines Mundes zu ziehen. Ich hole die Luft, hole sie ein, hole sie über die Lippen, durch die geöffnete Zahnreihe hinein, ziehe und sauge und fühle sie nicht tiefer gelangen. Sie bleibt da irgendwo auf der Zunge, irgendwo in den Taschen meines Zahnfleisches, irgendwo zwischen den Papillen auf meiner Zunge. Aber tief in meinen Röhrenapparat hinein gelangt diese Luft nicht. Bleibt einfach stehen, als vermute sie in der Tiefe, die sich hinter meinem Zäpfchen auftut, ihr Verderben. Ein Verderben im schwarzen Schlund meines Körpers. Ich kann sie verstehen, die Luft. Nur meinen Saug- und Röhrenapparat verstehe ich nicht. Er muss kaputt gegangen sein. Sodass ich hier sitze und um diese zur Verfügung stehende Luft ringe, sodass mir hin und wieder schwindlig wird, und ich dem Mund weit aufreiße, um überhaupt noch etwas von der im Raum vor meinem Mund zur Verfügung stehenden Luft ab- und in mich hinein zu bekommen. 

Ich habe Not. Eine sich mir aufdrängende Atemnot. Wo ich sonst so nebenbei und nebenher Luft hole, atme, wird diese Not jetzt riesig und furchtbar und ganz unmittelbar, legt sich mir in den Mund, in den Brustkorb, breitet sich aus. Die Not zeichnet sich auf meinem Gesicht ab, zeichnet meine Gesten und Handreichungen. Ich reiche niemandem mehr die Hand. Ich bin zu sehr damit beschäftigt, aus dieser Menge an zur Verfügung stehender Luft, nur ein klein wenig für mich ab- und in mich hinein zu bekommen. Ich sitze still, um meinem Bedarf an Atemluft niedrig zu halten. Ich sitze still, reiche niemandem mehr die Hand, atme nicht mehr nur nebenher, sondern atme um mein Überleben. 

Es ist, als atmete ich durch ein schwer genässtes Leinentuch. Als sei mein innerer Mundrachenhöhlenraum trockene Sandlandschaft. Kein Speichel, keine Feuchtigkeit, sodass ich immerwährend Wasser zuführe. Das Schlucken geht nicht mehr. Und jedem Sprechwort folgt ein Bellhusten. Der Apparat ist kaputt! Also schlucke ich kaum mehr, nur Wasser, immerfort Wasser aus Flaschen. Also spreche ich kaum, und wenn, dann flüstere ich. Die Atemnot ist inzwischen auch Schluck- und Sprechnot geworden. Als wäre alles dieser Not dürftig. Dabei habe ich das nie gewollt! Komischer Körper. Zwingt mich, mit der Not, die er anrichtet, Abstand zu nehmen. Körperabstand. Fühle mich hündisch werden mit diesen Belllauten. Fühle mich fischig mit dieser an der trockenen Luft entstehenden Not. Fühle mich überhaupt nicht mehr. Vor allem nicht sicher. Unsicher in diesem Körper, der an dieser Röhrenluftmaschine hängt, von ihr abhängt.

Ich denke nach, was geschehen wird können, wenn die Not noch größeren Raum in mir einnehmen wird. Was, wenn die Luft ganz außerhalb meiner Atemmaschinerie bleibt. Außen vor. Sozusagen.Wenn da also nur noch Überlebensnot anstelle meines Körpers sein wird. Ich könnte ein Messer nehmen, ein Cutter und dort stechen, wo ich die Luftzufuhrröhre vermute. Und dann würde ich spüren, wie endlich frische und massig von der zur Verfügung stehenden Luft hinein strömt. Mein Körper könnte aufatmen, sich ausdehnen und sich aalen in all der zugeführten Frischluft. Schnittzufuhr. Sage ich mal dazu. Ich würde einfach einen Schnitt setzen und endlich wieder atmen können. Nicht so nebenher, eher so ganz direkt ohne Umwege durch Lippen- und Zahnspalte. Wie gut sich eine ausreichende Luftzufuhr anfühlt, denke ich. Wie gut. Das weiß man erst, wenn man die Not kennt, wenn das Nebenher und Nebenbei plötzlich nicht mehr so nebenher und nebenbei ist. Ich warte und halte still. Spreche nicht. Trinke Wasser. Führe Luft in Kleinstmengen durch letzte Zugkraft meiner Atemapparatsmuskulatur zu. Male mir diesen Freiluftröhrenschnitt aus.

