Dienstag, 31. Dezember 2013

Mit den Füßen bin ich immer ein bisschen voran. Vielleicht sogar schon im neuen Jahr. Meine Fußspitzen sind immer ein wenig älter, als ich es eigentlich bin. Und auch deswegen schaue ich vor wichtigen Entscheidungen immer erst auf meine Fußspitzen, denn die wissen ja, wie es so ein klein wenig meiner Zeit voraus aussieht. Also für mich erst noch aussehen wird, aber für meine vorauseilenden Fußspitzen eben schon aussieht. Mit den Zeitformen darf man nicht spielen, man muss sie anwenden, wie sie eben hingehören. Das Kommende wird das Kommende sein und das Gewesene, war längst schon gewesen oder wird gewesen sein? Ach herje, man darf nicht anfangen, in den Zeiten zu wandeln. Denn dann wandelt sich gleich aller Sinn. Und auch der Verstand beginnt dann zu drehen. Dreht sich hin, dreht sich her, und alle Welt wird kreiselhaft. Man ist dann Geisel seiner eigenen Drehbewegung. Aber der Zeit ist man deswegen noch längst nicht voraus. Außer die Fußspitzen vielleicht.

Nächstes Jahr werde ich mir die Haare vielleicht nicht schneiden. Vielleicht werde ich sie schneiden lassen. Ich werde durch die Straßen und gezielt zu einem Haarschneider gehen. Oder lieber einer Haarschneiderin. Es sind immer mehr Frauen als Männer in meinem Leben zu finden. Ich werde also so schlendern und dann in einen Haarschneiderinnensalon hineingehen. Mich hinsetzen. Gucken und staunen, und sicherlich werde ich ängstlich werden und zweifeln, ob es eine gute Sache sein kann, wenn jemand anderes, auch wenn es eine Haarschneiderin ist, mir ans Haar und damit unter die Wäsche greift. Ich werde es nicht aushalten können und den Haarschneidesalon schnell verlassen. Vielleicht werde ich rennen. Das Haar aber wird unbeschnitten und von Fremden unberührt bleiben. Von fremden Händen wie von Haarklemmen im Haar bekomme ich Kopfschmerzen

Sonntag, 22. Dezember 2013

Das Jahr wird in kürzester Zeit ausklingen. Vielleicht wird Mutter am Vorabend des Ausklangs beginnen die immer selbe Geschichte zu erzählen, vielleicht wird sie beginnen, die Ecken der Tischdecke nach Oben zu drehen, sie mit Nadeln feststecken und dann so tun, als wäre alles Tischtuchbedeckte ein Segel, und als ließe es sich am Vorabend des Jahresausklangs noch entkommen.

Wer mich verfolgt, der weiß, dass das Entkommen sich wiederholt, dass das Entkommen und die Flucht an sich, mir einverleibt sind. Wer mich verfolgt, gibt mir Fluchtgründe. Unergründliche Räume, in die es hineinzukommen gilt. Oder manchmal auch heraus.

Das Jahr, wird Mutter sagen, versucht sich immer nur selbst zu entkommen, und prompt wie es das versucht, stolpert es erneut in sich selbst hinein. Selbsttäuschung, grient Mutter und zuckt mit den knöchernen Schulterhügeln. Sich selbst täuschend, denke ich und beobachte Mutter, wie sie mit den alten Händen die nicht vorhandenen Fettpölsterchen von den Hüften streicht. Sie stellt sich geschickt an, macht gerade so, als streiche sie sich Falten aus dem Rock. Aber es sind keine Falten, Mutter drückt auf ihren Körper, sie möchte wegstreichen, was sie nicht hat.

Das Jahr wird ausklingen und ich gucke zurück und sehe die Dinge, die ich mir im Vorjahresausklang schon für das neu Einklingende vorgenommen hatte, und nehme sie mir erneut vor

Donnerstag, 12. Dezember 2013

Der aus Afghanistan hat Blut an den Händen. Ich sehe ihn durch den Türspalt, sehe ihn diesen Türspalt breit. Seinen Bärenrücken diesen einen Spalt breit nur. Und das Blut an seinen Händen. Ich denke daran, wie er aus dem Wüstensand Dreck gemacht hat und mit dem Gewehr in der Achsel umhergetrieben ist. Ich denke und male mir Bilder, Bilder, aus denen ich mir auch den, der in Afghanistan war, herausschneide. Schneide ihn an den sanftesten Stellen eckig und kantig. Das Blut an seinen Händen ist Kinderblut. Ich sehe, wie er sein Kind auf den Arm nimmt, wie das Kind aus der Nase blutet. Zartes Kind, denke ich. Ein so zartes Kind aus einem solchen Bärenrücken. Der aus Afghanistan streichelt sein Kind, legt ihm die große Pranke auf den Kopf. Streichelt den Kindskopf auf seiner Schulter. Weshalb der sanfte Bärenrücken in die Wüste geschickt worden war, sagt er nicht. Er sagt nichts, was ihn in eine Ecke treiben könnte. Und so steht er diesen Türspalt breit nur, steht und tröstet sein Kind und weiß gar nicht, dass ich diesen Spalt seines Lebens beobachte.

Ich beobachte. Ich sitze auf dem Hochsitz und schaue, als schaute ich in Begreifbares. Vielleicht wage ich es nicht, das Leben in die Hand zu nehmen. Das Eigene oder auch das Andere, das Allgemeine oder das Besondere. Wissenschaftsfloskeln. Im Allgemeinen scheint das Leben ja ein Grundzustand zu sein, ein Weltgrundzustand, während im Besonderen, jedes im und am Leben seiende Geschöpf, das Leben an sich in seiner ihm eigenen Besonderheit gestaltet und erlebt. Das ist das Sonderbare. Der Akt der Gestaltung geht vom ebenso erfahrenden Subjekt aus. Das Leben ist kein zu ertragender, sondern viel mehr ein zu gestaltender Zustand. Wenn man denn möchte. Das Leben oder die Lebensgestaltung ist abhängig vom Leben tragenden Wesen. Und von den ihm möglichen Umständen.

Ach ja. Ich sitze also und gucke. Schaue, wie der aus Afghanistan sein und nun auch das Leben seines Kindes gestaltet. Mit den Händen, die auch ein Maschinengewehr halten, es putzen und laden und entladen können, mit diesen Händen hält er den Kopf des Kindes. Wischt ihm die Nase und dann auch seine Kindkopfhalthände sauber. Wie er das macht, sieht er beinah so aus, als wüsste er nichts von der Welt. Wüsste nichts vom Wüstensand und den darin schlafenden Minen, wüsste nichts von Auf- und Abrüstung, wüsste nicht, dass ich ihm im Rücken sitze und schaue.

Ich, die immer nur schaut, während ihr die Haare ausgehen. Eines nach dem Anderen. Ich habe ein Sammelbecken. Eine Haarsammelstelle. Jedes Haar, das mir entfällt nehme ich sorgsam zwischen Daumen und Mittelfinger, nehme es in diese Fingerhaltestelle und lege es behutsam in die Sammelschale. Ein Haar nach dem Anderen. Mit den Haaren gehen mir die Hoffnungen aus. Hoffnungen auf Großes und Kleines. Auf Grob- und Sanfthölzer. Mir reißen Kerben dort, wo mir die Haare ausgegangen sind. Ich wiederhole das Bild von der Kahlrodung in allen Gefilden. Ich begreife vielleicht mein Leben nicht, und deswegen schaue ich, das anderer zu begreifen. Mit den Haarfingerspitzen, Fingerhaarspitzen, Spitzfingerhaaren.

Und die Kinder, die als kleine Menschen aus einem herausreißen. Diese Kinder, die man einfach nur lieben und küssen möchte, ich begreife sie nicht. Sie nehmen mich bei der Hand, sie lächeln mir zu, sie sind kleine Menschen, die noch so viel werden gestalten können, diese kleinen Menschen sehe ich, sehe sie und möchte sie bewegen, und ich sehe, ich werde sie nicht bewegen können, ebenso wenig bewegen können, wie die Zehen meiner tauben und längst schon abgestorbenen Beine. An denen bewege ich nichts mehr.

Aber vielleicht, wenn ich durch diesen Türspalt nur ein wenig, so ganz sacht hinan greife, dann …

Montag, 9. Dezember 2013

Ich ziehe mich durch Nadelöhre am seidenen Faden, den ich immer irgendwie auszuspeien verstehe. Ich verstehe mich darin, mir selbst ins Ohr und in die hintersten Kammern zu kriechen. Ein Kriechgeschöpf bin ich. Ein Kriech- und Verstrickungstierchen. Meine Stirn runzelt Falten um die Gedanken, die ich mit den Füßen aus den hintersten Kammern trete. Auch um Platz darin zu schaffen. Meine Stirn runzelt Falten und das Jahr legt sich lang, streckt sich vor mir aus, glättet sich in seiner Eintönigkeit. Jahr für Jahr für Jahr für Jahr für Jahr für Jahr. Und so weiter! Und am ersten Tag des Jahres geboren worden zu sein, bedeutet auch, das Jahr vor sich hingestreckt zu sehen. Nackt und kraus oder auch nicht nackt und nicht kraus. Das Jahr aber doch, liegt dort vor dem, der gerade zu Beginn des Neuen schon wieder älter geworden ist. Liegt also vor mir und mein Geburtstag ist mit dem Silvesterlicht ein- und sofort auch wieder ausgeläutet. Wie viele Stunden des ersten Tages im Jahr werden verschlafen? Alles Schlafstunden. Und ich bin um eine Lebensfalte älter geworden. Im Schlaf. Auch. Ja.

Nein. Kriech- und Runzeltierchen müssen sich nicht so viele Gedanken machen. Also krieche ich, krieche weiter und tiefer. Krieche bis hin, wo es sich anzufassen noch lohnt. Wer öfter von Händen berührt wird, lebt länger. Noch mehr auszuhaltende erste Tage und Nächte auch.

