Freitag, 29. Februar 2008

Landzunge

Mit den Jahren hat es mich vom Land immer weiter ans Meer getrieben. Wie ein Lachs, der zum Laichen die Gewässer wechselt. Das sagte einer, der auf mir, neben mir, in mir lag wie ein gefällter Stamm. Die Rodung hatte Zeit gebraucht, viel zu lange, denke ich jetzt. Er sagte das, als wir so lagen und ich meinte, gehen zu müssen, weil er schon an den Laken gezogen und mich nackt hatte liegen lassen. Und jetzt sitze ich hier und spüre das Salz unter meiner Zunge Blasen reiben.

Mittwoch, 27. Februar 2008

Zwei sprangen herum und boten dar, was sie darbieten wollten. Nämlich sich selbst. Kahlköpfig der eine, großmundig der andere. Zwei Darsteller ohne Auftrag auf den Bretten eines Kellertheaters. Und wir waren das gekonnte Publikum. Studiert, applaudiert, kastriert. Erst zeigten einige unter uns, was sie können. Dann beklatschte jeder den anderen und folglich ließen wir uns des Übermutes beschneiden, selbst das Wagnis einzugehen die Bühnenbretter zu betreten. Schließlich hatten wir an jenem Abend Angst, uns auf das Holz der Welt einzulassen. Man weiß ja nie, woran oder auch worin der Wurm sitzt.

Einer, mit Brille so schmal wie Nasenlöcher, so dass ich erst gar nicht wusste, ob ich ihm in die Augen oder in die Nase schauen sollte, drehte sich um, und fragte mich, ob wir denn auch auftreten würden. Ich lachte. Vielleicht ein wenig zu laut für meine Art und wären die Scheinwerfer in Betrieb, sie wären auf mich gerichtet gewesen, denn trotz der Dunkelheit fühlte ich mich für alle sichtbar. Nein, flüsterte ich in Absicht, die übrigen Zuschauer und Darsteller nicht weiter auf mich zu lenken. So tänzelten wir eine Weile im Gespräch hin und her, mal übernahm er die Führung, dann wieder ich. Und so weiter.

An der kleinen Bar bestellte ich Bier, weil Bier auf die Tafel geschrieben wurde. Mit oder ohne Glas, kam die Frage, mit der ich nicht gerechnet hatte, denn das stand nicht auf der Tafel. Warum nicht, weiß ich nicht. Kurzerhand entschied ich: Ohne! So spannten wir den Faden und verwickelten den Barmann mit uns in eine Betrachtung der Trinkart. Wir erörterten einander die Notwendigkeit eines Glases in Abhängigkeit der Situation. Schließlich kamen wir zu dem Entschluss, dass es immer auf die jeweilige Lage ankommt, in der man Bier aus einem Glas oder direkt aus der Flasche trinkt. Letztlich liegt es wohl auch an der Mundart des Trinkenden, denke ich jetzt, und dass auch das ein Thema ist, welches man im Kellertheater auf die Welt bringen könnte. Ich stelle mir mich als Gebärende vor, und wie es aus mir heraus auf die Bretter stürzt, ins Licht, auf den tretbaren Weltboden.

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Gestern sprach ich mit einer Biografin. Wir redeten über Identifikation, denn sie hatte das Wort gebraucht und versuchte es im Nachhinein abzuschwächen. Ich lauschte ihr, die sagte, sie trage natürlich die Biografierte mit sich. Sie stehe mit ihr auf, sie gehe mit ihr ins Bett. Solange sie an dem Buch arbeitet. Und dann meinte sie, klappt sie bei Erscheinen die Buchdeckel zusammen, dann ist es wie mit einem Kind. Sie müsse loslassen und könne das auch. Ich dachte, sie redet gern über sich selbst. Denn außerhalb des Gespräches über Nelly Mann, denn über sie hat sie geschrieben, war mit ihr, der Autorin als Person, keine Kommunikation möglich. Mit Nelly aber, sprühte sie vor Erinnerungen an Heinrich, an Thomas, an Katia, an die Zeit in Berlin und den USA. Und vielleicht war Identifikation doch die richtige Bezeichnung gewesen ….