Dienstag, 8. Juli 2014

Sie greifen an. Sie sind unterwegs - mit den Knüppeln wie ein dritter Schlagarm. Noch angelegt, noch beinah nicht sichtbar, noch irgendwie versteckt unter ihrer eigenen Schutzmaske aus Kugel- und Angriffssicherheit. Schlagbolzengesichter. Diese Menschen und ihre Bolzhaut, ihren Schlag-zu-Gefühlen. Diese Menschen. Polizisten!
Ich habe sie greifen und zuschlagen sehen. Habe gehört, wie andere schrien und konnte selbst nicht schreien. Nur hinsehen. Und die Bolzhände, die nicht länger den Hosenbund halten konnten, die nicht wollten, die einfach nicht still und kontrolliert bleiben wollten. Diese Schlagarme, wie sie ausgefahren wurden und niederfielen. Gewaltsam. Ohne Vorwarnung. Schlagarms Eigenleben.
Und wie die Gruppe funktioniert. Wie alle sich dem größten Schlagarm unterordnen, seine Ordnung an- und übernehmen. Eine Bolzenmentalitätsordnung. Eine Machtausspielungsperpektive. Und die, die am lautesten schreien, müssen am weitesten zurück gedrängt werden. Denn nicht alle Hände dürfen ihre Schlagbolzenlust auskosten. Zuviele Zuschauer. Wenn einer nur etwas sagt. Wenn einer nur über die Stränge reißt, ist das auch im Nachhinein schön zu reden. Polizeisprecher sind auch Euphemisten! Einsatzverteidiger. Menschenankläger. Schuldvertuscher. Nicht immer, nein! Aber eben auch das.

Und da. Der Pfahl. Wie sie ihrem Opfer den Pfahl zwischen die Beine treiben. Wie sie sein Bein um das Eisengestänge biegen, es beinah auch brechen. Wie sie ihre Gewalt ausleben, wie sie treiben und schreien und ihre Fäuste – auch ohne Schlagknüppel, aber wie Schlagknüppel – verwenden. Wie sie ihre Schmerzhände in die Körperseite ihres Opfers treiben. Ein Mensch, der am Boden liegt. Ein Mensch, und drei Schlagbolzengesichter. Schreien nützt nichts. Schreien und dort fliegt ein Fahrrad, weil die Rufe nicht wirken. Weil die Menschen, die sich ansammeln, keine Wehr haben gegen die Macht, die dort gewaltsam vor sich geht.

Die Gruppe funktioniert. Die, die vielleicht sieht, was wirklich geschieht, hält sich abseits, spricht in ihr Funkgerät. Spricht und bittet Verstärkung an, droht Verstärkung an, fordert Verstärkung an?! Einsatzbereitschaft. Hier und vor Ort. Gestern, Heute, Morgen. Sie marschieren auf. Hundertschaften, vermummt in ihren Hochsicherheitsanzügen. Sie rücken an, als rückten sie gegen eine schussbereite Armee vor. EIN MENSCH. Liegt am Boden. Andere schreien noch immer. Aber die Hundertschaft wird wissen, was zu tun ist. Alle für einen. Alle Schlagbolzen für den einen, der die Gewalthände nicht am gehorsamen Hosenbund halten konnte.

Die Gruppe funktioniert. Auch die, die schreit. Die um Hilfe ruft, wobei es die Helfer sind, die prügeln. Die Gruppe, die schreit, sie sollen nicht verletzen, nicht „weh tun!“. TUT IHM NICHT WEH ! Ein so einfacher Satz. Ein so kleiner Satz. Eine so große Bitte in Anbetracht der Gewaltmaschine, die da losgerollt ist. Und sie tuen ihm weh! Bereiten ihm Schmerzen. Mit den Knüppelfäusten in die menschliche Körperseite, mit dem Eisenpfahl zwischen den Beinen, mit den überdehnten, auf den Rücken getriebenen Armen. Sie tun einfach nur weh. Sonst nichts!

Die angerückte Hundertschaft. Wir sind die Macht! Zerstreukörper. Sie treiben die Menge auseinander. Die Hundertschaft drängt die Hilferufmasse weg, drängt sie ab. Drängt alle Augen vom Geschehen weg. Drängt ihre Schutzgruppe in ihren Schuss- und Angriffschutzwesten in Abseitsstellung. Das Opfer bleibt zurück. Bleibt in der Masse der Schlagbolzengesichter gefangen. Wird bleiben. Ungesehen.

Samstag, 5. Juli 2014

Ich bin heute seicht. So ein wenig nah am Wasser gebaut. Und ich denke mir ein Gewässer aus, in dessen Nähe zu sein, mich seicht erscheinen, mich seicht sein lässt. Ein tosendes Gewässer, eines, was nur auf der Oberfläche Ruhe ausgebreitet hat, in dessen Gräben jedoch tosend die Welt geschieht. Eine ungesehene Welt. Eine Welt, die mich seicht und nah am Wasser sein lässt.

Und kaum bin ich seicht und mir auch meiner Seichtheit bewusst, steht da auch schon einer. Einer der draufhaut. Nur mit gewählten Worten ausholt und dann zusieht, wie der Zweifel Sturmwellen über mich treibt, wie der Sturm mich ins Wanken bringt, wie der Sturm mich unter die Ruhe der Oberfläche drückt. Wie ich ohne Reaktion und Weiterkommen still stehe. Wie ich in mein seichtes Gewässer und dort in die Tiefenströmungen stürze.

Ein Schreihals. Ein Haudegen. Ein Tunichtgut. Sage ich mir, als könnten diese Ausreden und Zurechtlegungen Schwimmflossen bedeuten. Ich schreie und bläue mir ein, was der, der da zuschlug alles ist und welche schlechten Gründe er hätte haben können. All das tue ich, während die Tiefenstrudel mich kreiseln und solange zentrifugieren bis die Tränen doch an den Rand und darüber hinaus gedrückt sind. Hier. Im öffentlichen Raum.