Ja. Eine Zigarette vielleicht. Einen Wein und etwas, was kleiner ist. Das Leben lässt sich feiern, feiert sich ab in unseren Körpern, feiert sich selbst und sein Erscheinen, sein Sein usw usw. Da verliert man den Durchblick. Eine Zigarette? Ah. Nein, Danke! Die Lust feiert immer mit. Der Verstand, das seltsame Ich-sag-mal-was-Tierchen, ist schlaftrunken immer hellwach. Der Verstand ist ein euphemistisches Tierchen. Du kannst auch ohne Wein und Zigarette lustig sein, Spaß haben, sagt er. Ja. Ja. Und ich lache noch. Lache voraus und hinterher, lache mir ins Faltenfäustchen.

Ein Kleid würde ich tragen wollen. Zu meinem nächsten Geburtstag werde ich ein Kleid tragen. Eines aus Schönwortestoff und Klangfarbe. Ich werde die Schultern recht winklig halten und meinen Hals gestreckt, mein kurzes Haar noch kürzer erscheinen zu lassen. Ich werde Schuhe vor das Bett stellen und meine Beine nicht rasieren. Ich werde Mäuschen spielen und im Kleiderschrank Verstecke suchen. Ja. Ein Kleid wird es werden sollen.

Und nun stelle ich fest, mir ist etwas abhandengekommen.

Mittwoch, 27. November 2013


mit dem Wundrücken durch Quergestänge
mit Armen und Beinen fischgleich farnein und farnab
die Tonspuren werden lauter auf weiter Flur
werden lauterer
und zwischen den Zehen sind Kräuter hängen geblieben
der Gesundheit wegen vielleicht
der Seidenfasern wegen vielleicht
jeden Abend Zahnseidespuren im Waschbecken Querverstrebt
vernetzt als zöge ein Altsommerkleid Fäden

Dienstag, 12. November 2013

Ich bin mir auf die Dächer gestiegen. Morsche, poröse Dachbretter, die alles abschotten und Abzuschottendes fernhalten. Bretter, die nicht die Welt, aber das Abschotten doch bedeuten. Ich bin mit einer zu kurz geratenen Leiter mir auf die Dächer gestiegen. Um zu sehen und zu schauen, um Aussicht zu halten. Hinsicht zu mir oder einem anderen Menschen. Einem Menschen vielleicht, der still- und ebenso ein wenig zudrücken kann. Ich bin mir auf die Dächer gestiegen, um in mir Mutters oder auch von Vaters Worten eines zu sehen. Worte, die sich mir einverleibt haben. Worte, die ich vielleicht nicht ausspreche, die aber in mir hängen, in mir, wie innere Organe. Worte, die herzschlaggleich Ton angeben.

Ich bin mir auf die Dächer gestiegen, und die morschen, die porösen Bretter, die nicht die Welt aber doch mein Abschotten bedeuten, sind unter mir gebrochen und ich bin durch sie hinabgestürzt. Bin gefallen, gestürzt und mit dem Kopf aufgeschlagen. So ein kleines Stück weit von mir entfernt, bin ich mit dem Kopf und allem, was darinnen ist, aufgeschlagen. Bin kopfseitig erschüttert und herzlastig aufgerüttelt worden durch das Aufschlagen. Mutters Worte und Vaters Worte. Nichts haben sie mit mir angestellt, was sollten einzelne Worte auch anstellen.

Ich war mir auf die Dächer gestiegen und die morschen, die porösen Bretter, die mein Abschotten, längst aber nicht die Welt bedeuten, liegen zerstückelt und kaum mehr als Bretter, die ein Dach bedeuteten, um meinen zerrüttelten Kopf. Liegen und sind Splitter geworden. Herzgrasfasern. Ich fasse mir nicht an den Kopf, doch aber an das Herz, meine Herzkranzgefäße zu prüfen. Mutter und Vater hatten zu Lebzeiten Herzkranzgefäßverschlüsse erlitten. Mehrmals hintereinander die eine, nur einen einzigen Verschluss der andere. Auf. Zu. Auf. Zu. Auf. Als spielte ein Kind am Lichtschalter. Mit den morschen und porösen Dachbrettsplittern um meinen Kopf, schloss ich die Augen. Öffnete sie. Schloss. Öffnete. Schloss. Blieb im Dunkeln liegen. Ein Dunkel, was mir die Welt zu bedeuten begann.

Mutter und Vater. Mutter und Vater. Vater. Mutter. Unablässig gehen mir diese beiden durch den Kopf. Sind mir in Fleisch und Blut und Hirn übergegangen. Ins Herz? Es gibt Gegenden, die schöner sind, Orte, an denen sich das Leben lohnt.

Ich war mir auf die Dächer gestiegen. Und nun sitze ich mit Vater und Mutter, sitze mit den Beiden ein kleines Stück neben mir, ein kleines Stück abgewandt meines Herzens. Und ich werde beginnen die morschen und die porösen Grassplitter einzusammeln, werde beginnen, mir daraus Bretter zu schmieden. Als ließe sich daraus etwas schmieden! Ich werde mir einen Hochsitz aus den morschen und den porösen Brettern bauen. Und dann werde ich mich darauf setzen und Ausschau nach etwas oder jemanden halten.

Donnerstag, 31. Oktober 2013

Zwischen meinen Hirnbalken ein Knarren und Knirschen. Ich lese Sätze und verliere Worte. Verliere Sinn und Verstand. Immer auch ein wenig des eigenen Verstandes. Bleibt auf der Strecke, bleibt liegen, bleibt stehen, bleibt mit irgendetwas von mir erhoben an irgendeinem Streckenabschnitt und bleibt dort wirklich so. Und den einen oder anderen, der auf der Suche ist, den schicke ich dann, schicke ihn auf meine Lebensstreckenabschnittswege, schicke den einen oder auch den anderen dorthin, wo ich etwas von mir auf der Strecke verloren gegangen glaube. Und dann staune ich, wie das von mir Verlorengeglaubte mit dem einen oder auch dem anderen steht, manchmal sogar, als wollten sie die Arme umeinander legen, wie sie dort stehen, dort, an Ort und Stelle wo sie sind, wo der eine oder der andere das von mir Verlorengegangene gefunden hat, dort auf diesem Streckenabschnittsposten, dort stehen sie, beinah Arm in Arm, und ich sage mir, wer so steht, muss auch warten können.

Muss warten können.

Zum Beispiel darauf, wie ich werde sein können, nachdem die Abrissbirnen meine Hirnbalken abgeräumt haben werden. Wie ich werde sein können, nachdem Verluststrecken wieder aufgenommen worden sind, Verlustverschüttetes wieder aufzurütteln, also wieder anzureimen. Oder auch anzudichten. Mit einer Heißlustpistole vielleicht, Heißluftpistole. Heilluftpistole.

Von Unterarmsommern habe ich gesprochen, von Wüsten- und Kalklandschaften. Ich reime mir alles, reime und dehne, sodass es mir in meine Wortschatzkiste passt. Wortschatzkisten mit Verschluss- und Verriegelmöglichkeiten. Einweggläser. Gläser für nur einen Weg aber auch Wegwerfgläser. Man weiß nie, wie dieses weg und weg oder Weg und Weg zu lesen zu verstehen ist. Einwegdinge. Dinge, die nach nur einem Weg weg zu legen sind. Abseitsstellung. Und das schon aus der Etikettierpistole. Kettentierpistole. An die Ketten gelegte Tiertötungsmaschinen. Langlebvernichtungsanlage.

Die Hirnbalken dehnen und biegen sich. Manchmal leide ich unter den Gewichten. Bin kaum fähig in die Kopfhöhe zu stemmen, was zu stemmen ist. Mit aller Kraft, die für mich immer auch Gewalt ist, anstemmen. Gegen sich selbst.

Gedankenreederei. Einer legt ab, der andere legt an. Man setzt über. Kreuz- und Queerfahrten, Linienverkehr. Fracht- und Hafenanstalt. Meinen Kopf aus Trübem fischen.

Drüben war und ist und wird immer die andere Seite sein.

Wortschatzkisten. Im Keller habe ich begonnen, die Ausdehnung aller möglichen Inhalte zu berechnen. Im Keller habe ich gestapelt, sortiert, ausgedehnt, eingenommen, einwegfest gemacht, poliert und verstellt. Habe mir alle Zugänge verstellt. Nun knirscht und knackt es zwischen den Hirnbalken.

Dienstag, 29. Oktober 2013

Wenn ich jeden Tag ein wenig schreibe, wie viele Tage werde ich schreiben, um vieles geschrieben zu haben. Oder um Vieles geschrieben haben zu werden? Ich schreibe nicht jeden Tag. Ich denke darüber nach, ich lege Ideen linker Gehirnhälfte und auch rechter Gehirnhälfte ab, einige Ideen rutschen mir unbeachtet den Nacken hinunter, rutschen Wirbel für Wirbel, und ich frage mich noch, was mir im Nacken sitzt, rutschen hinab und sinken über mein Steißbein zu Boden. Auf manche trete ich mit den Füßen. Ungeachtet. Ich schreibe jeden Tag. Ein wenig mehr oder ein wenig weniger.

Ich schreibe und spreche mich selbst in der zweiten Person an. Weil ich, während ich schreibe auch eine zweite Person bin. Mein eigener Adressat, die immer widerstehende Figur, der Gegenpart alles Gesagt und Gedachten. Ich bin du. Oder ich bilde mir ein Du, eines, das dort steht, um das sich schreiben, um dass sich Gedanken machen lässt. Jeder Gedanke wird Gegenständlich, weil alles Bezeichnende ja etwas hat, was es Bezeichnet. Also gucke ich hin und male mir mit diesem Du eine schreibende Gegenposition. Oder eine ge- oder beschriebene Gegenposition.

