Schreiblos. Seit Tagen schon. Nicht
ohne Worte, nur ohne festgeschrieben zu sein. Also ungeschriebene Festworte
oder unbefestigte Schreibworte. Fängt ja alles an, wo irgendwo alles gleich
aufhört. Wie Nachbars Hund, der sofort aufhört, geht jemand an Nachbars Haus
vorüber. Nur vorüber. Nicht hinein, oder drum herum. Es geht nur einer vorbei,
weil er eben muss, weil die Straße oder eben der Fußweg keinen anderen Weg
erlaubt, er muss da einfach an Nachbars Haus vorbei, und der Hund hört sofort
auf. Das fängt ganz klein an und ist dann doch ein ganz großes Aufhören. Als
bewegte das irgendwie die Welt. Der Anfang des Vorbeigehens und dann das
Aufhören des Hundes. Reiht sich immer alles aneinander. Eigentlich hört gar
nichts auf, alles bedingt nur etwas Anderes. Etwas Folgendes.
Als ich aufhörte zu essen, begannen
meine Augen zu schmerzen. Erst rechts diese kleine Ecke, über die man, wenn man
sie streicht, direkt in das Auge hineingreift und aus dem Auge herausstreicht.
Erst dort. Dann aber irgendwann das ganze Auge. Also beide. Beide Augen in
Gänze. Andere sahen das gar nicht, weil es sich hinter meiner Brille abspielte.
Und die Gläser schützen immer einen anderen Blick vor. So, wie ich durch die
Brille die Welt besser sehe, sehen andere durch meine Brille meinen Blick
schöner. Einfach, weil ich meinen Blick nicht mehr so verengen muss. Seitdem
ich die Brille trage, verenge ich meinen Sehrahmen nicht mehr. Da fällt jetzt
viel mehr auf mich ein. Und gleichzeitig können die, die mir durch meine Brille
in die Augen schauen, wenn das Glas nicht unbedingt spiegelt, können diese
jetzt viel mehr meines schönen Augengrüns sehen. Weil ich die Augen nicht mehr verenge, ist
die Sichtfläche in meine Augen hinein eine größere. Die Leute sehen also durch
meine Brille mehr von mir. Das schöne Grün. Zum Beispiel. Und auch die Stirn
runzle ich nicht mehr. Die Brille hat mein Gesicht verändert. Und den Blick auf
mich. Und meinen Blick natürlich ebenso.
Aber. Als ich aufhörte zu essen und
meine Augen anfingen zu schmerzen, also auch als ich über diese Anfänge hinaus
war und ich nicht mehr aß und meine Augen schmerzten, war mein Blick abgelenkt,
sogar eingeschränkt. Schmerz lenkt ab, lenkt immer auf sich selbst, zieht die
Aufmerksamkeit von aller Welt ab und auf sich hin. Ein Schmerzpunkt ist
sozusagen ein Aufmerksamkeitszentrum, ein schwarzes Loch, was alles Drumherum
absorbiert und nur sich selbst geltend macht. Ein Schmerzzentrum schmerzenster
Materie.
Und da ich immer gleich bezweifle,
was ich nicht begreife, begriff ich andauern meine Augen. Ich strich drüber,
ich pikste hinein, immer dorthin, wo ich den Schmerz vermutete, als wollte ich
mich seiner vergewissern, oder ich hoffte, jedes Mal ins Leere, also ins
Schmerzleere, Schmerzfreie zu treffen. Ich hoffte das noch. Fürchtete das. Vielleicht.
Tagelang. Ganze Nächte. Wochen.
Ich fing dann einfach wieder zu
essen an. Das ist ein Abschluss, eine bestehende Sache in der Vergangenheit. Ich
hatte wieder angefangen. Aber eigentlich führt sich dieses Handeln immer noch fort.
Dauert also aus der Vergangenheit, sogar der eigentlich abgeschlossenen
Vergangenheit an. Dauert bis hin zur Gegenwart. Also durch die ganz zeitnahe,
beinah noch nicht existente Vergangenheit hierher in den Augenblick. Anhaltend
Gegenwart. Und wird fortwähren. Wird Morgen noch sein. Also auch das, was schon
in der Vergangenheit abgeschlossen war, wird Morgen noch anhalten. Oder einfach:
wieder stattfinden. Sich wiederholend.
Nachdem ich mit dem Essen wieder
angefangen hatte, hörten jedoch nicht die Augenschmerzen auf. Meine Augen waren
also nicht wie Nachbars Hund und mein Essverhalten kein Vorübergehendes. Es mag
daran gelegen haben, hatte ich gedacht, dass die Augen ja keine Ohren sind.
Aber ich aß weiter. Hätte ich es nicht getan, wäre es ja nicht bis hierhergekommen.
Also das Essen. Das hält ja an. Wie ich schon sagte. Das Schmerzzentrum
zentrifugierte und alles, was leichter als der schwere Schmerz war, breitete
sich aus, flog aus der Schmerzmitte und streute. Streuschmerz. Wie Haare. Die
am ganzen Körper auftauchen. Dünn und vereinzelt oder büschelweise.
Konzentriert an einem Punkt. So der Schmerz auf meinem Körper. Jeder Körperpunkt
ein Schleudertrauma. All das, was aus dem Schmerzzentrum gestreut und
geschleudert worden war, prallte anderswo auf und dagegen. Also auf mir.
Mit dem Essen hatte das also nichts
zu tun. Obwohl ja immer etwas, etwas ganz anderes bedingt.
Das Essen also nicht.
Und es ist auch nicht so, dass
diese Schmerzen irgendwann mal aufgehört hätten. Die haben also auch keine
Ohren. Nicht wie Nachbars Hund, der immer sofort aufhört, wenn einer an
Nachbars Haus vorüber geht, vorüber gehen muss, weil ja kein anderer Weg die
Straße entlang führt. Diese Schmerzen seien Phantomschmerzen. Sagte man mir. Eine
unwirkliche Erscheinung. Eine Einbildung. Ein Geisteswerk.
Aha. Sagte ich. Und drückte mitten
ins Schmerzzentrum hinein und hielt den Schmerz, hielt ihn fest und aus und
sagte: „Du bist nur Einbildung. Du bist nicht real!“ Und ich drückte und alles
tat weh, tat so sehr weh, dass ich nicht mehr Anfang und Ende des
Schmerzzentrums ausmachen konnte. Wie man die Anzahl der Haare auf dem Körper
kaum ausmachen kann. Vereinzelt oder büschelweise.
Wenn ich anfange zu schreien,
bedingt das irgendwann ein Nichtschreien. So, wie das Einholen das Ausholen
bedingt. Oder setzt das Eine das Andere voraus?
Das ist wie mit dem Schreiben. Der folgende
Satz würde eigentlich einen nachfolgenden erfordern. Aber ich sage einfach
hier: STOPP !
So ein wenig schreiblos sein. Seit Tagen
schon. Das ist Geisteswerk, sage ich mir. Durch die Brille.