Wegen einer Anmaßung. Wegen eines Fehlers. Wegen etwas, was die Welt nicht bewegt, ein Leben nicht am Leben hält. Etwas, was ärgerlich aber nicht unerträglich ist. Etwas, was aushaltbar ist. Deswegen strudle ich, während der Schreihals, der Haudegen, der Tunichtgut anderswo noch wütend das bekommen wird, was er bei mir nicht fand. Eines kleinen Fehlers wegen.

Und ich hänge die Seichtklappen ein, hänge alle Schutzschilde auf, ziehe einen Zaun um alle mich umgebenden Gewässer, sammle Rohre für einen Schnorchel und stecke die angrenzenden Gebiete ab.

Freitag, 4. Juli 2014


Ich saß mit Einer, die des Wilderns wegen in die Wälder gegangen war. Wir saßen und sie trank, obwohl sie schon getrunken hatte, bevor wir zusammen saßen. Wir saßen, sie trank und ich wusste nicht die Flasche Bier mit den Zähnen zu öffnen. Es gibt Frauen, die können das. Die machen das. Eine Bierflasche, den Kronkorken mit den Zähnen von der Flasche lösen und so die Flasche öffnen. Ich wusste nicht, wie die Frauen das machen und schaute nur, die vom Bier gekühlte Flasche in den Händen.

Wenn eine, die des Wilderns wegen in die Wälder gegangen ist, beginnt von Liebe zu sprechen, wird es ganz komisch. Mir wurde komisch. Vielleicht auch, weil ich das Wort Liebe nicht mit etwas in Zusammenhang bringen kann, was mit dem Wildern einhergeht. Ich bringe ungern Dinge zusammen. Ich habe ja auch selbst kaum Verständnis für Liebe. Für Zuneigung und Zugetansein. Ich habe kaum Gefühl für die Nähe zwischen den Menschen.

Ich gab die geschlossene Flasche, die vom Bier nicht mehr ganz durchgekühlt schien, zurück an die Eine, mit der ich da saß. Sie nahm sie, fletschte die Zähne, und die gespannte Haut über meiner Wirbelsäule begann sich in Erwartung des Unfassbaren zu kräuseln. Aber die Wilderin setzte den Kronkorken nicht an ihre weißen Zähne. Sie öffnete von mir ungesehen die Falsche mit den Fingern. Wer Hühnerhälse bricht, dachte ich, für den ist ein Kronkorken ein Kinderspiel.

Ich begann auf die Nähe zwischen der Wilderin und mir zu achten.

Entortet. Sagte ich ihr. Ich fühle mich entortet. Ich wäre nicht länger vor Ort und Stelle ansprechbar, sagte ich, und dass ich ohne Punkt auf weiter Flur wäre. Ein wenig verloren vielleicht, ein wenig 

o r t s u n a n s ä s s i g.

Und das sowohl da Draußen, wo ich mit der Wilderin saß als auch ganz Innen, wo ich mit mir allein bin. Das wäre genau so, sagte ich und die Wilderin setzte sich den Flaschenmund auf die eigenen Lippen. Und ich wartete auf ein Geräusch, ein Geräusch wie das Hühnerhalsumdrehen.

Die Wilderin nickte mir zu und also sprach ich weiter, während sie wieder nur trank. Ich klopfe, sagte ich, ich klopfe mich ab. Wie man Schmutz oder ungewollte Schuld von der eigenen Schürze klopft. Oder wie Menschen schlechte Gedanken und Atmen- und Herzrhythmusstörung wegklopfen. Ich klopfe mich von der Haut bis auf die Knochen ab. Oder auch frei. Mich von Haut und Knochen frei. Und ich sei in großer Erwartung, was da bleiben würde. Oder kommen würde. Abhanden.

Oder. …

Und ob sie noch erinnere, weswegen sie in den Wald gegangen sei, fragte ich die Wilderin. Die nur den Flaschenmund an ihre Lippen ließ. Und ob sie im Wildern ansässig geworden sei. Die Frage stellte ich ihr, während ich auf die Nähe zwischen der Wilderin und mir achtete. Zuviel Nähe, bedeutet zu wenig Distanz. Und ich merkte, wie ich dafür einfach kein Gefühl finden konnte. Also beließ ich es bei den Bezeichnungen der Dinge, ihren Ursachen und dessen Folgen, achtete aber weiterhin darauf.



Dienstag, 1. Juli 2014

Vielleicht weil es Sommer ist. Ich habe mir vorgestellt, mich mit einem Eislöffel in kugelförmige Einzelteile zu zerlegen. Mich so auszuschaben und die Kugeln aus meinem Fleisch und Blut und Sein in eine durchsichtige Kiste zu legen. Wer mag. Wer sich traut. Wer mutig ist. Kann hinein springen. Werden die Kugeln aus meinem Fleisch und Blut und Sein den tragen, der mochte, der sich getraut hat, der mutig war? Oder wird dieser jemand einfach nur durch diese Kugeln aus meinem Sein und Blut und Fleisch hindurch und auf den Boden der Kiste fallen. Stürzen?

Wer weiß so etwas?

Vielleicht weil der Sommer kein Sommer ist. Liege ich in einer Art Winterstarre. Oder bin aus dieser nicht heraus zu bekommen. Es ist nicht warm genug, um sich zu bewegen. Es ist nicht warm genug, um etwas von Wärme um mich herum zu spüren. Und wenn es nur Zuneigung wäre. Eine Hinwendung eben. Oder Zuwendung.