Ich schreibe keine Geschichten. Ich schreibe keine Geschichten! Ich schreibe keine Geschichten?

Nicht jeder achtet auf Satzzeichen. Dabei bezeichnen sie etwas, bezeichnen Lücken und Gesten, bezeichnen Höhen und Tiefen, Zerwürfnisse und Zusammenkünfte.

Ich schreibe und schaue mir dabei DICH an. Dich Leser. Dich Schreiber. Dich Sucher und Finder. Das Du ist immer eine andere Ecke, eine Mehrzahl von Ich. Mein Ich ist ganz viel von dem, was dieses DU sieht und wahrnimmt, was dieses Du aus meinem Ich macht. Du ist Ich. In bestimmter Hinsicht. In bestimmtem Hinsehen. Das Ich möchte manchmal ein wenig mehr wie Du sein oder das Du ein wenig mehr wie Ich.

Kein Wunder, dass mancher manchmal die Grenze übertritt. Oder die Grenze viel mehr oder viel weniger schwindet.
Manchmal wünscht man sich, obwohl man es gar nicht muss, man wünscht sich, nicht in dieser Haut zu stecken. Ob nun in der eigenen oder der eines anderen. Also Ich und Du. Und dann sieht man, wie sehr das Ich dazu veranlagt ist, sich in ein Du zu denken, zu fühlen. So sehr, dass das Ich manchmal glückfroh ist, nicht in dieser DuHaut stecken zu müssen.

Ich schreibe ein wenig weniger. Heute.

Donnerstag, 24. Oktober 2013

Seit Tagen die immer gleichen Töne, dass sich selbst wiederholende oder widerrufende Klingen irgendwelcher Zirpgestalten. Ich nenne sie Zirpgestalten, weil sie mit den Augen nirgends auszumachen sind. Nur hören, immer wieder hören. Hören, hören, hören. Wie der Klang einen foltert, also mich malträtiert, martert, mordet. Wie der Klang sich mir wie ein Folterkleid umlegt, denn du hörst ja nichts. Wie er sich mich einverhäutet, als gelte ich diesen Zirpgestalten ein Klangkörper zu sein. Ich höre, höre, höre, höre, höre, höre, wo ich stattdessen auch schlafen, essen, trinken, sprechen, lachen, gehen sollte. Ich höre! Sonst nichts weiter. Und du sagst, da sei nichts, sagst mir, ich solle dir doch zeigen, sagst mir, ich selbst sähe doch nichts, ich bilde mir nur ein. Du sagst und ich höre. Höre dich und sehe die Zirpgestalten nicht.

Mein Nasenbein, weder die Paukenhöhle, noch der Steigbügel, nicht Hammer und Amboss, nichts in meinem Ohr schmerzt. Nur mein Nasenbein. Links und rechts, die von den Augen abfallenden Flanken. Als breite sich der Schmerz in Flügeln, in der Spannbreite meiner Wangenknochen aus. Und über den Tag zieht der Schmerz, zieht wie ein flauer Vogelschwarm von meinen Nasenbeinrändern zur oberen Zahnreihe. Und das alles wegen der Zirpgestalten. Unaufhörlich. Im Sinne dieses Wortes … un auf hörlich. Ich höre. Höre. Höre. Höre. Zu Zeiten, zu denen ich auch schlafen sollte.

Du sagst, ich hätte schlecht geträumt, aber ich sage, ich höre nur noch, auch dort, wo ich vielleicht träumen sollte. Du siehst die Nacht nicht, weil du ja die Augen im Schlaf geschlossen hältst. Du siehst und hörst nichts, und ich suche die Zirpgestalten. Wühle zwischen Tüchern und Kleidern, suche unter Tellern und Tassen, räume die Besteckkiste aus, räume sie wieder ein, ich habe die Zeitungen und Bücher durchblättert. Alle. Und jede Seite. Ich reiße die Tapete an den Ecken ein, ich suche darunter die Zirpgestalten, ich reiße, wenn du nicht hier bist, die Dielen vom Boden. Ich sehe nichts. Ich höre. Höre, HÖre, HÖRe, HÖRE während ich reiße und schiebe, wühle und kratze. Während ich alles andere bin und tue und sein sollte und tun sollte.

Ich suche und finde ein wenig Wüstensand zwischen den Matratzen. An den aus Afghanistan habe ich lange nicht gedacht. Nicht an seine im-Blut-saug-wie-im-Pool-schwimm-Mücke. Ich dachte nicht an ihn, aber hier ist Wüstensand. Zirpgestalt. Zirp. Zirp. ZIRp. ZIRP! Es ist in meinen Ohren, und die Mücken. Ihre schmalen Leiber, ihre Wüstenflügel, ihr Sand-und-Blutsaug-Rüssel. Ihre ganze Wüstengestalt. Ich fege zwischen den Matratzen. Fege Sand aus alten, längst vergessenen Tagen. Der aus Afghanistan hat eine Tochter bekommen. Hat erst eine neue Frau gefunden, diese dann geheiratet, sicher ist sicher, denke ich, und jetzt, kürzlich erst, bekam diese seine Tochter. Verhalf ihr zur Welt zu kommen. In diesen Wüstensand, denke ich. Die Mücke saugt, und dann badet sie im Fremdkörperblut. In Soldaten- und Afghanenblut.

Zirpgestalt. Ich finde dich! Du sagst, ich renne Wände ein, du sagst, ich solle mal zur Ruhe und vor allem, zu mir selbst kommen. Ja wohin denn, brülle ich, weil ich über die immer gleichen Töne hinweg, zu dir hin brüllen muss. Dass du mich hörst! Ich solle nicht brüllen, schreist du, und ich sehe ja, dass du schreist, deswegen brülle ich ja. Dass du mich hören kannst. Ich höre dich nicht! Die Zirpgestalten.

Donnerstag, 17. Oktober 2013

Ein wenig habe ich mir, mich, meiner, dir, dich abgewöhnt. Habe mich auch meiner dir entzogen, wie man einen Splitter Holz oder auch Metall, der unbeabsichtigt aber schmerzlich unter die Haut gedrungen war, wie man diesen Splitter eben entzieht. Mit Fingerspitzengefühl, ein wenig mit der Nadel Vorarbeit leistend, ein wenig zudrückend und dann entschieden gezogen. Und des Fremdkörpers entwöhnt.

Ich fühle mich dir zugewandt. Wende mich ab und mache erste Schritte, Abwandtschritte. Abwandschritte. Ablassschritte. Erst nur einen, dann legt sich der zweite gleich hintan, der dritte Schritt ist nicht zu kontrollieren, ohne ihn gelänge nicht der vierte. Schritte. Schritttempo. Schrittlänge. Schritthalten. Schrittfolge. Eines flogt dem anderen. Aneinanderreihung. Unaufhaltsame Verselbstständigung. Perpetuum m.

P.m. Mobilmachung. Personalisierte Mobilmachung. Marginalisierte Profilmachung. Randgedränge. Ausschließmodus. Ausschlussmodi.

A.m. Am Morgen ist die Folge des Gestrigen. Ohne heute kein morgen. Ohne morgen kein gestern. Und jetzt? Ohne jetzt kein später? Zeitschritte. Zeitfolge. Der Zeit Folge leisten. Ihr nachrennen, hinterherhetzen, vorauseilen, durchdauern. Die Zeit durchweilen. Ein wenig sich entweilen.

Ein wenig wurde ich überdrüssig. Der Zeit, diesem Zeiger unter der Haut. Und wie der Finger Zeiger wird. Zeiger auf andere. Vielleicht auch dorthin. Ich gewöhne mich meiner mir ab. Meinem Fingerzeig hinterher und voraus, wohin er auch reicht, ich reihe mich darüber hinaus. Und weiter. Und währenddessen lege ich dich mir unter den Arm. Unbemerkt. Heimlich sind die Gesten, die ungesehen bleiben. Ich verstecke mich hinter meiner Heimlichkeit. Und dich lege ich mir unter die Haut, diesen Fremdkörper nicht missen zu müssen, diesem Fremdkörper Zeit gebend, zum Selbstkörper zu werden. Nicht Fleisch und Blut. Unter den Armen blute ich nur, wenn ich unachtsam, also unbedacht, vielleicht in eiliger Aufregung mit dem Rasierer abgerutscht bin. Dann wird dort Blutgegend. Unschön! Unaufhaltsame Verselbstständigung der eigenen Körperregion.

Ich lege mich deiner dir ab. Abgelegt, zu den Akten gelegt. Nicht durch den Reißwolf gerissen. Nicht gefetzt und zerschlissen. Nur ruhiggestellt.

Dienstag, 15. Oktober 2013


Unter deinen Armen grast Sommer. Mit deinen Sägeblattlippen hast du ihn eingeladen, ihn erbeten, ihn bewirtet, ihn dir unter den Arm, so ein wenig auch an das Herz gelegt. Dieses Herz, das ich immer suche, wenn ich dir ins Gesicht schaue, und das ich nicht finde, und zu dem ich sage: ich weiß, dass du andernorts heftiger schlägst. Unter deinen Armen hat sich dir der Sommer ins Fleisch gefressen. Wer meint, Graser fräßen kein Fleisch, der irrt sich. Ich habe es gesehen.

Du sagst, ich sei süß aber mehr auch nicht, ein wenig nur klug, ein Zuckererbsenhirn. Und ich sehe dir zu, wie du mir den Schädel entpellst, wie du die grüne Schale entkernst und mein Süßhirn raspelst. Ich sehe dir zu, wie ich immer nur zusehe während du schon mit anderen beschäftigt bist. Mit anderen Händen, mit anderen Mündern, mit anderen Hirnrinden. Ich sehe dir beim Zersetzen deiner Graslandschaft zu.