Montag, 25. Februar 2008

Ich trinke aus niedrigen Gläsern Hochprozentiges. Das hat die Zeit mit sich gebracht. Als sie ohne Vorwarnung hereinfiel, weil sie für ein Anklopfen etwas von sich hätte erübrigen müssen. Keiner gibt etwas ungesehen von sich preis. Und erst recht nicht durch geschlossene, vielleicht noch durch eingetretene oder durch andere Grobheit zerstörte Türen.

Während ich trinke, überlege ich, wie viel Nähe möglich ist, ohne einander zu nah zu kommen. Und was Nähe eigentlich ausmacht und wie viel von dem, was sie ausmacht, wir tatsächlich imstande sind zu ertragen. Denn ich glaube, die Nähe wird aus der Ferne betrachtet unterschätzt. Vielleicht auch überbewertet. Das ist relativ.

Und wie viel wir wirklich sind von dem, was wir schreiben, denken oder fühlen, ist auf keiner Skala festzuhalten. Denn so oft, wie ich in all dem lüge, kann ich nicht getrost sagen, das alles bin ich. Obwohl doch auch die Lüge aus mir heraus entsteht, als ein Teil meiner unumgänglichen Wahrheit. Wenn auch den zwischen Rücken und Wand gedrängten Teil.

Donnerstag, 21. Februar 2008

Neun Uhr Neunzehn. Gerade vom Arzt zurückgekommen und die Wäsche aufgehängt. Regelmäßig lasse ich mir Nadeln ins Ohr stechen, sonst bringt es gar nichts, wenn es nicht regelmäßig geschieht. Jedenfalls meinen ja Menschen, es tue gar nicht weh. Diese dünnen, haarfeinen Nadelchen. Aber solange noch Leben unter der Haut steckt, schmerzt es sehr wohl. Vor allem, da vorab nach dem Leid abgetastet wird, und dort, wo man beim Antasten das Gesicht verkrampft oder sich sogar dazu verleiten lässt, einen Ausruf des Schmerzes, wie es in Kreuzworträtseln harmlos benannt wird, zwischen die gewaltsam zusammengepressten Lippen zu entlassen, dort wird dann die Nadel bis zum Anschlag hineingestoßen. Sanft. Natürlich. Aber zielgerichtet.

Büchertisch in der Schule. Das ist heut mein Tageslimit. Zu mehr bin ich dann nicht mehr zu gebrauchen. Ich liebe Kinder. Aber ich kann sie nicht allzu lange ertragen. Dieses Gekreisch und Herumtollen, diese unerträgliche Neugier auf Leben. Als ginge jeder Entdeckung eine Weltreise zuvor, muss man bis auf das Äußerste gespannt und gewarnt sein. Nichts ist so unberechenbar wie Kinder. Und dann auch noch in Massen, Horden. Diese kleinen Menschen, aus denen allen Mal etwas ganz Großes werden soll. Man meint gar nicht glauben zu können, wie viele Eltern ihre Kinder überschätzen. Da kommen sie und wollen ein Buch kaufen. Und immer sind die Kinder schon weit, ihrem Alter längst voraus. Warum nicht gleich zu den Bestsellern, denke ich mir manchmal. Die meisten werden dem Anspruch der großen Masse gerecht. Da sind Menschen, die selber nicht lesen, aber über diese Tatsache hinwegtäuschen wollen, indem sie Bücher verschenken. Sie kommen herein und fragen nach Titeln, die auf der Bestsellerliste abgedruckt sind. Denn selbst den Inhalt der Listen kennen sie nicht. Wer nicht liest, schaut auch nicht ins Nachrichtenmagazin oder in eine Zeitschrift, die Literatur empfiehlt und bespricht. Fein und brav reiche ich Ihnen dann diese hohe Literatur. Bestimmt sind ihre Freunde auch weit und ihrem Alter längst voraus geschritten. Ganz sicher!

Zehn Uhr Sechsundvierzig. Ich war immer schon vom Zahlenschreiben fasziniert. Manchmal zweifle ich noch an der Rechtschreibung aber meist gelingt sie. Dieses UND mittig, findet regelmäßig meine Beachtung. Was für ein einfaches System hinter all dem steckt.

Nun muss ich. Die Kinder warten mit ihrem Gebrüll und ich muss die Bücher und die Bestsellerlisten noch packen.