Abwenden. Soll sich die nicht ausreichende Wärme. Soll von mir weg und später in das Jahr rücken, später dann, werde ich die Kehrtwende der Zustände einfordern. Ich kenne welche, die nennen sich Wendekinder. Und ich stelle mir vor, wie diese selbst ernannten Kinder immer an einen Punkt der Wende gelangen. Ihren eigenen Lebenspunkt gar. Aber sie drehen sich nicht im Kreis, sagen sie, wenn ich sie nach ihren Wendepunktleben frage.

Und wenn ich dann mehrheitlich kugelförmig sein werde, passe ich nicht länger in die Enge von Ecken und Kanten. Rund muss dann auch das mich Umgebende sein. Die Wärme zum Beispiel. Oder überhaupt alles mir Zugewandte. Alles mich Einnehmende. Kugelrund, kreisrund.

Donnerstag, 5. Juni 2014

Alle Welt scheint zu schreiben. Weshalb also schreiben? Um an der scheinbar ganzen Welt teilzuhaben? Teilzunehmen? Ein Teil des Bestandes zu sein. Ein aktiver Bestandteil der scheinbar ganzen Welt, der ganzen scheinbaren Welt?

Ein Bestand. Ein Teil. Ein Teilbestand des Seins. Des großen ganzen Seins. Ich bin Teilbestand in all meinen Einzelzuständen. Auch in der Gesamtheit meiner Zustände, in meinem Gesamtzustand Bestandteil eines scheinbar ganz Weltlichen sein.

Wenn ich so anfange zu reden, ist immer auch ein Teil in mir, der sich abspaltet und diesen so redenden Teil, an eine Wand stellen möchte. An eine Wand der Enge wegen, an eine Wand, weil es sich dann nicht weitergehen lässt, an eine Wand des möglichen Abschussgefühls wegen. Des Allgemeinortes in der Sprachwelt wegen. JEMANDEN AN DIE WAND STELLEN …. Der Rest ist Denken. Also darüber denken, was dann geschehen könnte. Was dem An-Die-Wand-Stellen folgen kann. Folgt!

Ich schreibe. Aber meine Texte möchte keiner. Das ist ein großer Unterschied in der eigenen Empfindsamkeit der eigenen Wertschätzung dessen, was man tut, gegenüber Jemandem, der schreibt, dessen Texte gewollt werden. Ja!

Ich schreibe unpolitisch. Wie es allgemein der jungen Literatur vorgeworfen wird. Wie es der jungen Literatur allgemein vorgeworfen wird. Aber ist das Politische eine Bedingung, die das Schreiben voraussetzt? Erwarten wir von politisch aktiven Menschen, dass sie schreiben? Was ist ein Literat? Ein schön schreibender Politiker? Wer stellt welche Erwartung? Und was verdammt den schreibenden Menschen dazu, politisch zu schreiben? Das verstehe ich nicht. Aber vielleicht muss der, dessen Texte gewollt werden, sich hinstellen und Meinung annehmen, Meinung haben und literarisch verarbeiten. Von ihm wird vielleicht erwartet.

Aber es ist ein schöner Rahmen, in den sich allerhand Menschen stellen, um zu reden, um zu schreiben, um zu lesen, um sich einer Meinung anzuschließen, um sich ihrer Meinung auszuschließen, um um um … Ringsherum der Debattenrahmen. Schön ist er. Er bringt mich zum lächeln.

Wer morgens lächelt ist womöglich abends gut zu Bett gekommen?

Ein abgelehnter Text wirft mich stets in Tiefen. Und in den Tiefen schreibe ich dann an die Wände, dass ich nicht mehr schreibe, nicht mehr schreiben werde, nie geschrieben habe. Nur schreibend kann ich mein NICHT-Schreiben ausdrücken.

Verrückt. Was?

Wohin schreibe ich also, wenn meine Texte an keinem Ort Geborgenheit finden? Geborgenheit für einen Text ist eben das Papier. Papier gebunden zu einem Heft, zu einem Buch, zu einem Blättchen. Ein Ort eben, der für jedermann, der möchte, begehbar ist. Wohin ihr ortlosen Texte? Wären es Kinder, es gäbe Orte und Klappen. Aber Texte?

Das hast du davon, dass du unpolitisch schreibst. Sagt einer. Und ich denke, ja. Scheint so. Oder eben weil ich jung war. Inzwischen zähle ich längst nicht mehr in diese junge Generation. Oder, weil ich nicht auf die Schule gegangen bin. Also die Schule fürs Schreiben. Oder, weil ich kaum Menschen kenne. Oder. Sage ich dann eben so. Und beschreibe weiter die Wände in meiner Tiefe.



Sonntag, 13. April 2014

Und alles in diesem Kopf. Schwirren und Schworren. Ein Kopfinnen wie das Wimmeln in einem belebten Ameisenhaufen. Immer dieser Kopf. Der denkt, wenn er schlafen sollte, der denkt, wenn er nur zuhören sollte, der denkt, wenn er trinken und essen sollte. Dieser immer denkende Kopf. Er lässt sich nicht lahm legen. Nicht mit Wein, nicht mit Brot. Mit nichts kann ich diesem Kopf kommen, sodass er sich lahmgelegt glaubt. Oder glauben lässt. Unaufhörliches Kopfeigenleben. Und ich atme, atme in den Bauch, mich selbst in diesen Bauch hinein, in diese schmale Gegend, Hauptsache aus dem Kopf hervor und heraus. Atmen.

