Mittwoch, 26. November 2008

Bin über die Nerven hinaus gespannt. Auf den Straßen treiben Autos, über den Dächern liegt eine undurchdringbare Dunkelheit. Ich kann nicht weiter, nicht weiter als kurz hinter das Glas, wo das Dunkel fühlbar beginnt, wo es eindringt und einen in Besitz nimmt. Nur fern erleuchtete Fenster zeugen von der Existenz entfernter Möglichkeiten.

Am Fluss bin ich seit Monaten nicht gewesen. Die Ratten werden mich vergessen, die Möwen übersehen haben. Ich asphaltiere. Über die Fußsohlen schleicht sich der graue Stein. Ich beginne mich kopfüber zu untergraben, Leitblanken zu bauen und Notausgänge zu zimmern. Wenn einer eindringt, lärmt das Frühwarnsystem. Es schellt und blitzt grell dem Eindringling in die Augen, so dass er zurück schreckt und die Eile drosselt, langsam wird, zum Stillstand kommt. Dann erst fühlt auch er sich steinig werden.

C. hat seit Jahren nichts von sich hören lassen. Ich weiß um ihn in bitterer Einsamkeit. Seine Entscheidung, der ich mich nicht entgegensetzte, als es vielleicht an mir war, die ihn umringende Einöde aufzusprengen. Aber wer behauptet, dass ein Herz als einziges Schmuckstück auf weit bracher Flur nicht heller glänzt als eines im Garten Eden zwischen all den anderen? Den Hochhausherzen, die sich weit im obersten Stockwerk aus den Fenstern lehnen um dem Himmel nah zu sein. Wenn ein Herz mit den Augen sehen könnte, es würde sich von der Entfernung nicht täuschen lassen. Der Abgrund nämlich ist ihm viel näher, als der Himmel es jemals sein wird.

Freitag, 21. November 2008

Ernsthaftigkeit. Aufrichtig, rechtschaffen, gewichtig. Mir fehlt bis dahin jeder erdenklich tretbare Schritt. Dass Sprache sich im Gebrauch derart voneinander unterscheidet, ist für mich ein Phänomen, dessen reale Existenz mikroskopisch betrachtet, nicht zu untergraben ist. Die Sache an sich gelangt erst durch ihren Gebrauch zu Sinn und Inhalt. So wie eine Birne roh oder als Mus, gekocht oder gebraten verspeist werden kann, wird Sprache ebenso unterschiedlich angewandt. Kein Mensch ist dem anderen in seiner Sprache ähnlich. Weshalb die Wortwahl des einen als angenehm, die des anderen als roh und kraftstrotzend angenommen wird, liegt nur an den Vorlieben der Einzelnen. Der eine mag die Birne frisch vom Baum gepflückt, ein wenig noch grün und fest. Der andere hingegen muss bei diesem Gedanken würgen, weil er meint, die Birne trage erst den richtigen Geschmack, wenn sie gelb, weich und saftig gereift ist. Ein Dritter speist Birne nur gekocht als Kompott.

Ich finde mich in Büchern eher in der Sprache als in der erzählten Geschichte zuhause. Deswegen lege ich durchaus interessante und spannende Bücher aus der Hand, weil ihre Sprache mir kein Obdach bietet. Ich kann mich nicht unter Brücken, auf denen das Leben zwar tobt, und unter denen man kaum zur Ruhe kommt vor Spannung, legen, wenn sie nicht auch schön sind. Hingegen kann ich unter schönen, wenn auch wenig aufregenden Brücken weilen ohne etwas zu vermissen. Ja, sogar länger bleiben als notwendig oder wieder zurückkehren, weil das Schöne immer eine Sehnsucht in einen pflanzt. Es bleibt.

.

Mit dem aus Afghanistan habe ich getrunken. Der, der früher nicht trank, trank dafür jetzt schnell und viel. Ich musste das körperliche Leid am nächsten Tag austragen. In jeder Hinsicht war mir übel, und ich glaubte mich nie wieder in die Nähe eines Weinglases begeben zu können. Der aus Afghanistan hat sich bisher nicht wieder gemeldet. Die Frau hat ihn verlassen, was ihm jetzt soviel wie ein Freifahrtsschein fürs Leben bedeutet. Menschen können nicht anders. Schmerz überspielt sich am besten mit praller Lebenslust. Ich stelle mir die Landschaften in ihm vor. Die dreckige Wüste, das Minenschlachtfeld, den Dschungel und die Schneefelder im Osten. Wenn Frühling wird, stelle ich ihn mir in voller Blüte vor.

Der aus Afghanistan spricht meine Kindheitssprache. Er wird mir Erinnerung sein, solange wir miteinander reden.

Mittwoch, 12. November 2008

Novemberemotion. Das ist gelb, braun, rot, das ist alles loslassend, fliegend Welkende. Das ist das überlaubte Herz, diese Blutlandschaft, die raschelt, wenn man sie durchschreitet. Und tief im Innern regt sich, was sich bereits zum Schlaf ausgestreckt hat, regt sich gegen das Laubgetöse.