Dienstag, 19. Februar 2008

Ich bin unbändig. Meine ich zu glauben. Aber das mit dem Glauben ist auch so eine Sache. Man hört hier und dort Leute von Ersatzreligion oder auch von Religionsersatz reden. Dabei sind das ganz verschiedene Dinge, die sich nach der Betrachtungsart ausrichten lassen. Man spricht ja auch von Ersatzdroge. Und meint mit solcherlei Mittel die Abhängigkeit auf Entzug setzen zu können. Soll demnach eine Ersatzreligion, vielleicht der Glaube oder eher das Vertrauen an die Wissenschaft, die Abhängigkeit von einer Transzendenz kurieren? Aber ist dem mit der rudimentären Sprache der Wissenschaft überhaupt beizukommen?

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Es ist wieder warm. Beinah Frühling und ich war am Fluss. Eine ganze Schulklasse spielte Basketball im alten Hafen, ich zählte ihre Fehlwürfe und fand die Mädchen ganz furchtbar. Wie sie kreischten und keiften. Einen Baum sah ich schon Blüten tragen, dabei ist Februar. Und nur weil Ostern so zeitig im Jahr ist, bedeutet das doch nicht die Verschiebung der Jahres-, der Blüh- und Gedeihzeiten. Ich trauerte kurz um diese Frühgeburten der Natur, dann sah ich eine Mutter mit Kind kommen, sah sie neben mir Platz nehmen und wusste gar nicht, was ich davon halten sollte. Kreischendes Kind. Ganz klein, beinah noch nicht sichtbar. Die Mutter dafür umso deutlicher in ihrer Schönheit, in einem Aussehen, das gar nicht wie Mutter wirkte. Also ließ ich sie still sitzen, während ihr Kind schrie und blätterte laut im Wind meine Zeitung um. Demonstrativ richtete ich die Schlagzeilen auf die Frau neben mir. Sie sollte sehen, welche Welt ihrem Kind bevorsteht. Aber ich glaube, sie schaute gar nicht. Nahm mich überhaupt nicht wahr, was auch erklärte, weshalb sie ungebeten, ungefragt so nah neben mir Platz nahm. Mütter haben nur Augen für ihre Kinder. Und später haben dann andere die Augen, und die Mütter sind damit beschäftigt ihre Kinder ins Trockene zu bringen. Also landeinwärts. Weil in Zukunft die Meere auf das Naheliegende übergreifen werden. Dann wird gesagt werden, hier, wo jetzt Wasser ist, war früher einmal, vor gar nicht allzu langer Zeit, Land. Vielleicht ist unter uns eine Straße, wird man sagen und mit Taucherbrille vom Bootrand unter die Oberfläche schauen. So wie wir heute auf höchsten Bergen stehen und meinen, damals war hier alles Meer. Und dann sind wir ganz stolz, wenn wir im Stein die Form einer Alge wieder erkennen. So ist das eben. Mit den Gezeiten und der Wandelbarkeit. In Zeiten höchster Flexibilität sollten wir damit doch umgehen können. Wahrscheinlich sind Pendler die Bessergewöhnten. Sie wissen jetzt schon, wie es ist, den Ort wechseln zu müssen.

Und vielleicht ist das mit Ort, Heimat und Sprache wie mit Aggregatzuständen? Sie schwanken, sind änderbar und von äußeren Einflüssen abhängig.

Mittwoch, 13. Februar 2008

Das Museum Ludwig ist groß. Ich stand in der Eingangshalle vor den Postkarten und überlegte, welche passgenau für mich wäre. Ich war nur eingetreten, weil ich durchfroren war und mich vor dem Marsch über die Rheinbrücke etwas aufwärmen wollte. Also stand ich und bestaunte die Kunstpostkarten, von denen mir allerdings keine besonders ins Auge fiel. Ich ging in den Museumsshop und wollte ein Buch mit Bildern von Cindy Sherman kaufen. Die hatte ich in Berlin gesehen, und ich glaubte, wieder Bilder von ihr sehen zu wollen. Dieses Wagnis zwischen Zärtlichkeit und Brutalität, zwischen Wahrheit und Fiktion, welches irgendwie auch für Märchen und Sagen typisch ist. Aber ich fand nicht, was ich suchte. Stattdessen schaute ich mir einen Katalog mit dem Titel - Retroperspektive - an.