Ich habe diesen Kopf benutzt, habe Schminkfläche aus ihm gemacht, habe Ansichtsformen mit ihm gestaltet, so viel habe ich versucht, diesen Kopf seines Zweckes zu entfremden. Irgendwo muss man ja anfangen, hatte ich gedacht. Und irgendwo muss man irgendwann auch enden können, denke ich jetzt. Der Kopf ist Anfang und Ende. Auch wenn der biologische Anfang ein hauptsächlich ausscheidender Zellhaufen ist,  der sich formt und weitet, bis aus dem Zellhaufen auch Kopf und Rumpf und Glieder werden, ist aller Anfang doch der Kopf. Bewusst und unbewusst.

Bunte Beine. Bunt bestickte Beinhaut. Ohne die bliebe der Kopf an immer gleicher Stelle. Armer Kopf, so unbewegt und doch grenzenlos frei. In seinem unendlichen Denken. Aber ohne Beine ein Stelldichein. Auf diesen Punkt, auf diesen einen Ort in deinem Leben, auf diese Winzigkeit der Welt. Köpfchen aus der Kiste. Mit dieser Springfeder als Hals. Als Hauptdrahtader, als Heb-mich-hervor-und-zeig-die-welt-organ. So ein Ablageplatz für den Kopf. So eine Kiste eben bräuchte ich. Ich legte den Kopf dort hinein und vielleicht käme er dann ein wenig zur Ruhe. Aber so ein Kopf hat seine eigenen Augen, seine Ohren, hat seinen ganz eigenen Kopf. Und selbst wenn die Augen nicht sehen und die Ohren nicht hören, der Kopf kann sie sehen und hören machen. So ein Kopf ist eine Zauberkiste. Und längst nicht jeder Zauberer weiß, was er sich aus dem Hut zieht. So ein Hand-Rein-Und-Mal-Gucken-Was-Kommt birgt immer ein Risiko. Nicht jeder weiß um seinen Kopf.


Und selbst die, die darum wissen, wissen nicht viel. Ich weiß nicht viel. Weiß um diesen Kopf wie um einen an meiner Seite, der stetig etwas verlangt und stetig abverlangt. Weiß um diesen Kopf wie um eine, die mir aufsitzt und mit ihren Stricken und Leinen mein Leben zieht. Mich durch das Leben zieht. Wie man einen zu dicken Faden versucht durch das schmale Ohr einer Nadel zu ziehen.

Donnerstag, 20. März 2014

Und wir sitzen und trinken. Du aus der Flasche etwas, was auch kalt ist. Ich Espresso. Seit ich keine Milch mehr trinke, trinke ich Espresso. Ausschließlich. Und aus kleinen Tassen. Immer nehme ich eine kleine Tasse mit, wenn ich außer Haus gehe und etwas trinke. Ich bestelle Espresso, trinke und nehme die kleine Tasse mit. Ohne Unterteller bitte, sage ich. Und im Nachhinein steht dort, wenn ich mit der kleinen Tasse gegangen sein werde, dann steht dort kein zurückgelassener kleiner Unterteller. Niemand, der etwas verrät. Obwohl. Man sagt: Untertasse!

Wir sitzen und reden über Menschen, wie wir selbst welche sind. Wir sitzen und reden über Menschensachen, und ich lache und warte, dass du etwas sagen wirst, was auch andere Menschen sagen. Aber wenn du es sagst, klingt es nach dir. Nicht unbedingt deine Stimme, sondern eher, wie du die Dinge, die auch andere sagen, wie du diese Dinge sagst. Das ist eigen. Ich ertappe mich, wie ich dir von Dingen erzählen möchte, die nicht auch Dinge anderer sein können, weil es eben meine eigenen sind. Ich ertappe und erwische mich und dann warte ich. Ich warte gern. Und auch ausdauernd, dann werden es manchmal mehr als nur eine kleine Tasse.

Im Sommer immer nur reisen, sagst du. Ich kann mir das nicht vorstellen. Immer reisen. Immer nur Sommer. Ich bin so verwurzelt. Ich komme gar nicht los und ich möchte auch nicht. Ich liege gern am immer selben Fleck auf der Wiese im Park in der Stadt, weitab dem Elternhaus. Ich liege gern, sage ich und du schaust in die Sonne, die immer gleich nach Sommer aussieht.

