Dienstag, 31. Mai 2011

Ich warte. Nicht auf Godot oder das Reifen des Bordeauxs. Mit Gott kann man auf viele Weisen ins Gespräch finden. Der Eine betet und spricht jeden Abend, der Andere öffnet den Mund und schließt die Hände erstmals im Moment einer Nahtoderfahrung. Aber ich warte ganz einfach nur. Warte auf einen Anruf, der nicht kommt, nicht in den Leitungen hängt, nicht im Kabellosgewirr klebt sondern einfach nirgends stattfindet. Ich kann lange warten, sage ich mir und spüre wie mir einer die Hand auf die Schulter legt: „Darauf kannst du lange warten.“

Ich habe jetzt lange gewartet, ich werde bald nicht mehr länger warten können, denke ich und vermisse die Hand auf der Schulter. Die dort nichts machte außer zu liegen. Es ist schön, wenn einer eine Hand bei einem lässt. Eine, die nur liegt, nicht dies und das sagt, wie es ein Mund vielleicht getan hätte. Eine Hand, die auch nicht zupackt oder vielleicht sogar zur Faust wird, schlägt. Nein. Nur liegend war diese Hand, lag einfach nur so neben meinem Kopf, meinem Ohr, meinem Haar, lag mir auf der Schulter.

Derweil sind ganze Leben ins Wanken geraten. Ich weiß es, weil unter meinen Füßen auch die Erde bebte. Bebte ein ganz wenig, so sacht für sich, bebte aber ebenso an anderen Orten stärker, als wollte die Erde mit diesen Beben etwas abschütteln. Ich überlege und denke daran, wie ich die Hand oder den Fuß schüttle, sitzt eine Fliege, eine Spinne oder ein Käfer dort. Ich schüttle und puste und erschüttere die armen Dinger solange, bis sie fort, nicht mehr auf mir sind. Und im Waschbecken lasse ich einfach das Wasser laufen. Tremor. Tornado. Tsunamie. Alle Ursachen mit möglicher Todesfolge. Nicht Einzelner sondern Vieler.
Und während ich das wartend denke, wird mir flau und ich spüre eine Angst zupacken, dort wo keine Hand eines anderen liegt, packt mit festem Griff an mein Herz, sodass es rast und ich das bebende Brustbein anstarre. Wie mein Herz Beben schlägt. Und ich atme, schaue und begucke das Geschlage, wie es sich ausbreitet: Brustbein, Brust, Rippenbogen, Bauchdecke: bis ich schließlich ganz bebend bin vor lauter Angst.



Varus, Virus, Venusstiel.
Der Liebe Schönheit wird auf dem Schlachtfeld durch den unerkannten, eingeschleusten Feind das Fell über die blinden Ohren gezogen.

Montag, 30. Mai 2011

Was und wohin und wie lange geschieht etwas in unseren Köpfen? Oder geschieht es außerhalb? Ich versuche seit Tagen nicht die Zähne zusammenzubeißen. Nicht weil ich etwas Untragbares ertrage, sondern weil ich mir die Zähne bis auf das Blut hinunterbeiße. Das ist wie Fingernägelkauen nur etwas langwähriger. Man trifft plötzlich nach Jahren erst einen Nerv, und es ist als schlüge dir jemand einen Bolzen in den Schädel. Dabei weiß man an dieser Stelle, zu dieser Zeit gar nicht mehr, weshalb man damals die Zähne so zusammen gebissen hatte. Ganz perplex steht man da und begreift ein wenig von dem, was die Jahre still anhält.

Dienstag, 17. Mai 2011

Es sind nur noch Wochen. Dann reiße ich endlich aus diesem täglichen Ein und Aus, reiße das Tägliche ein und mich heraus. Dann erst wieder wird Luft auch an mein Herz gelangen. Seit Jahren schon ebbt alles Herzliche in mir und das Wenige, was noch ist, brandet an innersten, an dünnsten Häutchen. Es werden nur noch Tage und Nächte sein, Stunden, die zu Minuten schwinden. Ich werde sehen, wie Zeit und Raum zeit- und raumlos werden. Denn sobald der Moment gekommen, der Augenblick erreicht ist, löst sich das Warten auf, das doch das eigentliche Wahrnehmen von Zeit und Raum ist.

Ich werde die Stadt mit ihrem Fluss verlassen, die Kreuzungen mit den Takt schlagenden Ampelanlagen. Ich werde die Turmuhr und den Kirchplatz hinter mir und Menschen zurücklassen. Alles Vertraute wird hinter mir und ohne mich bleiben. Wird in seinem Raum, in seiner Zeit bleiben und damit mir fremd werden.

Die Einen sagen es ist Mut, die Anderen meinen es sei Angst. Auf jeden Fall ist es ein Fortschritt. Fort von all dem hier und weg und damit hin zu einem Neuen. Keiner weiß, was kommen wird, aber dass etwas kommen wird, wissen wir alle. Wohin wir mit dem gelangen werden, hat weder Raum noch Zeit, denn es ist Vorstellung, ist aus Gegenwart und Vergangenheit Mögliches – ist Zukunft. Ungewiss.

Ich werde mir selbst Raum und Zeit. Im Laufen, im Fort- und Hinkommen, im ortlosen, ungebunden Raum.

Donnerstag, 12. Mai 2011

Jetzt ist da Einer. Einer der äugt und guckt. Dich von Oben bis Unten mustert, von über den Bauch bis hin und rundherum schaut zu den letzten feinen Härchen, die deinen Nacken säumen.

Besiehst du dich denn selbst im Spiegel als würdest du mit anderen, als mit deinen Augen schauen?

Ostwärts sind die Menschen menschlicher, denke ich und beschaue das bisschen Osten, das sich noch über das vom Westen Kommende halten kann.

Bist du schon einmal so millimetergenau an der Oberfläche geschwommen? Man atmet mit der Luft immer auch Wasser. Das war mir aufgefallen, nachdem einer mich handüber und kopfunter über die Erdscheide und ins Wasser hinein warf. Warf mich wie eine Tontaube in die Luft und erst beim Aufprall zerschlug ich das Licht, das sich auf dem Wasser spiegelte.

Wenn einer sagt, er komme von irgendher. Woher meint dieser dann gekommen zu sein? Mich fragte einer, wo ich anfangen würde, wäre ich auf der Suche nach mir. Seither denke ich darüber nach. Wo also beginnt man oder wo beginnt die Selbstsucht? Selbst sucht Selbst!

Über Gedanken ist gut Springen! Denkst du? So mancher ist an Hindernissen hängen geblieben. Sollten vielleicht besser Hängernisse heißen, diese Hürden und Halsbrecher.