Und wie in einem Film liefen plötzlich Menschen an mir vorüber, die ich aus vergangener Zeit kenne. Sie kamen, stießen mich an, gingen ohne Wort und Kommentar weiter. Oder einer stellte sich genau neben mich, blätterte in einem Buch, blickte über die Schulter zu mir, während ich noch versuchte herauszufinden, woher ich den kannte. Dann lächelte der, schlug das Buch zu, kehrte mir den Rücken und war verschwunden. Ich versuchte etwas zu sagen, aber es gelang mir nicht. Kein Ton, kein Wort gelang mir. Plötzlich stand in der Tür des Shops meine Urgroßmutter. Sie starb, als ich noch ein Kind war. Das war die erste Beerdigung, der ich beiwohnte und bis heute habe ich nicht vergessen, dass ich nicht glaubte, was ich sah. Diese Holzkiste, in der sie liegen sollte. Zur letzten Ruhe getragen. Ich begriff damals nicht, wie ein Mensch in so einer Kiste gebettet sein kann. Aber da stand sie, und ich sah all die Ähnlichkeit, die ich mit ihr hatte. Sie lächelte dieses Lächeln, das allen alten Menschen irgendwie gleich ist. Diese zwischen hängender Haut gezogene Linie. Wie eine nicht straffe Leine, die irgendwo im Nichts hängt. Sie hob den Arm, und ich wusste, sie wollte mir winken, sie hatte mich erkannt, vielleicht würde es mir gelingen, mit ihr zur Sprache zu kommen. Achtlos warf ich die Buchdeckel zwischen meinen Händen zusammen, setzte schon den Schritt Richtung Tür, als ich mit ansehen musste, wie all diese Menschen meiner Vergangenheit sich auflösten. Sie wurden Luft. Sie verschwanden, wie sie gekommen waren. Unhörbar, unfassbar mit dem Atemzug, in dem man ein Buch auf- und zuklappt.

[...]

Ich habe heute noch einmal die Karte aus Kuba vorgekramt. Ich hatte sie an die Wand geheftet hinter all die anderen Zettel. Es ist eine Merkwand, an ihr sammle ich meine Hinterlassenschaften. Aber heute holte ich die Karte noch einmal hervor. Und nun liegt sie so vor mir mit der Schrift gegen mich gerichtet.

14. Januar. Und erstaunt stelle ich fest. 2007! Vielleicht ein Irrtum. So kurz nach dem Jahreswechsel passiert das. Nach so langer Zeit. Ich schaue noch einmal. Nein. 2007. Und kein Stempel auf der Marke. Werden in Kuba die Briefmarken nicht gestempelt? Ich kann der Dauer der Karte nicht nachgehen. Hat es nun wirklich ein Jahr gedauert oder weniger als einen Monat. Aber kein Stempel. Kann es sein, dass die Karte nicht geschickt sondern eingeworfen wurde, und muss ich nun am Absender zweifeln?

> Nichtsdestotrotz hoffe ich, Du wirst diese paar Worte erhalten und lesen. Denn nichts ist und bleibt stets aus meiner Sicht, ferner, untragbarer und raubender, als nicht ein Wort an dich zu richten. […] <

Wie macht er das, frage ich mich. Wie kann er mir so schreiben nach all den Jahren. Nach dieser unvergänglichen Zeit, in der ich zu der geworden bin, die hier ist. Und in dieser Zeit, in der er irgendwo fern diese wenigen Worte benutzt, diese Gedanken zu sprechen.

Es ist gespenstisch. Denn mir bleibt nur ein Name, ein Gesicht, eine Geste. Die Erinnerung daran, wie wir zu zweit mit einem Rad durch die Wiener Nacht rasten. Ich auf dem Gepäckträger, er auf Sattel und Pedale. Wie ich mich festhielt und gleichzeitig so sein Jackett zuhielt. Es war Winter und Frost. Die Nacht zog sich schon in den Tag hinein. Wir hatten getrunken, getanzt, gelacht. Und dann diese Radtour.

Worte. Nur Worte schickt er mir. Aber keinen Ort, keine Richtung, an die ich mich wenden könnte. Wohin mit meinen Worten, denke ich, mit diesen Gedanken und Ideen. Die kreisen. Seither.