Donnerstag, 6. Februar 2014

Manchmal möchte ich eine bisher ungesehene Tür aufstoßen. Das Sehen allein genügt dann schon längst nicht mehr und ich stehe vor dieser - so lange Zeit für mich nicht einsehbaren - Tür, und ich möchte sie aufstoßen und stoße nicht. Weil mich etwas abhält, etwas zurück- und meine Hände auf dem eigenen Rücken verschränkt hält. Und ich stehe, und meine auf dem Rücken weilenden und ungeduldigen Hände wundern sich über die Augen, die so lange nicht hingesehen hatten, die so lange Zeit immer hinsahen aber doch die Tür nicht erkannten. Was ist bloß los mit euch?, fragen die beschränkten Hände die Augen, die höher und zur nun ihnen sichtbaren Tür hingewandt sind. Was ist bloß los? Ich beobachte nicht ganz teilnahmslos, also ohne hinzusehen, denn man kann auch mit allem anderen beobachten, ich beobachte das Gespräch zwischen meinen Augen und meinen auf dem Rücken liegenden Händen. Was mag ihnen durch den Kopf gehen?, denke ich und muss lachen, weil ich sogleich begreife, dass sie ja einen gemeinsamen und zwar meinen Kopf haben. Ja, was geht da hindurch? Während meine Hände so sind und die Augen, und während wir alle gleichzeitig  einzeln und doch auch gemeinsam sind, was geht da hindurch? Und wer sagt, dass sich immer nur mit den Augen beobachten ließe, wer sagt denn sowas?

Ich höre, wie mit Pauken und Trompeten Stimmung gemacht wird. Wie kann ich das Barometer meiner selbst sein? Wie kann ich meinen Druck und meinen Zustand ermessen? Ihn festlegen und führen, aufzeichnen und Statistik zur Auswertung werden lassen. Wie mache ich das nur? Barometer, Barograph, Mikrobarometer, weil auch die kleinsten und die noch längst kleineren als die Kleinsten es schon sein können, weil auch diese meine Zustände von mir wahrgenommen werden und vermessen werden möchten. Um handlungsfähig zu bleiben. In mir. In der Umwelt. Für mich, also meiner Umwelt auch zuliebe. Wenn also meine Gefühlslagen nichts als Druckverhältnisse wären, wie könnte ich mir Barometer und all die Folgedinge sein? Und ich möchte eine Graphik, eine Linie, eine Zitterlinie, hoch und runter, rings und quer, eine Verzeichnung zwischen den Koordinaten der Messbarkeit. Ja. Ich möchte klare Sichtverhältnisse.

Ich könnte mich auch in so einen Glaskörper verwandeln. Weit davon entfernt bin ich kaum. Durchsichtig, zerbrechlich, Flüssigkeit haltend, nach Bedarf abgebend, bis zu einem bestimmten Grad erhitzbar, auch zur Unterkühlung der Inhaltsstoffe geeignet. Ich werde also Glaskörper und gebe meinen Flüssigkeitshaushalt preis. Das Schwelgen und Köcheln, das Gerinnen und Tropfen. Usw. Usw.

Du verlierst die Tür aus den Augen!, sagen die Hände.

Ja. Die Tür. Noch immer nicht aufgestoßen. Eine, die ich kenne sagt noch, sie habe so viele Dinge im Kopf und deswegen komme sie nicht zu den Dingen. Ich habe sie das sagen gehört und überlegt, welche Dinge sie im Kopf habe, zu denen sie aber nicht komme. Und wie sie das dann anstellen könnte. Mit den Dingen. Und auch mit ihrem Kopf. Und ich sehe die Tür, wie die Augen eben sagen, dass sie sehen und ich fühle die Hände auf dem Rücken, die Ungeduld nicht mehr aushalten. Sie zucken und reißen auseinander, reißen, einen Luftstrom und einen Luftwirbel bildend nach vorn, reißen hin zur Tür, die so aussieht, wie meine Augen anmelden, dass sie aussieht. Und die Dinge im Kopf, zu denen werde ich auch nicht kommen, also darf ich diese Tür nicht im Kopf haben, nicht länger im Kopf halten, denn meine Hände können ungemütlich werden. Ungemütliche Greife und Reißer sind sie, wenn sie in den Zustand geraten, in den sie immer geraten, wenn sie nicht zu fassen bekommen, was sie fassen möchte. Unguthände. Und diese Hände könnten Köpfe abreißen, denke ich mir und stelle mir den Luftstrom und –wirbel vor, den das verursachen würde.

Ich stelle mir das vor und fürchte, durch das Reißen diesen Wirbel im Kleinen zu entfachen, ihn wirbelnd um sich selbst von sich selbst an Größe dazu gewinnend, diesen Wirbel, der zwirbelt und strudelt bis er groß geworden sein wird, und dann würde er so sehr um sich selbst zwirbeln, dass er sich ganz verwirbeln und damit sich selbst verschlucken würde. Schwarzes Loch. Das wäre, was bliebe. Ein schwarzes Loch. 

Freitag, 24. Januar 2014

Wir stoßen wenigstens noch aneinander, sind wie gerissene Angelschnüre, die durch einen Fluss treiben aber zum Meer nie gelangen. Als würde das Meer noch etwas ändern. Vielleicht sind wir einander die größten Lügner, jeder im Geheimauftrag des anderen unterwegs, bleiben die unbesprochenen Dinge unter dem Teppich gekehrt. Andere wickeln Leichen, wir treten mit Absatzschuhen jeden Kahlschnitt und flaumlosen Teppich. Wir geraten an uns selbst in die windigste Ecke. Und dass du nicht widersprichst, liegt nur daran, dass du ungesagt bleibst. Wobei ungesagt nicht unaussprechlich bedeutet. Also spreche ich dich, spreche regelmäßig die Abfolge der Buchstaben.

Am Anfang war das Wort.

