Donnerstag, 24. Oktober 2013

Seit Tagen die immer gleichen Töne, dass sich selbst wiederholende oder widerrufende Klingen irgendwelcher Zirpgestalten. Ich nenne sie Zirpgestalten, weil sie mit den Augen nirgends auszumachen sind. Nur hören, immer wieder hören. Hören, hören, hören. Wie der Klang einen foltert, also mich malträtiert, martert, mordet. Wie der Klang sich mir wie ein Folterkleid umlegt, denn du hörst ja nichts. Wie er sich mich einverhäutet, als gelte ich diesen Zirpgestalten ein Klangkörper zu sein. Ich höre, höre, höre, höre, höre, höre, wo ich stattdessen auch schlafen, essen, trinken, sprechen, lachen, gehen sollte. Ich höre! Sonst nichts weiter. Und du sagst, da sei nichts, sagst mir, ich solle dir doch zeigen, sagst mir, ich selbst sähe doch nichts, ich bilde mir nur ein. Du sagst und ich höre. Höre dich und sehe die Zirpgestalten nicht.

Mein Nasenbein, weder die Paukenhöhle, noch der Steigbügel, nicht Hammer und Amboss, nichts in meinem Ohr schmerzt. Nur mein Nasenbein. Links und rechts, die von den Augen abfallenden Flanken. Als breite sich der Schmerz in Flügeln, in der Spannbreite meiner Wangenknochen aus. Und über den Tag zieht der Schmerz, zieht wie ein flauer Vogelschwarm von meinen Nasenbeinrändern zur oberen Zahnreihe. Und das alles wegen der Zirpgestalten. Unaufhörlich. Im Sinne dieses Wortes … un auf hörlich. Ich höre. Höre. Höre. Höre. Zu Zeiten, zu denen ich auch schlafen sollte.

Du sagst, ich hätte schlecht geträumt, aber ich sage, ich höre nur noch, auch dort, wo ich vielleicht träumen sollte. Du siehst die Nacht nicht, weil du ja die Augen im Schlaf geschlossen hältst. Du siehst und hörst nichts, und ich suche die Zirpgestalten. Wühle zwischen Tüchern und Kleidern, suche unter Tellern und Tassen, räume die Besteckkiste aus, räume sie wieder ein, ich habe die Zeitungen und Bücher durchblättert. Alle. Und jede Seite. Ich reiße die Tapete an den Ecken ein, ich suche darunter die Zirpgestalten, ich reiße, wenn du nicht hier bist, die Dielen vom Boden. Ich sehe nichts. Ich höre. Höre, HÖre, HÖRe, HÖRE während ich reiße und schiebe, wühle und kratze. Während ich alles andere bin und tue und sein sollte und tun sollte.

Ich suche und finde ein wenig Wüstensand zwischen den Matratzen. An den aus Afghanistan habe ich lange nicht gedacht. Nicht an seine im-Blut-saug-wie-im-Pool-schwimm-Mücke. Ich dachte nicht an ihn, aber hier ist Wüstensand. Zirpgestalt. Zirp. Zirp. ZIRp. ZIRP! Es ist in meinen Ohren, und die Mücken. Ihre schmalen Leiber, ihre Wüstenflügel, ihr Sand-und-Blutsaug-Rüssel. Ihre ganze Wüstengestalt. Ich fege zwischen den Matratzen. Fege Sand aus alten, längst vergessenen Tagen. Der aus Afghanistan hat eine Tochter bekommen. Hat erst eine neue Frau gefunden, diese dann geheiratet, sicher ist sicher, denke ich, und jetzt, kürzlich erst, bekam diese seine Tochter. Verhalf ihr zur Welt zu kommen. In diesen Wüstensand, denke ich. Die Mücke saugt, und dann badet sie im Fremdkörperblut. In Soldaten- und Afghanenblut.

Zirpgestalt. Ich finde dich! Du sagst, ich renne Wände ein, du sagst, ich solle mal zur Ruhe und vor allem, zu mir selbst kommen. Ja wohin denn, brülle ich, weil ich über die immer gleichen Töne hinweg, zu dir hin brüllen muss. Dass du mich hörst! Ich solle nicht brüllen, schreist du, und ich sehe ja, dass du schreist, deswegen brülle ich ja. Dass du mich hören kannst. Ich höre dich nicht! Die Zirpgestalten.

1 Kommentar:

  1. ich frage mich, was hinter dem "du" steckt. wozu der text das du braucht und in der folge die texte das du brauchen, ohne es je näher zu bestimmen. wenn die texte bei dem du bleiben, ohne dass es gestalt annimmt (wie es im gegensatz dazu in einer geschichte wäre, die nach und nach etwas mehr offenbart), dann wird mir erst eine neugier eingesetzt, die dann keine befriedigung erfährt. in dem fall würde ich den text auch ohne das "du" verstehen, es verliert für mich an bedeutung, in je mehr texten es vorkommt ohne eine bezeichnung zu erhalten. vielleicht würde es mir dann sogar besser gefallen, gäbe es kein du.

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