Einmal. Köln. Silvester. Wir feierten und tranken Sekt aus der Flasche. Wir stiegen Mitternacht auf die Straße und bestaunten die Schießwütigen. Ungeschminkt betraten wir einen Club. Der Türsteher, ich war zuvor niemals in einem Club mit Türstehern gewesen, ließ mich trotz Sektfalsche in der Hand durch. Wir tanzten, obwohl wir nicht dazugehörten. Die Nacht. Er auf dem Sofa ausgestreckt, ich im Bett. Er schlief schon, als ich noch lange telefonierte, bis auch ich einschlief. Der nächste Morgen, die Übelkeit, die Suche nach einem Internetcafé, einem Anschluss zur Außenwelt.

Ich weiß nicht, wohin ich mich richten soll. Wie die Nadel im Kompass drehe ich unaufhörlich, aber komme nicht zum Stillstand. Die Himmelrichtungen lassen sich nicht ausmachen. Also stecke ich die Karte unbeantwortet an meine Wand.

Vielleicht, wenn ich älter bin, suche ich sie abermals hervor und beginne mich von Vorn zu drehen.

Dienstag, 12. Februar 2008

Embryo mit drei Eltern.

Wo war diese Aussage nicht zu lesen? Und wo hat sie nicht den moralethischen Punkt berührt? Und wer hat sich bisher an Wort- und Darstellungsart gestört?

Die Zeitungen titelten, als würden sie ihre Leser täuschen wollen oder sogar können. Während sich die Stammzellenforschung mit Begrifflichkeiten wie Zellhaufen aus der Menschheitsdiskussion herausredet, benutzt die Presse das allgegenwärtige Wort Eltern. Die Assoziationskette setzt sich mit dem stärksten Ausdruck der Aussage in Gang. Drei Eltern, ein Kind, Dreiersex. Soviel zur Aussagekraft der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der wissenschaftlichen Institute. Denn dort kam der Stein wohl ins Rollen.

Während der eine also an die Möglichkeit eines Kinderwunsches zu dritt denkt, bewahrt sich der andere sein gutes Gewissen durch die Annahme, ein Zellhaufen sei ein Zellhaufen. Zumal die Forscher sich nicht gebrauchter Embryonen bedienten. Quasi mit einem Abfallprodukt zum Durchbruch stießen. Wäre nie das Wort Eltern aufgetaucht, würde manch Einer dem wissenschaftlichen Tun noch Glauben und Hoffnung schenken. Hätte man auf den Titelseiten der Tagesblätter entkernte Eizelle, Plasma, Mitochondrien gelesen. Aber dann wären die Gewissenspunkte eben nicht derart berührt worden.

Die Zeitungen titeln, die Wissenschaft macht Fortschritte. Ein Mensch fragt: Schritte fort vom Menschlichen, hin zur Gottähnlichkeit, hin zum Entscheidungspunkt zwischen Leben und Tod? Steht der noch empfindungslose Zellhaufen namens Embryo auf einer Warteliste, derer sich die Wissenschaft nach Ziel und Gebrauch bedienen darf? Steht diesem Zellhaufen nicht die Gleichheit zu, die uns zustand? Nämlich ein Anrecht auf Entfaltung, was bedeutet auf Entwicklung und Leben, auf Körper- und Geistbildung.

Mein Bauch gehört mir! War einer der feministischen Slogans der Abtreibungsdebatten. Lange ist es her, und es ist ebenso engsichtig. Denn wer hat Anrecht auf den sich bildenden Zellhaufen, auf diese Verschmelzung von Eizelle und Sperma ob nun im Bauch einer Frau oder im Reagenzglas? Ist da einer, der sagen kann, das gehört mir, ich entscheide über das Leben oder Sterben dieses Embryo?

Aber was ist die Wissenschaft anderes als ein ausgeprägter Überlebensinstinkt. Ein Trieb, dem jeder Forscher erliegt. Der Erste, der Beste, der Einzige zu sein. Ziel dieser angewandten Fortpflanzung ist es, Krankheiten zu bekämpfen, das Überleben der Menschheit zu sichern. Und das zu welchem Preis? Einiger schon dem Abfall bestimmter, nicht mehr gebrauchter Embryonen. Einiger weniger noch nicht zum Menschenleben entwickelten Zellhaufen. Einer für Alle! Wenige für die Masse! Nur als Helden werden sie nie gefeiert werden, weil sie nicht soweit kommen, sich überhaupt einen Namen zu machen. Stattdessen lesen wir die Namen der Wissenschaftler, die ihren Beitrag zur Arterhaltung hochhalten.