Du sagst, ich sei aus der Zeit gefallen. Und das nur, weil ich wenig anders, ein wenig auch schön bin. Du sagst das, um dich selbst in Ruhe zu wiegen. Denn du weißt nicht, was es ist, dass du an mir liegst. Oder dass dir etwas an mir liegt. Ich schaue und sehe den Sommer unter deinen Armen. Sehe ihn pelzig und wölfisch werden. Der Sommer ist selten ein schöner Gast.

Wir denken einander in unterschiedlichen Farben. Und oft beißen wir uns. Dir fällt das kaum auf, weil du ja mit anderen beschäftigt bist, während du mir nicht aus dem Kopf gehst, und ich mich frage, ob du durch all deine Möglichkeiten meine Kleinhirnerbse spürst.

Ich hätte mich gern so ein klein wenig unter deine Arme gelegt. So ein ungenaues Stück an dein Herz, das andernorts eindeutig heftiger schlägt. Aber dem Sommer kam ich nicht gleich, ich fürchtete sein Grasen, ich fürchtete sein sich dir ins Fleisch fressen. Ich fürchtete das stickige Grasland deiner Unterarmgegenden. Ich fürchtete, mein Zuckererbsenhirn von deinen Fleischwolfzähnen zermalmt zu sehen.

Und jetzt sehe ich dich immer noch mit dem Sommer unter den Armen. Ich habe mich aus deiner Zeit gestellt. Ich höre deinen Herzschlag immer eine Sekunde verspätet. Es rührt mich dann weniger, weil ich über die vergangene Zeit nicht länger nachdenke. Ihr nicht nachempfinde, nicht hinterher, nicht voraus, nicht nebenbei. Ich grase unter meinen Sommern.

Samstag, 12. Oktober 2013


Ich habe mir Mücken eingefangen. Fünf mit einem Streich, für jeden Finger eine Mücke. Ein Wink mit der Fünffingerhand. Ich habe Mutter die Mücken vom Kopf gefangen. Mutter sagt immer, ich fräße ihr die Haare vom Kopf, was natürlich nicht stimmt. Wer isst Haare? Aber jetzt könnte Mutter sagen, ich finge ihr die Mücken vom Mund. Denn es waren wirklich fünf Mücken, die um Mutters Mund, nein, vielmehr vor Mutters Mund umherflogen. Wobei ich nicht weiß, ob das Tingeln der Mücken mit dem Wort Fliegen zu bezeichnen ist. Also dieses Tingeln treffend bezeichnet. Weil Fliegen ja auch etwas Andächtiges, Heroisches, etwas ganz eigen Beeindruckendes hat. Ehrfurcht vor Mücken? Das kann ich mir an meinen fünf Fingern abzählen. Nein. Null Ehrfurcht. An keinem Finger ein Krümel.

Mutter ist schweigsam geworden, seitdem ich ihr die fünf Mücken vom Mund weggefangen habe. Vielleicht trugen diese Mücken ihre Worte von ihren schmalen Lippen, vielleicht waren es diese Tingeltierchen, die sie sprechen ließen. Sprechen von der Zeit ohne mich, sprechen von der Zeit mit mir, sprechen von dem, was sie erwarten wird. Mutter glaubt an den Weltuntergang. Jeden Tag begrüßt sie die Welt mit ihren sooft schon wiederholten Lebewohlworten. Als wären die Mücken vor ihrem Mund Eintagsfliegen, sie jeden Tag neu zu begrüßen, zu verabschieden, überhaupt etwas zu sagen. Wenn man nur noch einen Tag zu leben wüsste, was würde man noch alles sagen wollen? Oft fragt man so, was man noch alles tun würde wollen, aber was alles noch sagen? Weil man ja weiß, danach bleibt keine Chance mehr etwas ungesagt zu machen, etwas nachträglich noch auszusprechen. Was sagen?

Ich habe meine Fünffingermückenhand an Mutters Mund gelegt. Aber es rührt sich nichts, sie lässt meine Hand liegen, als läge ihr trocken gewordener Glanz auf den Lippen. Glanzlos. Mutters Nicht-Geste und meine Fünffingermückenhand. Ein wenig ekelt mich davor. Fünf an einer Hand, jede auf einem Finger. Wenn eine jede jetzt zustechen und ein wenig von mir aufsaugen würde. Wenn jetzt die Welt für immer unterginge. Und Mutter bliebe so unsagbar in meine Hand mit ihrem Mund, ihrem Lebewohlworte-Mund.

Ich habe mir diese Mücken von Mutter eingefangen. Und nun bekomme ich sie nicht mehr los. Mutter nicht und auch die Mücken nicht. Ich schaue und suche nach Eintagsgläsern.

Montag, 30. September 2013

Wir feiern deinen Geburtstag nicht. Weil da nichts mehr ist, was gefeiert werden kann. Dein Geburtstag war, wie dein Sterbetag gewesen ist. Einprägsam. Wir denken und gedenken, wir decken den Tisch, und decken ihn wieder ab. Wir gedenken Deiner. Deiner Lebenslust, deiner Lebensgier, deiner Lebensliebe, deiner ganzen Lebensart gedenken wir. An deinem vor Jahren schon gewesen Geburtstagen, an deinen Sterbetagen. Alle Daten. Immer und wiederkehrend. Feste Tages- Monats, festgelegte Jahreszeiten. Wir denken an dich. Und vielleicht denken wir heimlich mehr und öfter an dich, als zwischendurch auch mal an uns zu denken. An den einen oder anderen, oder auch an sich selbst. Vielleicht denken wir zu oft und vielleicht fühlen wir zu selten. Oder ich. Vor allem!

Ich möchte nicht mehr reden. Reden nimmt mir die Worte, nimmt mir die Gedanken, die beim Reden einfach losstürzen, aus mir heraus, als wollten sie das, als wollten sie immer nur aus mir heraus. Und dann sitze ich da und merke, wie mir diese Gedanken fehlen, wie mir die Worte fehlen, wie alles mit dem Reden verlorenen gegangen sein wird. Das ist meine Art, Dinge bei mir zu halten. Ich möchte nicht mehr reden müssen. Und wollen? Auch reden wollen. Ich möchte nicht reden wollen. Ich will nicht. Jetzt nicht mehr. Vor einiger Zeit vielleicht. Ein wenig hier, ein wenig dort. Aber jetzt möchte ich nicht wollen und nicht müssen. Ich will nicht! Nicht über dich und auch nicht über mich, nicht über uns reden wollen.

Meine Zunge hängt über die Rachen- oder auch Kehlraumbrücke wie ein Teppich zum Ausschlagen. Und alles, was durch meinen Hohlraummund sich formt und Wort für Wort entweicht, peitscht über meine Zunge, schlägt sie aus, schlägt sie wund und vielleicht sogar tot. Mit der Zeit. Mit der Zeit kommt immer das Sterben. Und dann werden Geburtstage neben Sterbetage geschrieben. Und das Geschriebene ist immer Bleibendes. Nicht wie das Gesagte, das Gesprochene, das Flüchtige. Das Fluchttier.

Ich denke mich und ich denke dich, denke uns aus mir heraus, in dich nicht hinein, weil da nichts mehr von dir ist, wohin es sich denken lässt. Ich bin gedankenlos im Umgang damit. Im Umgang mit deiner Fluchtgestalt, deinem Flüchtigsein. Ich bin fluchtgedankenlos.

Montag, 16. September 2013


A. sagt, deine Hände seien Denkwesen. Ich schaue und sehe deine Hände, sehe die Denkwesen nichts tun. Wie sie sich ineinander wiegen, als gelte es eine Entscheidung zu treffen. A. sagt Dinge und ich schaue, diese Dinge wie A. zu sehen. Ich sehe deine Hände auf mich zukommen. Sind deinen Händen keine Denkgrenzen gesetzt? Und ist ihr Denken immer auch dein HANDeln?

Meine Arme sind blutverschmiert. Der Habicht hat das Huhn gerissen, es aber nicht gänzlich zur Strecke gebracht. Wahrscheinlich bin nun ich ihm zuvor gekommen. Meine Hände brachen dem gerissenen Huhn das Genick. Nun liegt es in seinen Halsbruchhänden. Also in meinen. Meine Hände sind keine Denkwesen. Ich sehe sie immer nur greifen und fassen, sehe sie Hälse umdrehen, sehe sie blutverschmiert in meine Arme auslaufen. Wie ein Fluss Meer wird, wird mein Arm Hand. Er breitet und weitet sich aus, wird einnehmend.

A. sagt, ich solle es ihr nicht gleichtun wollen. A. sagt, ich solle mir eigene Ansichten suchen und denen dann folgeleisten. Um A´s. Willen wegen oder um der Welt Willen? Ich frage das, und A. sage ich nichts davon, deswegen weiß A. nichts von meinen Ansichten. Oder Denksichten. Vielleicht sollte ich meine Hände an A. legen. Nur so leicht hinan, so einen Millimeter über eine unmissverständliche Geste hinaus. Und dann gucken. Etwas würde geschehen.

Ich bin. Also denke ich. Ich denke an Gestern, ich denke an Morgen, jetzt denke ich, also denke ich nicht direkt an die Gegenwart, weil in ihr noch mein Denkakt an sich ist. Er ist fortwährende Gegenwart.

A.
Ich nehme deine Hände aus meinem Schoß. Denn mein Schoß ist ein handloser Ort. Dass deine Denkwesen, wie A. sagen würde, dort liegen, ist ein Unding. Denn an Schoßorten ist nicht gut denken. Das ist ähnlich wie mit den Funklöchern. Nur Schwirren und Wirren oder eben Nichts.