Ich lese Herta Müller und stelle mir diese Sprache als Person mir gegenüber vor. Ich weiß nichts zu sagen, nur Fragen drängen über meine Zunge, an die Lippen, an verbissene Zähne. Ich lese Flucht und sehe drei Worte, einen Punkt. Beinah niemals Komma, keine Ausschweifungen. Ich denke an Cornelia Schleime, an Katja Lange-Müller, stelle alle diese Sprachen einander gegenüber. Sie werden dreierseits nicht warm, aber beieinander bleiben sie, beinah noch eingehakt, als wollten sie zu einem Spaziergang aufbrechen. Vielleicht ohne Heimkehr. Oder gerade deswegen.

Ich löse die Menschen in mir. Löse einen nach dem anderen ab, trenne fein säuberlich aller Leben voneinander. Als sei das Ganze nur im Einzelnen betrachtet möglich. Wenn ich scheitere, dann an der Feinstarbeit, am Nähte-Trennen, am Aufreißen und Wieder-Säumen.

Wie viele Leben sind es deren Geschichten in meinem Kopf existieren?
Und. Wie viel von Ihnen bin ich?

Randnotiz: WIEDERHOLUNG

Mittwoch, 5. November 2008

Meine Augen rollen in ihren Bahnen und reißen, was ihnen im Weg steht kegelhaft ein. Um meine Blicke herum ein Scharren und Scheppern, ein Dahinwälzen und Stürzen. Wohin ich sehe, ist Zerstörung und Brachland.
Die Männer mit ihren offenen Wunden, die sie pflegen und die vom Leben erzählen. Der eine, der auf dem Bordstein sitzt und zum Himmel schaut, als sei ausgerechnet der eine Krücke, eine Stütze, auf die man sich lehnen kann, wenn die eigene Kraft fehlt, weil sie verloren gegangen, weil sie auf Umwegen verschwendet worden ist. Ausgerechnet dieses menschenleere Gotteszelt, das beim leisesten Wind aufbläht und auseinander reißt.
Der sitzt dort und prahlt mit leerem Magen von Liebschaften und Hinterhalten, dabei kann der nicht einmal aufrecht auf den Beinen stehen. Und dazwischen hält sich sicherlich noch weniger aufrecht, wenn sich dort überhaupt noch etwas im guten oder in einem annehmbaren Zustand hält, sind es krause Filzläuse. Mit Fingern kann man die auszählen.
Oder die gebuckelten Frauen, die über die Straßen schlürfen, als schlichen sie immer nur durch die Leben anderer. Und über was ist besser zu reden als über das, was mich nichts angeht. Diese Münder, die nicht stillstehen, wie sie sich unter den dunkel geränderten Augen auf- und wieder zutun, als schnappten sie nur nach der Luft, die die Augen zuvor genau besehen hatten, dass nichts Unbetrachtetes in den Mund hinein geriet.

Montag, 3. November 2008

Woher zieht sich alles Sprechbare?

Im Geschwätz verrate ich mich und sehe mich vor mir selber fliehen, wie ich renne und laufe, stolpere, auf allen Vieren krieche. Schwätzen ist die größte aller Fluchten …
Nackt. Dabei gebe ich nichts preis. Von mir keine Spur zwischen den Zeilen. Tauben sehe ich keine mehr, nicht Spatzen noch Habichte. Die Dächer sind ruhig wie der Himmel. Keine Regung im Augenblau der Ferne. Nirgends ein Punkt, keine Anzeichen einer vielleicht in sich verlorenen Pupille.
Frohsinn und Traurigkeit sind wie Tag und Nacht, das eine fällt in das andere hinein, meiner Nacktheit ungeniert gegenüber. Angst ist es nicht. Es ist Gewissheit, ist der Entschluss, der wie ein Fallbeil hinabsaust und das eine vom anderen trennt. Den Leib vom Kopf, das Sprechen meiner Seele von Handgreiflichkeiten meiner Körper. Alles an mir ist körperlich, das heißt schwere- und gewichtlastig. Mein Arm ist Körper, mein Augenlid ist Körper, mein Hals ist Körper, mein Herz ist Körper. Schlagkörper.

Abgrund, dort ankommen, um deutlich bessere Aussicht zu haben. Im Vergleich wozu? Wie weit ist abgründig und was ist der Ort, diese wenigen Zentimeter vor dem Abgrund. Weshalb bestimmt der Standort die Sicht und nicht das Auge, das Herz, der Sinn? Wie tief ist abgründig, und wie tief ist des Menschen Seelenleben, lohnt ein Tauchgang in die geistigen Korallenriffe anderer Menschen? Oder ist der Mut es wert, die eigenen zu erkunden, an wessen Leine lässt man sich hinab, mit der Gewissheit wieder Oberwasser zu gewinnen?

>Alle Menschen sind sterblich<
und: setzt das nicht die Lebendigkeit Aller voraus?

Und: setzt das nicht die Lebendigkeit des Einzelnen voraus, obwohl einige nur in der Masse existieren?

Der Wind setzt mir Segel und Läuse ins Haar. Ich treibe über Ozeane vom Netz der Haare getrieben.