Mittwoch, 13. Februar 2008

Das Museum Ludwig ist groß. Ich stand in der Eingangshalle vor den Postkarten und überlegte, welche passgenau für mich wäre. Ich war nur eingetreten, weil ich durchfroren war und mich vor dem Marsch über die Rheinbrücke etwas aufwärmen wollte. Also stand ich und bestaunte die Kunstpostkarten, von denen mir allerdings keine besonders ins Auge fiel. Ich ging in den Museumsshop und wollte ein Buch mit Bildern von Cindy Sherman kaufen. Die hatte ich in Berlin gesehen, und ich glaubte, wieder Bilder von ihr sehen zu wollen. Dieses Wagnis zwischen Zärtlichkeit und Brutalität, zwischen Wahrheit und Fiktion, welches irgendwie auch für Märchen und Sagen typisch ist. Aber ich fand nicht, was ich suchte. Stattdessen schaute ich mir einen Katalog mit dem Titel - Retroperspektive - an.

Und wie in einem Film liefen plötzlich Menschen an mir vorüber, die ich aus vergangener Zeit kenne. Sie kamen, stießen mich an, gingen ohne Wort und Kommentar weiter. Oder einer stellte sich genau neben mich, blätterte in einem Buch, blickte über die Schulter zu mir, während ich noch versuchte herauszufinden, woher ich den kannte. Dann lächelte der, schlug das Buch zu, kehrte mir den Rücken und war verschwunden. Ich versuchte etwas zu sagen, aber es gelang mir nicht. Kein Ton, kein Wort gelang mir. Plötzlich stand in der Tür des Shops meine Urgroßmutter. Sie starb, als ich noch ein Kind war. Das war die erste Beerdigung, der ich beiwohnte und bis heute habe ich nicht vergessen, dass ich nicht glaubte, was ich sah. Diese Holzkiste, in der sie liegen sollte. Zur letzten Ruhe getragen. Ich begriff damals nicht, wie ein Mensch in so einer Kiste gebettet sein kann. Aber da stand sie, und ich sah all die Ähnlichkeit, die ich mit ihr hatte. Sie lächelte dieses Lächeln, das allen alten Menschen irgendwie gleich ist. Diese zwischen hängender Haut gezogene Linie. Wie eine nicht straffe Leine, die irgendwo im Nichts hängt. Sie hob den Arm, und ich wusste, sie wollte mir winken, sie hatte mich erkannt, vielleicht würde es mir gelingen, mit ihr zur Sprache zu kommen. Achtlos warf ich die Buchdeckel zwischen meinen Händen zusammen, setzte schon den Schritt Richtung Tür, als ich mit ansehen musste, wie all diese Menschen meiner Vergangenheit sich auflösten. Sie wurden Luft. Sie verschwanden, wie sie gekommen waren. Unhörbar, unfassbar mit dem Atemzug, in dem man ein Buch auf- und zuklappt.

[...]

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