Donnerstag, 29. August 2013

Donnerstag, 8. August 2013

Stell dich drauf ein, hat einer gesagt und damit das Leben an sich gemeint. Er sagte, Leben ist nicht nur ein Subjektiv. Und der, der das sagte, hatte es ernst gemeint. Schaute mich an und ich sah, wie seine Brauen ganz ernst waren. Jedes Brauenhaar lag an Ort und Stelle, wo der, der das mit dem Leben an sich sagte, es auch haben wollte, genau dort, wo es eben liegen soll, wenn es um ernste Dinge geht. Und alles, was um die Augen liegt, macht ja Ausdruck. Auf die Augen schaut man ja, wenn einer so ernste Dinge sagt, man schaut da hinein, aber weil das Sichtfeld ja nicht in den Augen halt macht und bleibt, sieht man auch alles darum herum. Und da sah der, der sagte, das Leben sei nicht nur ein Subjektiv sehr nach tiefen Gesprächen aus. Vielleicht fragt jetzt einer, was ich denn mit tiefen Gesprächen meine, aber dazu sage ich nichts. Die Tiefe an sich bedarf es eben nicht, dass man auf sie hinweist, sie ergibt sich einfach, ist da und man ist in ihr. Das Leben also, sagte er, guck, das Leben ist ja auch ganz Verb. So, wie ich hier sitze und am subjektiven Leben bin, am eigenen und am Leben der Masse, so lebe ich eben auch. Ververbt eben. Und ich gucke auf diese einzelnen Haare seiner Augenbrauen und frage nicht, ob zuerst das Verb oder das Substantiv seiner Meinung nach gewesen ist oder war, oder sein wird oder oder oder. Ja, sage ich, substantiviert war ich mit und bei meiner Geburt und von da an ververbt. Da habe ich das ganze ja selbst in die Hand oder eben ans Herz genommen. Das Atmen. Also ich habe geatmet, gegessen usw usw. Ich hatte angefangen das Leben zu nehmen und zu ververben. Seither lebe ich. Der, der das mit Leben zuerst gesagt hatte, schaut mich unter seinen geordneten Augenbrauen an. Ja, sagt er. Und ja, sage ich.

Wenn du mich jetzt so siehst, frage ich den, denkst du dann oft an deine Freundin? Seine Freundin lebt anderswo, und er erzählt hin und wieder, und ich denke, ich muss ihr ähnlich sein. Ich habe eine Brust, wie sie eine hat, ich habe Beine und Arme, ich spreche in einer Frauensprache, ich sitze ihm gegenüber, ich trinke Wein. Ob er an sie denkt, wenn ich ihm wie seine Freundin gegenübersitze? Er sagt nein, sei sich aber nicht sicher, weil seine Freundin meint, er würde an mich denken, wenn sie bei ihm ist. Und ich merke, wie es mir unangenehm wird, denn ich bin ihr gar nicht ähnlich. Ich habe keine Haare, ich trage keinen Lippenstift, ich esse kein Gemüse und auch sonst, bin ich anders, sodass er gar nicht an mich denken kann, wenn ihm seine Freundin gegenübersitzt. Er sagt, seine Freundin sei eifersüchtig. Vielleicht auf die Zeit, sage ich, und auf die Nähe. Immerhin wohnen er und ich in derselben Stadt, und sie wohnt anderswo. Wohin die Winde einen so wehen, sage ich und denke an das Leben. Das Substantiv.

Wenn mich eine Therapeutin an die Hand nehmen würde, würde ich vielleicht öfter über andere Menschen nachdenken. So denke ich hauptsächlich über mich nach. Und über die Freundin des Freundes.

Wenn mich irgendwer bei der Hand nehmen würde. Vielleicht bekäme ich Angst, weil dieses Handnehmen wie das Anlegen von Fesseln ist. Und dann würde ich gar nicht mehr leben können. Das Verb. Denn ich muss hin und her, muss ständig von dem Ort weg, an dem ich gerade bin, um mich lebendig (das Adjektiv) zu fühlen.

Tod. Das geht nur als Substantiv. Oder Adjektiv. Tot ist man nur nebenher, nicht direkt. Ich lebe. Ich tot? Aber dahin kommen ist verbig. Ich sterbe. Oder ich werde gestorben, vielleicht von anderen, weil sie Freundinnen in anderen Ländern haben oder nicht wissen, wie sie mich am Leben halten sollen, wenn ich es zum Beispiel nicht mehr kann oder möchte. Im Sterben liegen. Dann wird das ein Ort, ein Aufenthaltsraum.

Warum hat der, der das mit dem Leben sagte, das gesagt? Jetzt bin ich verwirrt und liege so in die Nacht hinein.



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So. Nun bin ich aus der Nacht heraus. Bin aufgewacht und es war keine Nacht mehr. Die Wolken grummelten und ich stellte mir vor, während ich noch im Bett lag, ich läge im Magen von irgendetwas Großem, und die Wolken wären die Magenwände, und das Donnergrollen irgendwo wäre das Magengrollen. Ich stellte mir vor, es würde bald etwas kommen, dass mich zersetzen würde, und schon fiel der Regen in großen Wassertropfen herab, fiel auf die großen Blätter der großen Bäume im Hinterhof. Es war laut geworden und ich sah den sauren Regen. Wie es sich wohl anfühlen würde, so zersetzt zu werden? Das dachte ich oder ich fragte mich das in Gedanken. Also stand ich auf und überlegte, wie ich es ausprobieren würde können ohne dabei gänzlich in Zersetzung zu fallen, denn dann ließe sich nicht mehr nach- und aufspüren, wie es sich denn nun anfühlt. Der große Magen um mich herum hatte sich beruhigt. Jetzt ist es still vor den Fenstern und ich habe Raum zum Nachdenken. Ich denke mich in Teilen, in Zersetzteilen. Versatzstück fällt mir ein, und ich weiß nicht, was es damit auf sich hat. Also schlage ich nach, dem Wort nach, das ist auch eine Art Gewalttat, das Wort auf seinen Sinn und seine Bedeutung hin prüfen, es damit einschlagen und hineinpressen in das, was es aussagen soll. Versatzstück hat auf jeden Fall auch mit Kunst zu tun, das beruhigt mich.

Im Magen gibt es einen Pförtner. Das stelle ich mir schön vor. Da steht einer und lässt dich ein, begrüßt dich herzlich willkommen im Zersetzungsapparat. Aus seinem Magenpförtnermund kommen schöne Worte. Und dann schickt er einen weiter und verkriecht sich selbst in seine Pförtnerhöhle um vom kommenden Zersetzungsübel verschont zu bleiben. Vielleicht ist es ein tauber Pförtner. Wie sonst hielte er das alles aus? Das ist ja, wie auf der Welt sein, oft muss man sich die Ohren fest zuhalten, um das alles aushalten zu können. Oft ist ja einfach alles viel zu laut, und auch wenn die Ohren klein sind, aller Lärm gerät hinein. Und da steht kein Pförtner, der den Einlass mal verwehren würde. Selbst im Ohr ist alles, was auch außerhalb des Ohres schon laut ist. Hammer und Amboss, Trompete, Paukenhöhle. Alles laut. Und dann noch die Fenster, die alles immer nur durchlassen. Ein rundes und ein ovales Fenster, die keiner öffnet oder schließt, auf deren Bänke sich niemand lehnt mal hinaus zu gucken. Das Ohr ist ein lauter Ort. Aber alle Orte, an denen viel geschieht, sind laute Orte.

Aus der Nacht heraus- und so in Tag hineinkommen, ist auch nicht einfach. Jetzt stehe ich am Fußende meines Bettes und trage schon eine Aufgabe, dabei habe ich mich noch nicht einmal angezogen. Der Wolkenmagen hält still. Vielleicht bin ich schon zersetzt. Vielleicht habe ich davon gar nichts mitbekommen. Und nun stehe ich also nicht am Fußende meines Bettes, und ich bin auch nicht nicht angekleidet. Weil ich einfach gar nicht mehr bin. Ich stelle mir vor, wie ich gewesen war, und ich stelle mir vor, wie ich werde sein können, wenn ich doch längst nicht mehr bin. Aber solange ich mir mich vorstellen kann?
Ich suche noch nach der Zersetzungsmöglichkeit. Oder von mir aus auch Versetzungsmöglichkeit. Von der eigenen in die Fremdwahrnehmung gesetzt. Verrückt, sozusagen. Also muss mir ein anderer sagen, ob ich noch bin oder längst schon nicht mehr. Denn in stillen Räumen muss man wohl anders, als durch laute Worte, auf sich aufmerksam machen.

Freitag, 2. August 2013

Sommer. Nicht immer bedeutet das Wärme. Aber dieses Jahr! Ich liege auf einer Bank. Eine Bank im Schatten hoher Stadtbäume. Eine Bank im Stadtbaumschatten eines Parks, der einst ein Friedhof gewesen war. Auf einer Bank zwischen Grabmälern, die von ihren Gräbern verlassen worden sind. Auf einer Bank zwischen Grabmälern, um die herum Klettergerüste und Bänke gestellt worden sind. Ich liege auf einer Bank im Schatten hoher Stadtbäume inmitten von Grabmälern und Klettergerüsten für Kinder. Und es ist Sommer. Ein warmer Sommer. In der Stadt vielleicht wärmer, weil nichts entweichen kann. Alles staut sich in den von Hausmauern umrandeten Straßen. Alles staut und die Wärme staut mit.

