Sonntag, 31. August 2014

(W)ortpflanzung.

Ich pflanze mich wort. Hier und anderswo. Dort großspurig im Zeilenabstand. Großzügig  halber Tacho. Ich denke an Drosselbart und spiele mit Königsworten. Aus Prinzessinnenhaar flochten wir Fluchtseile und stießen die Jahrhundertträume aus den offenen Fenstern. Schwester, wir warfen wortlos Wunder über Bord.

Großzügig. Ein windiger Zeilenabstand. Raum schaffen und wo kein Raum ist, Nischen sagen. Und besetzen. Nesthocker bleiben. Sich einverwaben. Mehreckig Beine und Arme arrangieren und mit den Augen gucken. Unbewegt einverwabt bleiben.

Ich pflanze mich wort.

Sprich nicht so hochtrabend. Sagte Mutter. Also grub ich tiefer und pflanzte Wort für Wort und bedeckte Wort für Wort bis zum letzten Punkt mit Erde. Ich presste und drückte. Faltete eine Fluchtlinie für das Regenwasser, faltete die Erde beidseitig der Wortsprösslinge zu schmalen Tälern.

Sah damals und auch später kein Gedeihen.

Die Worte weg-  und abtreiben. Der Mund, ein sich nicht schließender Bauch. Der Mond, ein sich immer wieder halb- bis ganz erhellender Punkt. Ein Leuchteloch. Ein Magnet. Eine Saugschale. Der Mund nur ein vernachlässigtes Worthaus. Mehrstöckig ohne Nachlass. Lass nach, Stockmeer !

Der Mond nur ein hieb- und stichfestes Argument für Ebbe und Flut.

Aus Prinzessinnenhaar, Schwester, flechte ich mir ein Kleid. Hochtrabend, Mutter, stecke ich alle Worte in Brand. Alle Pflanzungen treiben, werden WortWildWuchs.


Ich pflanzte mich wort.


Montag, 11. August 2014

Ich habe mich auf Kindertage hinunter skalpiert. 
Und die Einen verstehen das Schnittmuster nicht. Die Anderen suchen noch,
das Verhalten zu erklären. Erklär- und Musterbasis. 
Lache ich skalplos ein Kindlachen.  

Man darf nichts unversucht lassen! Auch nicht das Kindlachen im Erwachsenenmund.

Ich habe mich vor meine Schuld und Sühne gestellt. Habe mich abgeschirmt. 
Habe Regenfallen gespannt. Ich habe meine Haut mit Silberfolie verlötet,
reflexiv zu werden. Weil ich dachte, um reflektieren zu können, müsse ich strahlen.

Seither strahle ich. Und vielleicht. In Jahren voraus. Ich werde reflektieren
und Dinge aus und von mir strahlen sehen, die längst erloschen sind. 
Erloschen sein werden. Zu dieser Zeit. In kommender Zeit. 

Rückblickend erscheint ein anderes Licht.

Ich habe mich auf Kindertage hinunter gebrochen. Um nicht zu sagen: 
mich skelettiert. 
Ich höre noch heute das Geräusch, wenn Vater das Mark aus dem gekochten Tierknochen saugt. 
Das Geräusch, wenn Vater das Weihnachtsbratenskelett mit den Händen teilt. 

Rauvaterhände.

Ich verspachtle längst verlassene Räume.

Große Hohlräume stopfe ich mit Toiletten- oder Wisch- & Wegpapier. 
Auf Rauvatertapete streiche ich grün und rot und blau und gelb.

Ich muss Licht ab- und zurückwerfen. Wellenlängen voraus, denke ich rückblickend. 

Mittwoch, 6. August 2014

Schreiblos. Seit Tagen schon. Nicht ohne Worte, nur ohne festgeschrieben zu sein. Also ungeschriebene Festworte oder unbefestigte Schreibworte. Fängt ja alles an, wo irgendwo alles gleich aufhört. Wie Nachbars Hund, der sofort aufhört, geht jemand an Nachbars Haus vorüber. Nur vorüber. Nicht hinein, oder drum herum. Es geht nur einer vorbei, weil er eben muss, weil die Straße oder eben der Fußweg keinen anderen Weg erlaubt, er muss da einfach an Nachbars Haus vorbei, und der Hund hört sofort auf. Das fängt ganz klein an und ist dann doch ein ganz großes Aufhören. Als bewegte das irgendwie die Welt. Der Anfang des Vorbeigehens und dann das Aufhören des Hundes. Reiht sich immer alles aneinander. Eigentlich hört gar nichts auf, alles bedingt nur etwas Anderes. Etwas Folgendes.