Sonntag, 10. Februar 2008

Wie Staub zerwerfen sich die Emotionen bei Tageslicht. Was bei milder Dunkelheit mutig aus dem Innersten ungesehen zu Tage tritt, obwohl der Tag in weiter Ferne steht, was sich so zag nach Außen kehrt, wird bei Licht betrachtet kaum noch haltbar. Ungreifbar sind diese Gefühle, die sich nirgends verorten lassen. Weder im Hirn noch im Herzen sind sie anzusiedeln. Was also treibt diese Emotionen? Und wohin, wenn nicht zu einem anderen Menschen, und was werfen sie auf, in ihm?

Wasserkreise. Das ruhig Liegende wird in einem Punkt erregt, und diese Erregung wirft symmetrisch Kreise. Oberflächlich wird die Zerwühlung tief Unten sichtbar. Die Erregung kommt zum Tragen. Und sie trägt die Unruhe, diese unbestimmte Emotion, trägt sie bis hin zum Ufer, wo sie ausläuft. Weil das Bewegliche auf Starres trifft und erlischt.

Tritt nun ein Gefühl bei zaghaftem Licht aus einem Menschen heraus und trifft zielgerichtet auf einen anderen, so gerät dieser in Unruhe und das ausgesandte Gefühl dringt ein und in Tiefe. Da der Mensch aber kein starrer Gegenstand ist, setzt die Bewegung sich in ihm fort.

So ist alles berührend Zwischenmenschliche wechselseitig?

Samstag, 9. Februar 2008

Verglichen mit den Jahren, streift die Zeit uns nur. Und während sie streift, welken wir am Leben, noch bevor wir überhaupt irgendetwas verstanden haben. Kommen doch über die Selbsterklärungsversuche nicht hinaus, wollen im Existieren die Existenz erkennen. Deren Funktion, Sinn und Zweck.

Seit Jahren schon. Erreicht mich eine Karte. Eine Schrift aus Kuba. Ich kenne Niemanden dort. Auch kaum die Schrift. Nur deren Wort, Inhalt und wie gefesselt fühle ich mich eingeengt.

> Eine Karte wird nicht tragen können, was zu erklären nötig wäre … <

So beginnt das kurze Schauspiel, die Darstellung der Gedanken. Ich stelle mir vor, wie eine Karte aus Kuba Unerklärtes trägt. Auf dem Kopf, auf den schmalen Kanten, auf dem für die Briefmarke reservierten Platz.

> und ist es dies überhaupt noch die Zeit … ? <

Das weiß ich nicht. Wir reden uns ein, Zeit sei vergänglich. Aber daran glaube ich schon lange nicht mehr. Demnach mag die Zeit noch sein, sie hält an. Immerfort. Sie dauert dahin.

Wie kam das Leben, das wir führten zustande, und wie konnte die Trennung der Züge es derart entreißen. Wien. Wir teilten das Abteil obwohl wir wussten, der Zug würde sich trennen, jeder Wagenabschnitt eine andere Richtung einschlagen. Wir saßen und blickten zeitgleich aus dem Fenster, schauten dieser Landschaft nach, vielleicht trauerten wir. Und als wir in den Bahnhof einfuhren, nahm er Gepäck und Gedanken, ging in den Abschnitt, der weiter nordwärts fuhr. Ich blieb sitzen. Seither trennt uns alles. Über Kilometer, über Jahre hinweg. Irgendwo fern wissen wir voneinander, so unergründlich ist das Nahe, dass wir es nie wussten, solange wir beieinander saßen. Komm fern, möchte ich sagen, und immer weiter. Einzig mein Erinnern gibt mir eine Vorstellung von ihm, der mir aus Kuba nach Jahren eine nicht tragbare Karte schreibt.

> Entgegen dem, was ich glaube, dass Du es annahmst, kannte ich damals die Zukunft noch nicht, als wir vor Zeiten ein letztes Mal uns Wort und Sitz teilten. <

Ich nahm nicht an, eine Zukunft zu wissen. Wenn ich über die Vergangenheit nachdenke, war nichts so, wie ich es angenommen hätte. Und noch weniger nahm ich über ihn, mit dem ich so wenig verbrachte, etwas an. Vielleicht nur, dass ein Fragment seiner Zukunft auch meine wäre.

> was mir bleibt, ist Dir das Beste zu wünschen. Ich wich niemals ab von diesem Wunsch. <