Sommer. Ich mache mir Gedanken. Über den Winter vielleicht oder die Zeit, die kommen wird, in der die Häuser nicht mehr Kälte- sondern Wärmespeicher sein werden. Ich denke und merke, wie mir die Sonne in die Augen scheint. Die Schatten der hohen Stadtbäume wandern. Wanderschatten zwischen hohen Bäumen inmitten einer Stadt.
Vielleicht sollte ich einen meiner Füße oder beide in einen der Brunnen dieser Stadt halten. Oder in alle. Nacheinander natürlich. Wie sonst? Dann könnte einer meiner Füße oder auch beide abkühlen. Und etwas von dieser Erfrischung meiner Füße würde vielleicht das Bein oder beide Beine hinaufkriechen. Sich irgendwie entlang strecken und meinen Bauch erreichen, vielleicht auch meine Brust, einen meiner Arme oder beide. Vielleicht würde von der Brunnenerfrischung auch mein Kopf erfrischt werden. Aber ich liege zwischen den Bänken auf einem Gerüst zum Klettern für Kinder. Und ich liege zwischen, von ihren Gräbern verlassenen, Grabsteinen. Hier sind verlassene Stadtgräber und hohe Stadtbäume aber keine Brunnen der Stadt. Die Stadt streut ihr Wasser an öffentlichen Orten. Und die Menschen streuen sich bei Sommer und Hitze an den Brunnen, die über öffentliche Orte verstreut sind. Und im Stadtwasser streuen sich die Stadthunde, die Stadtkinder und die Obdachlosen. Auch die anderer Städte. Die Durchreisenden. Alle streuen sie sich im Wasser, ihre Haut, ihren Schweiß, ihren Schmutz, ihre Keime, ihre Haare, ihren Urin. Besser, ich werde meinen Fuß oder auch beide in keinen Stadtbrunnen bei Sommer und Hitze halten. Alles, was sich im Wasser streut und vermehrt, würde meine Beine hinauf und bis hin an mein Herz wandern. Und dort samte sich das Gestreute aus.

Sommer. Nicht immer bedeutet das diese Wärme. Auf meiner Haut liegt ein Käfer. Auf meinem Arm, genauer gesagt, auf der Haut in der Beuge, genau dort, wo die Arzthelferin die Nadel ansetzt und hineinsticht, wenn sie Blut entnimmt, genau dort liegt ein Käfer. Eigentlich liegt er nicht, weil er ja auf allen seinen kurzen Beinen steht. Aber weil er mit dem Bauch zwischen seinen kurzen Beinen meine Haut berührt, also aufliegt, sage ich, er liegt. Im Schatten. Weil ich im hohen Schatten der Bäume liege. So liegt alles aufeinander und beisammen. Der Schatten, die Stadt, die Bäume, die Grabsteine ohne Gräber, der Käfer, ich.

Donnerstag, 25. Juli 2013

Natürlich ist durch Zeit und Raum gut Springen. Wer springt, wird übersprungen haben. Ein Hindernis vielleicht. Vielleicht Zeit. Vielleicht Raum. Wobei, Raum ja immer. Und Zeit? Wer übersprungen werden wird, wird Raum und Zeit gewesen sein? Raum zumindest. Und Zeit? Natürlich ist gut Springen, wo Raum und Zeit sich überwinden lassen. Ein Fuß noch am Boden, der andere schon in der Zeit, im Raum darüber, davor, darunter und anderswo, wo Zeit sich winden lässt. Als wäre sie Wind und man brauchte Mühlen, sie zu nutzen. Nachhaltig würde man mit ihr umgegangen sein bzw. andauernd umgehen. Nachhaltig eben. Andauernd und fortwährend. Immerzu im Umgang mit Zeit als Wind. Mühlen müsste man gebaut haben in einen Raum, der auch Zeit hat, also Wind. Einen Raum, durch den die Zeit geht, also windet. Und dort wäre dann wieder gut Springen. Von einem Mühlturm vielleicht. Oder von einer Leitplanke, die den Raum umgibt. Den Wind im Raum zäunt. Oder zäumt. Von hinten auf. In jedem Falle wird gut gesprungen worden sein.

Ich walle durch die Zeit, die dieser Tage auch Hitze ist. Zeit hat einen Aggregatzustand. Momentan: heiß und flirrend. Ich walle durch und mit der Zeit. Es wird heißen: sie war mit ihrer Zeit gegangen. Nicht ihrer Zeit voraus etwa oder ihr nach. Also hinterher, und da stellt man sich das Hinterher immer schwankend und wankend, hinkend vor. Voraus ist immer eilend. Als ob einer, der zwar voraus ist, aber es nicht unbedingt eilig hat, als ob dieser immer schneller sei oder eben voraus, weil er schneller ist. Nein. Er könnte auch einfach der Zeit voraus in den Lauf eingesetzt worden sein. Gar nicht freiwillig, sondern weil die Zeit es so wollte. Oder jemand anderes. Oder etwas. Der Ort vielleicht. Ich walle noch. Durch den Raum, der auch dieser Tage Hitze ist. Im Schatten ist gut Kirschen essen. Aber auch in der Sonne. Spucken lässt sich aus allen Richtungen in alle Richtungen. Ungebunden. Nicht an Zeit. Nicht an Raum. Frei- …. Nicht Raum!

Selbst der Asphalt hält der hitzenden Zeit nicht stand. Er wölbt sich verweichlicht. Zeit ändert Aggregatzustände. Die Erde krustet, spaltet, öffnet sich. Das Wasser in den Seen kippt. Schwappt um und über sich selbst. Fällt sich hinterrücks selbst ins Messer. Eis schmilzt in Tüten und rinnt geschmolzen Kinder- und Erwachsenenhände entlang. Luft beginnt zu stehen, zu schwimmen, zu seichter Masse zu werden. Luft wird schwer. Der luftleere Raum ist vielleicht noch der bessere Ort während der hitzigen Zeiten.

Natürlich ist gut Springen. Von einem Brett ins Wasser. Von einem Turm auf Asphalt. Von einem Baum ins Gras. Von einem Fuß auf den anderen. Über Hundekothaufen. Über Flussläufe. Über Stock und Stein. Über aufgeschürfte Kinderknie. Über zeitlosen Raum.

Selbstmordattentate sage ich

Ich hänge In Gefilden und Gemengen Hänge ein stückweit nur
entfernt Hänge himmelwärts
wie eine von vielen kleinen Sonden
dich anstrahlend vielleicht Dich mir flach und auch gewölbt
dich mir kugelrund vorstellend

Ich hänge wie in einer gekappten Leitung
Hänge kurz hinter meinen Worten und weiter weg
von deinem Mund

Weiter Weg

Hänge unerreicht und unbeirrt
Drehe Runden
Hänge wie eine Glasfaser zwischen vielen gebündelt
und ummantelt
Gerissen
Irgendwo

Drehe sonnende Runden

Ich tänzle um einen Kreis dessen Maler sich nicht stören lässt
Setze die Masse meines Körpers durch den Raum setzte sie von einen auf den anderen Fuß
bewege Materie
Dass die Zeit dir deine Rahmen sprengt sagst du
und ich sage die Zeit sprengt sich immer nur selbst
in dem ihr möglichen Rahmen

Selbstmordattentate sage ich

Mittwoch, 17. Juli 2013

Ohnehaupt. Ich bin kein Ohnehaupt. Nur das Haar habe ich mir an allen möglichen Stellen rasiert. Überall dort, wo du es für dich möglich hältst. Oder für mich. Vielleicht. Mein Haupthaar ist jetzt ohne Kopf, liegt gestückelt in Zeitungspapier gewickelt, liegt als Müll beim Müll. Unrat und Untat. Nur ein Buchstabe weit voneinander entfernt. Abtrennbares habe ich mir gesagt und mich vom Haar abgetrennt. Vielmehr das Haar von meinem restlichen Körper. Überall dort, wo du es dir ausmalen kannst. Malen, vielleicht mit Kreide auf den Asphalt, immer dann, wenn gerade kein Verkehr ist. Wie du auf den Asphalt, der Straße ist, huschst und zeichnest, mit der Kreide wie mit einem dicken Stift in der Hand. Malst dann einen Körper und malst ihn so, wie du ihn dir haarlos vorstellen kannst. Malst den Hohlkörper auf Asphalt aus.

Ohnehaupt. Ich bin doch nicht kopflos über dich hergekommen. Oder? Ich habe geklopft und dann gekopft und dann noch Punkte darüber gesetzt. Geköpft? Fragst du und staunst über die feinen Unterschiede. Wie dein Haar sich von meinem unterscheidet. Spalten müsste man das können, sagst du und grinst. Einen spaltbreit nur. Um Haaresweiten hattest du mich eingeholt. Ich bin seit meiner Geburt Jahre voraus. Aber dann warst du hier und jetzt bist du an mir vorüber. Ich bin im Stillstand, bin zurück und nicht weiter gekommen. Bis an diesen einen Punkt, an dem mein Haar gestückelt und in Zeitungspapier gewickelt als Müll bei Müll liegt.

Immer diese Haarspaltereien, sagst du. Am Arbeitsplatz, Zuhause, beim Sport. Als trüge man über die Schulter geworfen immer diesen Hackeklotsch aus Kindertagen mit sich, eine Axt hinein gerammt. Und dann werden fein säuberlich Haare aufgelegt, gereiht und zur Spalterei verurteilt. Das Beil, das Spaltwerkzeug saust und braust durch die Luft an deinem haarlosen Kopf vorbei, nah an deinem Ohr entlang, saust und braust, kommt nieder. Spaltet.

Mein armes Ohnehaupthaar. Es ist bis auf das Kleinste gespalten, liegt nass und in Zeitungspapier gewickelt als Müll bei Unrat.


Mittwoch, 10. Juli 2013

Mit allen Ängsten gewaschen. An der Aorta zum Trocknen geleint. Irgendwie in die Luft wie zur Ansicht gehangen. Zur Innen- und Außenschau mit allen Ängsten auf aortrigen Leinen. Du sagst, es ist ein Tier ansässig. In dir von der Untermiete zum Hauptinsassen heran gewachsen. Nicht gekommen. Erst heran, um dann nah bei dir zu sein. Nein. Du sagst, in dir gewachsen. Krebsig dieses Biest. Und ich atme. Atme die immer selbe, in mir längst abgeatmete Luft. Ich kriege keine krebsigen Kreise. Will deine stören!

Ich werde zum Stoer. Und ich laiche in leicht salzigen Gefilden. Laiche meine Leichenkinder. Hoffnung. Habe ich die meisten genannt. Totgenannte schon vor ihrer Geburt. Wir sind keine Hoffnungsträger. Sage ich noch und kreise das krebsige Kriechtier in dir. Kreise es ein und möchte es aus dir heraus kreisen.