Als ich aufhörte zu essen, begannen meine Augen zu schmerzen. Erst rechts diese kleine Ecke, über die man, wenn man sie streicht, direkt in das Auge hineingreift und aus dem Auge herausstreicht. Erst dort. Dann aber irgendwann das ganze Auge. Also beide. Beide Augen in Gänze. Andere sahen das gar nicht, weil es sich hinter meiner Brille abspielte. Und die Gläser schützen immer einen anderen Blick vor. So, wie ich durch die Brille die Welt besser sehe, sehen andere durch meine Brille meinen Blick schöner. Einfach, weil ich meinen Blick nicht mehr so verengen muss. Seitdem ich die Brille trage, verenge ich meinen Sehrahmen nicht mehr. Da fällt jetzt viel mehr auf mich ein. Und gleichzeitig können die, die mir durch meine Brille in die Augen schauen, wenn das Glas nicht unbedingt spiegelt, können diese jetzt viel mehr meines schönen Augengrüns sehen.  Weil ich die Augen nicht mehr verenge, ist die Sichtfläche in meine Augen hinein eine größere. Die Leute sehen also durch meine Brille mehr von mir. Das schöne Grün. Zum Beispiel. Und auch die Stirn runzle ich nicht mehr. Die Brille hat mein Gesicht verändert. Und den Blick auf mich. Und meinen Blick natürlich ebenso.

Aber. Als ich aufhörte zu essen und meine Augen anfingen zu schmerzen, also auch als ich über diese Anfänge hinaus war und ich nicht mehr aß und meine Augen schmerzten, war mein Blick abgelenkt, sogar eingeschränkt. Schmerz lenkt ab, lenkt immer auf sich selbst, zieht die Aufmerksamkeit von aller Welt ab und auf sich hin. Ein Schmerzpunkt ist sozusagen ein Aufmerksamkeitszentrum, ein schwarzes Loch, was alles Drumherum absorbiert und nur sich selbst geltend macht. Ein Schmerzzentrum schmerzenster Materie.

Und da ich immer gleich bezweifle, was ich nicht begreife, begriff ich andauern meine Augen. Ich strich drüber, ich pikste hinein, immer dorthin, wo ich den Schmerz vermutete, als wollte ich mich seiner vergewissern, oder ich hoffte, jedes Mal ins Leere, also ins Schmerzleere, Schmerzfreie zu treffen. Ich hoffte das noch. Fürchtete das. Vielleicht. Tagelang. Ganze Nächte. Wochen.

Ich fing dann einfach wieder zu essen an. Das ist ein Abschluss, eine bestehende Sache in der Vergangenheit. Ich hatte wieder angefangen. Aber eigentlich führt sich dieses Handeln immer noch fort. Dauert also aus der Vergangenheit, sogar der eigentlich abgeschlossenen Vergangenheit an. Dauert bis hin zur Gegenwart. Also durch die ganz zeitnahe, beinah noch nicht existente Vergangenheit hierher in den Augenblick. Anhaltend Gegenwart. Und wird fortwähren. Wird Morgen noch sein. Also auch das, was schon in der Vergangenheit abgeschlossen war, wird Morgen noch anhalten. Oder einfach: wieder stattfinden. Sich wiederholend.

Nachdem ich mit dem Essen wieder angefangen hatte, hörten jedoch nicht die Augenschmerzen auf. Meine Augen waren also nicht wie Nachbars Hund und mein Essverhalten kein Vorübergehendes. Es mag daran gelegen haben, hatte ich gedacht, dass die Augen ja keine Ohren sind. Aber ich aß weiter. Hätte ich es nicht getan, wäre es ja nicht bis hierhergekommen. Also das Essen. Das hält ja an. Wie ich schon sagte. Das Schmerzzentrum zentrifugierte und alles, was leichter als der schwere Schmerz war, breitete sich aus, flog aus der Schmerzmitte und streute. Streuschmerz. Wie Haare. Die am ganzen Körper auftauchen. Dünn und vereinzelt oder büschelweise. Konzentriert an einem Punkt. So der Schmerz auf meinem Körper. Jeder Körperpunkt ein Schleudertrauma. All das, was aus dem Schmerzzentrum gestreut und geschleudert worden war, prallte anderswo auf und dagegen. Also auf mir.

Mit dem Essen hatte das also nichts zu tun. Obwohl ja immer etwas, etwas ganz anderes bedingt.

Das Essen also nicht.

Und es ist auch nicht so, dass diese Schmerzen irgendwann mal aufgehört hätten. Die haben also auch keine Ohren. Nicht wie Nachbars Hund, der immer sofort aufhört, wenn einer an Nachbars Haus vorüber geht, vorüber gehen muss, weil ja kein anderer Weg die Straße entlang führt. Diese Schmerzen seien Phantomschmerzen. Sagte man mir. Eine unwirkliche Erscheinung. Eine Einbildung. Ein Geisteswerk.

Aha. Sagte ich. Und drückte mitten ins Schmerzzentrum hinein und hielt den Schmerz, hielt ihn fest und aus und sagte: „Du bist nur Einbildung. Du bist nicht real!“ Und ich drückte und alles tat weh, tat so sehr weh, dass ich nicht mehr Anfang und Ende des Schmerzzentrums ausmachen konnte. Wie man die Anzahl der Haare auf dem Körper kaum ausmachen kann. Vereinzelt oder büschelweise. 

Wenn ich anfange zu schreien, bedingt das irgendwann ein Nichtschreien. So, wie das Einholen das Ausholen bedingt. Oder setzt das Eine das Andere voraus?

Das ist wie mit dem Schreiben. Der folgende Satz würde eigentlich einen nachfolgenden erfordern. Aber ich sage einfach hier: STOPP ! 

So ein wenig schreiblos sein. Seit Tagen schon. Das ist Geisteswerk, sage ich mir. Durch die Brille.