Freitag, 21. November 2008

Ernsthaftigkeit. Aufrichtig, rechtschaffen, gewichtig. Mir fehlt bis dahin jeder erdenklich tretbare Schritt. Dass Sprache sich im Gebrauch derart voneinander unterscheidet, ist für mich ein Phänomen, dessen reale Existenz mikroskopisch betrachtet, nicht zu untergraben ist. Die Sache an sich gelangt erst durch ihren Gebrauch zu Sinn und Inhalt. So wie eine Birne roh oder als Mus, gekocht oder gebraten verspeist werden kann, wird Sprache ebenso unterschiedlich angewandt. Kein Mensch ist dem anderen in seiner Sprache ähnlich. Weshalb die Wortwahl des einen als angenehm, die des anderen als roh und kraftstrotzend angenommen wird, liegt nur an den Vorlieben der Einzelnen. Der eine mag die Birne frisch vom Baum gepflückt, ein wenig noch grün und fest. Der andere hingegen muss bei diesem Gedanken würgen, weil er meint, die Birne trage erst den richtigen Geschmack, wenn sie gelb, weich und saftig gereift ist. Ein Dritter speist Birne nur gekocht als Kompott.

Ich finde mich in Büchern eher in der Sprache als in der erzählten Geschichte zuhause. Deswegen lege ich durchaus interessante und spannende Bücher aus der Hand, weil ihre Sprache mir kein Obdach bietet. Ich kann mich nicht unter Brücken, auf denen das Leben zwar tobt, und unter denen man kaum zur Ruhe kommt vor Spannung, legen, wenn sie nicht auch schön sind. Hingegen kann ich unter schönen, wenn auch wenig aufregenden Brücken weilen ohne etwas zu vermissen. Ja, sogar länger bleiben als notwendig oder wieder zurückkehren, weil das Schöne immer eine Sehnsucht in einen pflanzt. Es bleibt.

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Mit dem aus Afghanistan habe ich getrunken. Der, der früher nicht trank, trank dafür jetzt schnell und viel. Ich musste das körperliche Leid am nächsten Tag austragen. In jeder Hinsicht war mir übel, und ich glaubte mich nie wieder in die Nähe eines Weinglases begeben zu können. Der aus Afghanistan hat sich bisher nicht wieder gemeldet. Die Frau hat ihn verlassen, was ihm jetzt soviel wie ein Freifahrtsschein fürs Leben bedeutet. Menschen können nicht anders. Schmerz überspielt sich am besten mit praller Lebenslust. Ich stelle mir die Landschaften in ihm vor. Die dreckige Wüste, das Minenschlachtfeld, den Dschungel und die Schneefelder im Osten. Wenn Frühling wird, stelle ich ihn mir in voller Blüte vor.

Der aus Afghanistan spricht meine Kindheitssprache. Er wird mir Erinnerung sein, solange wir miteinander reden.

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