Ich sage das und denke, vor dem Wort müssen die Silben, müssen die Buchstaben, müssen Laute gewesen sein. Demnach zerteile ich kleinstmöglich alles Sprechbare, teile hinab und hinauf, teile hinab und hinauf. Zerfalle im Zerlegen selbst, falle hinab, falle hinauf und bleibe nur dort hängen, wo das Sprechbare ungesagt bleibt. Vielleicht sagt einer, Wiederholung, alles nur Nachahmung und immer Selbes. Recht hat er. Aber dort, wo ich nicht wiederhole, muss ich schweigen. 

Luftlinie, wenn es die unter Wasser gäbe, ungefähr 200 Kilometer, die uns unterscheiden. Angelschnur ist Angelschnur, die eine etwas dicker für Hochseeangler, die andere etwas dünner, beinah unsichtbar, für die, die im Klaren und Flachen fischen, aber was sie wirklich unterscheidet, ist die Entfernung, ist das Gewässer. Ich habe so gern Gefilde im Haar, sage ich, nicht weil ich es so meine, nur weil es so klingt. Gefilde im Haar. Das ist nicht der Inhalt, das ist das Gesprochene. Geh Hilde und fahr! Manchmal darf ich Dinge nicht ungesagt lassen.

Donnerstag, 9. Januar 2014

Namenlos, die Alte auf der Tankstelle, namenlos der Ort und die Zeit rundum. Ich rechne mir an den Fingern aus, welche Jahreszahl zu der Alten passend wäre. Ich errechne mit meinen zehn Fingern eine Unmenge an Zahlen. Keine erscheint mir geeignet, die Alte auf der Tankstelle zu beziffern. Bleibt sie mir eben unbezeichnet, was ja auch sein Gutes hat. Denn das, was man namentlich kennt, dafür fühlt man sich mitunter, wenn auch nur ein wenig, doch man fühlt sich mitunter verantwortlich. Und für die in den Mülltonnen der Tankstelle grabende Alte möchte ich nichts fühlen. Empfinde mich ja selbst kaum, ertappe mich nur selten in dem Zustand eines Mitgefühls. Lass sie reden, sage ich mir immer, wenn sie reden und mit Mitgefühl prahlen. Wer redet, soll eben auch anwenden, sage ich. Und bringe postwendend die Unfähigkeit für Mitgefühl auf.

A. sagt dann manchmal, er wisse gar nicht, was er an mir finde, und was an mir, ihn halte. Und ich gucke und strecke ihm mich entgegen. Du wirst schon wissen, denke ich dann, und strecke noch mehr und sehe seinen Blick über mein gestrecktes Sein streifen, als streife er durch unwirtliche Gegenden. Was weiß ich, was ihn hält. Meine Hände können es nicht sein.
A. ist ein Mann mit Maß. Das richtige Augenmaß zur immer rechten Zeit. A. hält Abstand, wenn Abstand geboten ist, A. tritt heran, wenn der Umstand der Nähe bedarf. A. ist immer in richtiger Distanz zu mir. Und deswegen bin ich bei ihm, und ich werde solange bleiben, solange A. mit dieser wunderbaren Maßarbeit umzugehen versteht.

Vor der namen- und zahlenlosen Alten auf der Tankstelle senkt er den Blick. A. schaut ungern anderen Menschen in ihrem Elend zu. Dabei sage ich, er wisse doch gar nicht, ob die Anderen ihren Umstand als Elend empfinden. A. bleibt dann oft still und ich bin gar nicht sicher, ob er wirklich still bleiben möchte oder sich viel mehr dazu zwingen muss. A. ist mir nicht immer durchschaubar. Seit Jahren ergründe ich ihn und sein Verhalten. Alles Verhalten lässt sich systematisch einteilen. A. überrascht mich bisweilen. Auch deswegen bleibe ich. Ich bleibe immer solange, bis ich einem System auf die Schliche gekommen bin und mich die Umstände zu langeweilen beginnen. A. langweilt mich nicht. Noch nicht. Bisher für eine ungebrochen lange Zeit. Das beeindruckt mich. A. weiß davon nichts. Muss er aber auch nicht.

Die Alte auf der Tankstelle. Diese Tankstelle liegt auf dem Weg, der Weg zwischen Innenstadt und Wohnung. Wir wohnen abseits, ein wenig von den Hauptstraßen abgerückt, ein wenig zurückgestellt, ein wenig von Nebenstraßen umgeben, ein wenig hintan gerückt. Unsere Wohnung, die anfangs nur A´s. Wohnung gewesen war, liegt im obersten Geschoss. Keine Schritte, die kopfüber treten, keine unnötigen Besenstiele, die man gegen die Decke stoßen müsste, nur die Ratten, die nachts über die Dachbodendielen kriechen. Auch A´s. Wohnung weiß Maß zu halten. Wenig Platz aber nirgends rücken einem die Dinge, sind es nun Möbel oder andere Sachen, zu nahe. Alles hält seinen Raum und damit auch meinen. Wäre es anders, wäre ich nicht zu A. gezogen.