Kreischen, sagst du. Du könntest Kreischen und dich an deinem Gebrüll aufreiben. Alles ab- und aufreiben. Sodass der Insasse blank liegt. Fluchtgedanken bekommen könnte. Kreisch du kreisbleiche Krebsige.

Sonntag, 30. Juni 2013

Einer ist da. Nennt dich Mädchen und weiß gar nicht, wie alt du bist. Bist längst kein Kind mehr, keine Frau, bist Greisin der eigenen Zeit. Lebenszeit. Und fragt dich, nach deinem Befinden, als wäre an dir noch irgendetwas zu finden. Such- und Fundorte. Hautwärts, von innen nach außen dringend, mögen noch Furchen sein. Aufenthaltsorte. Vielleicht Wortwölbungen. Oder Ausstülpungen wie Geschwüre. Wenn Worte deinen Leib wölben. Stell es dir vor. Und dann stell dir mich als wölbende und gewölbte Greisin vor. Wie ich sitze und unförmig werde. Es längst bin. Ballonartig. Nicht in die Luft aufsteigend, viel eher sinkend, zu Boden stürzend, wie ein Geröll. Hernieder. Um- und anstoßend. Lawinen auslösend.

Wie ist also mein Finden, und wo genau befinde ich mich, während einer da ist und fragt. Finde nicht aus mir heraus und befinde mich dennoch an ungesehenen Orten, in ganzen Landstrichen, die von irgendher in mir abgehen, ausweichen und abufern. Ich bin der Ausgangspunkt all dieser Linien, die zu mir führen, die aus mir herausführen.

Samstag, 29. Juni 2013

Die Flüsse sind uferlos geworden. Ich rette mich auf das letzte und, so wie es aussieht, das kleinste Stück Festland. Ein Hügelhaufen, eine nach oben gerichtete Mulde. Ich gucke und sehe alles nur uferlos sein.

Mit dem, was man über sich selbst zugibt, oder mit dem, was man über sich selbst in Erfahrung bringt, steht man dann manchmal so. Auf einer umgekehrt aufgeschichteten Mulde. Steht auf diesen Aus- und Umstülpungen wie auf einem Sprungbrett. Nur für den Sprung unvorbereitet. Nicht bereit.

Ich werde weich. Wie ein zu lang umspülter Damm. Einbrüche. Allerorts. Ich muss immer wieder testen, mich austesten, wie viel ich noch imstande bin abzuhalten. Auszuhalten. Und Auswege, Lösungen suchen, wenn ich nicht mehr halte. Nichts mehr ab- und aushalte.

Gedankenräume brechen. Fallen zusammen und übereinander her. Raumlos. Unverortet. Wie ein Kind ohne Geburtskanal. Ohne Richtung und Hinweis, ohne Zukunft und deren Möglichkeit. Auch zu entkommen. Nicht entkommbar. Auch deswegen dieses Rennen. Jeden Tag dagegen an- und davonrennen.

Dienstag, 25. Juni 2013

Wenn einer einen Narren gefressen hat, sagt man dann, Narrzissmus? Und wenn sich dann einer über das doppel R aufregt, sage ich dann Rarität? Revolution, Rassismus? Schau doch mal in den Wind, sage ich dann, statt der anderen Sätze, denn wer in den Wind schaut, dem vergeht hin und wieder das Atmen. Es bleibt im Halse stecken, weil der Wind den Atem direkt hineinbläst, man bläht sozusagen im Hals auf, und das Geblasene drückt an die Kehlmauer und lässt sich nicht schlucken. Ja. Schau in den Wind, werde ich sagen.

Am Kopf lasse ich mich nicht fassen. Die Haare sind geschoren. Als sei ich ein Knabe, dem es gilt, das Grün hinter den Ohren zu mähen. Ein Schaf auf der Wiese, das sich nach dem Scheren nicht mehr als Schaf auf der Wiese fassen lässt. Nur noch ein gerupftes Tier, das grast. Kein Wollspender, kein Weichdenker, kein Kuscheleffekt. Mein Kopf ist also fassungslos. Faschismus?

Wörterbücher sind da, um auswendig gelernt zu werden. Lerne ein Wort und du versteht ein anderes. Ich sage immer, auswendig ist der sicherste Weg. Schau auf die Karte, präge dir den Weg und die Straßennamen ein, und du wirst dich nicht verlaufen. So ist es auch mit den Worten. Wer sich verspricht, hat nicht auswendig gelernt. Das Wörterbuch zum Beispiel.

Mit den Gefühlen ist das ähnlich. Es gibt eine ganze Palette. Und man kann sie mischen. Man muss ausprobieren, um zu wissen, welches wann und wo und wie genau passend sein kann, passend sein wird, ist. Man muss probieren und vor allem, auswendig lernen! Dann ist die Anwendung einfacher. Reibungslos, sozusagen. Und auch das Erkennen im Gegenüber. Das ist die höchste Kunst. Kein Geist ist je vom Himmel gefallen. Eher aus einem Körper hervorgetreten. Wenn überhaupt. Auch das Genie lernt und denkt und vergleicht. Und lernt auswendig. Womöglich etwas leichter, schneller, problemloser, nicht wie ein aktives Handeln, das Lernen.

Ja. Ja. Also, der Narrenfresser. Fallstricke sind immer die sichersten Seile, um jemanden gefangen zu nehmen.

Dienstag, 7. Mai 2013

Ich breche und gebe. Überbreche und Ergebe mich. Bei all diesen Worten. Worterlich. Nein. Wunderlich wollte ich sagen. Schreibwerkstätten. Mit Hammer und Bohrer. Aus Großholz wird Kleinholz gemacht. Mir schwirrt es vor Augen. Es schwirren Aphorismen, die keine sind, nur so kategorisiert werden, es schwirren Kurzgeschichten, die keine sind, nur in vier Zeilen länge ein Geschehen behaupten, es schwirren Gedichte, Essays, ja ganze Romanauszüge. Selbst beim Schließen der Augen schwirrt mir der Schädel. Was ich nicht sehe, ist längst nicht aus dem Sinn. Ich ergebe und erbrach mich. Das eine jetzt, das andere schon vorhin.

Schwirren. Schwirrte. Schwor. Geschworen. Ich habe nicht bei Gott, aber mit gekreuzten Fingern geschworen. Abgeschworen den Foren. Den wortreichen Orgasmen. Den Vorspielgaukeleien, den Schlummerliedern. Ich schwirrte mir selbst vor Augen. Ich schwirre und schwöre. Wenn du immer wieder SCHWIRREN sagst, wird dir ganz schummerig. Und das nur aus einem Wort heraus.

Wer mag, denkt nach. Der große Rest tut anderes.

Ich ergebe mich der Schnelligkeit meiner Finger. Mein Denken kommt kaum nach. Aber geschrieben wird trotzdem. Aus dem Rasen ist schlecht holen. Herausholen aus dem Rasen, meine ich. Oder hat schon einmal jemand einen anderen aus einem rasenden Auto geholt? Meine Finger rasen. Siehst du. Schon steht hier das Wort. Und so rasen sie auch durch Foren. Klick. Klick. Klick. Klack. Klick. Klick. Klick. Klick. Klack. Huch, jetzt ist alles öffentlich. Mein nicht bedachtes Denken. Mein Intimbereich, diese von mir kaum wahrgenommene Sphäre.

Ah. Ein Wort an mich. Ja. Ein Wort zu meinen hingeworfenen Worten. Ich berühre mich. Also werfe ich noch etwas. Hin. Dorthin. Dahin. Überall hin, wo andere ebenso Worte werfen. Ich bekomme eines ab. Ein Feines, ein Wohliges, ein Erregendes. Werft her wohin ich werfe!

Dienstag, 16. April 2013

Ich schreibe mich an die Wand. Bin angewortet wie andere angewidert sind, angekettet, festgenagelt, angeprangert. Ich bin angewortet, festgewortet, abgewortet. Abgewrackt. Ohne Prämie.

„An mich lasse ich dich nicht heran!“, denke ich und warte, wie du es anstellen wirst, an mich heran zu langen. Ich sehe dir zu. Ich spiele. Spiele ich? Mit dir? Vor dir? Mit mir selbst vor deinen Augen? „An mich lasse ich dich nicht.!“ Greif doch! Greif hin, greif ran, greif hinein! An was greifst du denn, greifst du nach mir? In Felle und Häute anderer Leben. In Schall und Rauch, greifst nahtlos aus der Luft in die Luft. Wirst Greifarm und Ergriffensein.

Nein. Ich spiel nicht.

Ich setze mich dir aus. Ich setze dich mir aus. Das tut mir manchmal auch leid. Meist im Nachhinein. Denn im Voraus nehme ich mir das nicht vor. Ich komme mit anderen Absichten. Ich komme, weil ich sein möchte, ein klein wenig bleiben. An diesem Ort vor deinen Augen. An diesem Ort vor deiner Stimme. An diesem Ort nur einen Millimeter von deinem Mir-Zugetan-Sein entfernt. Ich komme an diesen Ort und bleibe. Eine Weile sitzen, eine Weile ohne Worte, eine zu lange Weile, um nicht mit dir zu Spielen. Ein Abwehrspiel. Strategiespiel. Ein Geduldsspiel. Und ja. Es tut mir im Nachhinein leid. Aber im Nachhinein ist eine andere Zeit. Und ich kann es nicht mehr ändern. Nicht mein dir Aussetzen, nicht dein mir Ausgesetztsein.

Das tut mir leid.

Ich worte mich an die Wand. Aber nicht vor deinen Augen. Denn an diesem Ort vor deinen Augen, ist dieses Zugetansein. Das möchte ich nicht verworten. Nicht verletzen. Und dann sagst du, vielleicht nur eine Silbe und schon hast du mich. Hast mich verwortet. Mich geschachtelt, veraktet und einsortiert. Und ich speie Stille.