Die Tankstelle liegt genau in der Mitte. Gleicher Abstand zu unserer Wohnung und zum Stadtzentrum. Ein Dreh- und Angelpunkt also, ein Anhalt für Radius und Durchmesser, ein Punkt, an dem das Pendel immer diese wenigen Sekunden zum Ruhestand kommt. Ruhig zwischen Fall- und Aufstiegsbewegung. Und so stehen wir hier, stehen und sehen die Alte, die weder Namen noch Zahlen verrät. Sehen ihr beim Graben in den zu hoch hängenden Papierkörben zu. Die Körbe hängen so hoch, dass man den Arm ein wenig strecken muss, um etwas hinein zu werfen. Um in ihnen zu graben, bedarf es eines Hockers, bedarf es eines Gegenstandes, womöglich einer auf dem Kopf stehenden Bierkiste, etwas was einen selbst ein Stück erhöht, sodass man mit den Armen oder einem Stock als Hilfswerkzeug hinein, also nach unten greifen kann. Also graben. Umwühlen, scharren und suchen. Sich durch benutzte Papiertaschentücher, ob nun für den Nasenrotz oder anderen Körperschmutz gebraucht oder einfach nur zum Trockenwischen eines Fahrradsattels, oder gebraucht um eine blutende Wunde abzudrücken, gebraucht und weggeworfen. Eben dieses kleine Stück nach oben, um die Papierkorböffnung zu treffen, dieses kleine Stück nach Oben geworfen, um dann nach Unten zu fallen. Graben zwischen angebissenen Apfelstielen und leeren Dönerpapierhülsen, graben und scharren bis zum Grund. Um was zu finden? Einen verschmähten und deswegen weggeworfenen Burger? Eine nicht im Fall von oben nach unten zerborstene Pfandflasche, eine nicht bis zum Schluss abgelutschte Bonbonverpackung, eine vom Schimmel angegriffene Bananenschale?

A´s. gesenkter Blick stört mich, stört ebenso, wie Kinder, die nicht wissen wohin, während die Eltern sich unterhalten. Wissen nicht wohin mit sich, wissen nichts mit der aufmerksamkeitslosen Zeit anzufangen und beginnen also die elterliche, die Pflichtaufmerksamkeit, Pflichtfürsorge wieder auf sich zu lenken. Kinder stören mich zuweilen und jetzt stört mich A´s. gesenkter Blick. Als würde der vom Umstand abgewandte Blick den Umstand ungeschehen machen. Ja. Ungesehen. Ja. Und ja, so lösen sich Eltern auch aus den vertracktesten Gesprächsknoten, sich an ihre Elternaufmerksamkeitspflicht erinnernd, winden sie sich heraus und wenden sich ihrem schreienden, krallenden, schniefenden, ihrem ungeduldigen Kind zu. Da ist nirgends wirklich Abstand oder angemessene Distanz, da ist aber auch keine angemessene Nähe. Das ist ein ganz unwirklicher Zustand, ein kaum auszuhaltendes Inmitten-Sein, ein Schweben zwischen unbestimmten Bewusstseinszuständen. Unerträglich beinah. Da muss ich erst suchen, welchem System ich nun angehöre und welches Verhalten dieses System jetzt abverlangt. Wenn die Regeln dann alle befolgt sind, ist die Gefahr gebannt. Zumeist folge ich dem einfachsten System, nämlich meinen. Meiden und Umgehen. Situationen meiden und umgehen, sich, also mich in Sicherheit, heißt in einen gewissen Abstand bringen. Die Unfähigkeit des Mitgefühls nutzen und sich entziehen. Das ermöglicht mir die Szenerie zu beobachten. Ich kann anwesend und doch völlig unbeteiligt sein.
A. schaut zu der Mülltonnenalten, schaut über sie wie über eine endlos schöne Landschaft. Verliert sich beinah im Schauen, bis ich ihn stoße, so leicht mit dem Ellenbogen in die Seite stoße. Ich werde nicht schlau aus seinem Verhalten. Erst wegsehen, dann hinsehen, dann davon nicht mehr wegsehen, sondern beinah schon starren. Und nichts daran ändert den Umstand der Alten. Nichts von diesem ganzen Schauen erleichtert ihr ihre Grabarbeit, nichts davon holt diesen elenden Müllkübel tiefer, sodass die Alte einfach hineinsehen könnte, einsehen, ob das Hineingreifen in die schimmligen Schalen, die zerborstenen Scherben, ob das Hineingreifen in den grüngelben Rotz, in das getrocknete Blut, in den klebrigen Bonbon, ob es sich denn wirklich auch lohnt dort hineinzugreifen.

Ich kralle meine Finger in seine Handfläche. Ich kralle und spiele Vogel. Ich spiele, ich könnte abstürzen, sollte ich nicht fest genug krallen. Weißt du, flüstere ich in die Stadtzentrumrichtung. Weißt du, die meiste Zeit habe ich Angst. Angst, sollte ich die Augen schließen, sollte ich ruhig und in guter Gewissheit, alles bleibt wie es ist, sollte ich so die Augen schließen um sie unbesorgt wieder zu öffnen, und sollte ich dann meine in Unbekümmertheit geschlossenen Augen wieder öffnen, vielleicht nur leicht, ganz sacht einen winzigen Moment breit, nur öffnen, wie man Augen nach einem Lidschlag wieder aufschlägt. Die Angst, dann wäre da plötzlich wieder eine Mauer. Eine Mauer mitten im Land, mitten in der Stadt, mitten durch unsere Leben hindurch. A. lacht. Ich wusste, er würde lachen. Aber ich kralle an seiner Hand, ich stürze nicht ab. Ich wollte es nur mal gesagt haben, sage ich.