Geschwollene Stilledrüsen drücken mir den Hals zu.

Und du sitzt. Sitzt in deiner Gelassenheit. Sitzt und blickst und schaust und ich warte. Warte auf Worte. Wortwarten. Wartworte. Und dann kommen sie, aber nicht wie Speichelworte. Kommen irgendwie, als wären sie mehr als nur bedacht. Wären über das Denken selbst längst hinaus. Du in deinen Worten. Und ich worte dich an die Wand. Worte dich mit Händen, Füßen, dich in deinem Gelassensessel. Worte dich durch den Raum, der mir auch irgendwie Zeit ist. Die Zeit, dich durch den Raum zu worten, bietet. Ich verworte dich!

Hilflos. Und im Nachhinein tut es mir auch leid.

Dienstag, 12. Februar 2013

Soll doch einer mal sagen, er bringe sich um. Und dann macht er es nicht. Dann steht der da mit seinem unerfüllten Vorhaben. Steht und muss sich seines Lebens rechtfertigen. Muss sich seines Nicht-Ablebens verteidigen. Muss stehen, vielleicht noch den Strick in der Hand, die Steine in der Tasche, das Messer im Hosenbund. Und es stehen die da, denen er es sagte. Sie müssen sich ihrer Zurückhaltung rechtfertigen, müssen sich ihres Einschreitens verteidigen. Sie müssen einander ansehen, der, der sagte, er bringe sich jetzt um und jene, denen er es sagte, und die sehen den Strick, die Steine, das Messer. So stehen sie einander gegenüber und gucken. Gucken, wie ihre Leben aneinander reiben, wie stark diese Reibung ist, ob sie diesen Tatbestand des nicht erfüllten Vorhabens aushalten wird können. Sie gucken einander an, in Leib und Leben. Und glauben sich für jeden Schritt rechtfertigen zu müssen. Das eigene Recht fertigen. Anlegen, vorbereiten, darbieten. Sie müssen damit leben sich ihr Recht anzufertigen, um es anderen aufzutischen.

Freitag, 8. Februar 2013

Ich bin mit allen Wassern nach oben geschwemmt. Bin vor die Tür getreten, gestoßen worden, bin gewollt am Schopf gepackt und ans Oberwasser gezerrt worden. Nur einzig mit dem Ziel, mich kopfunter zu tauchen. Mich atmen zu lassen, was nicht atembar ist. Mich so zu lassen.

Es ist ein kleiner Raum. Beengt ist man in ihm. Kein Blick kann entweichen und keine Flucht kann gelingen. Geborgen engt sich alles um einen herum. Die Angst, der Zorn, das kindische Verlangen nach Aufmerksamkeit, überhaupt das Verlangen nach irgendwas. Nur nicht unbeachtet sein. Man will gesehen werden mit all den beengenden Gefühlen, den Gegebenheiten. Wie sie sind und nicht anders sein wollen. Wie sie sind und einen zu dem Menschen machen, der man ist. Ob man es will oder nicht. Man ist bereits dieser Mensch, der hier sitzt. In diesem Raum ohne Möglichkeit zu entkommen. Sich selbst ausgeliefert. Sich und seinem Menschsein. Vor die Fragen wie vor eine Wand gestellt. Mit Händen und Füßen an die Worte genagelt, die irgendwas wollen. Dabei hat man es längst durchschaut, hat diesen Raum mit seiner Enge ausgemessen, hat die Varianten, sich darin zu stapeln und zu schichten längst ausgewogen, hat begonnen, Maß zu schneidern. Mit genagelten Händen und Füßen. Mit den umbundenen Worten, die nicht anders als leichte Schnüre sind, einen Kinderdrachen im Wind zu halten.

Hände und Füße arbeiten. Die Arbeit beginnt in den Fingern. Die einzig im Raum frei beweglichen. Sie scharren, sie klopfen Töne und werden nur seitwärts kommend wahrgenommen, werden wie ferne Trommeln gehört, der Rhythmus ihrer Arbeit. Befreiungsarbeit. Die Finger kratzen und klopfen, drängen die Bewegung in den Arm, eine Bewegung, die nichts als Flucht bedeuten möchte und ihrer Bedeutung nirgends nachkommen kann. Also bewegen sich die Arme im Raum, zeichnen Kreise, obwohl alles Empfinden eine Scheibe ist. Randwärts stürzt alles ab. Absturzgrenze. Nicht überschreiten. Nicht hinan- und folglich hinabgleiten. Die Arme geben die Unruhe in die Beine, die mühsam ihr Gewicht im Sessel halten. Sie überschlagen sich und treten sich so selbst zur Stille. Unruhe. Sie breitet sich aus, breitet sich in jeden Körperwinkel, wird ansässig und weilt darin, während der Raum nicht größer wird.

Ich wurde mit allen Wassern und allem, was sich darin befindet nach oben geschwemmt. Da liege ich nun der Umwelt nicht angemessen. Unangepasst in einem Raum, der eigentlich gar nicht ist.

Nein. Von mir mache ich keine Reden. Nicht, weil da nichts wäre. Nur da ist nicht viel, um dass sich Reden lohnt. Wenn zu Beginn immer eine Rede steht, weilt sich das Feld aus. Was ist der Rede wert, was das einzelne Wort? Was ist der Mensch der Rede wert? Ich stülpe von innen nach außen, ich stülpe und schaue hinein, kaum Beredbares. Und doch formen sich Worte, formt sich Inhalt, formt sich Aussage. Und wer hinhört, wenn denn einer hinhört, der wird etwas verstehen, wird vielleicht etwas von dem verstehen, was der Worte wert geworden ist. Aber wie lösen wir unsere Worte? Lösen sie wie eine Handvoll Salz im Meer. Lösen sie in Unmengen um uns herum, lösen uns damit auf.

Nein. Von mir mache ich kaum mehr Reden.

Und doch. In dieser Enge ist etwas, was hält. Hält einen fest, hält einen von dieser Absturzgrenze fern, obwohl es auch hinträgt. Pendelt einen ein, pendelt einen hin, pendelt einen zurück. Pendelt. Nicht in ein Ausgewogensein. Aber andernorts hin. Diese Enge schützt einen, sie lässt nichts heraus, lässt nichts herein, lässt sich einem selbst nur. Wenn auch ausgeliefert sein.
Und dann ist da ein Mensch. Einer, der in dieser Enge sitzt, sie gar nicht empfindet, sie aber um einen herum wahrzunehmen scheint. Einer, der wartet. Auf Worte wartet der, und wenn keine kommen, formt er sie in den Raum, passend dazu, als wären diese Worte ein Bild, welches zur Wandfarbe passend angefertigt worden ist. Warme Worte. Worte, die ausgewählt scheinen, ausgewählt eine Stelle zu treffen, die womöglich zu berühren gilt. Nur zu berühren gilt, um etwas auszulösen oder loszulösen. Einen Perspektivwechsel vielleicht. Ein Empfinden aus anderer Sicht. Ein Hineinhören. Und dann hört man, was man längst schon gehört hat. Und vielleicht versteht man endlich etwas von dem, was man immer nur hört. Oder man ist still. Still in diesem Hören und findet nur etwas Dumpfes darin.

Dumpf. Ein unausgefochtenes Gefühl, eines, das werden wollte. Aber nicht konnte. Blieb in sich zurück, blieb verkümmert, blieb ohne Kenntnis.

In dieser Enge des Raumes bleibt, was man gesprochen hat, bleibt jedes Wort, wenn es nicht in den Hinterzimmern der Köpfe mit hinaus und fortgetragen wird. Aber was gelangt hinein in diese Hinterzimmer, was gelangt in die Köpfe? Wenn diese sich im Raum wiegen, als wiegten sich schwere Eichen im Sommer.

Ich bin mit allen Wassern angeschwemmt. Mit den Unter- und Oberwassern, mit den grünen und sumpfigen, mit kristallenen Berg- und Flusswassern. Bin überschwemmt und angespült worden. Nun bin ich hier. Möchte bleiben, möchte irgendwie sein und alles in mir treibt wie Wasser davon. Treibt einer Richtung hinterher, die ich unmöglich auf Dauer halten kann. Treibt und spaltet mich wie ein Delta auseinander.

Die Enge hält mich in Grenzen.

Dienstag, 5. Februar 2013

Bretter, die einem die Welt bedeuten, kann jeder sammeln und sich zu einer Bühne zimmern. Also ziehe ich los, sammle Reisig und Treibholz, sammle auf, was sich irgendher anschwemmt. Hauptsache sammeln und horten, einen Vorrat schaffen, als wäre damit auch immer ein Sack guter Räte im Haus. Ich zimmere Zimmer an Zimmer, Räume zu schaffen. Räume für Gesagtes und Ungesagtes, Räume für zwischendurch, Räume mit Durchgangstüren. Zwischenräume. Nischen und Nistplätze. Die Straßen sind leer und die Menschen kommen nicht umhin, einander anzustoßen. Denn woran denn stoßen, wenn nicht an den Anderen? Ich stoße direkt und ohne Umschweife, stoße mich an jedem und jeder, stoße hin und lange zu. Viel zu lange bin ich unumstößlich gewesen. Aber jetzt mit den Bretten, die irgendeinem seine Welt bedeuten …. Ich hämmere und zimmere, dir eine Bühne, dem ein Luftgefährt, einem anderen ein Laufrad. Zimmern und hämmern, hämmern und zimmern. Wohin gelangst du, wenn dir etwas gelungen ist? Langst heran an ein Ziel? An eine Zielsetzung, an einen festgelegten Punkt, der nur markiert, was du Ziel nennst? Wohin gelangen wir beim Erreichen der Dinge? Gelangen über uns hinaus, in uns hinein? Gelangen irgend hin?