Sonntag, 11. März 2018



All die fein gefädelten Grenzschnüre. All die Maschen und Ängste. All die betretenen Wege um mich herum. Wege aus meinem Elternhaus heraus, Wege nach Westen, Süden und jetzt der Osten, Wege zu Menschen und Wege von Menschen fort, Wege dorthin, wo niemand niemanden im Weg steht.

Meine Wohnung im elften Stockwerk hat raufaserweiße Wände. Keine Fotos, keine Schränke. Die Matratze auf dem Boden, die drei leeren Teller auf dem Fensterbrett. Das Glas Gemüsebrühe neben der Herdplatte, auf der der Topf steht, heute noch unberührt. Elf Etagen zu mir zu kommen. Morgens, mittags oder abends, immer habe ich diese elf Etagen Zeit. 23 Stufen pro Etage.

Selten kommen Menschen zu mir in die elfte Etage. Wenn jemand kommt, klingelt er oder sie am Fuß des Hauses, berührt das Klingelschild, berührt meinen Namen und spricht automatisch die immer gleiche Floskel in den Lautsprecher. Unten am Fuß des Hauses steht dann jemand und spricht mit mir, die ich elf Etagen darüber stehe und nicht durch das Fenster hinunter, sondern auf einen grauen Fleck an meiner Raufaserwand schaue. Der Mann, der die Zähler an den Heizkörpern ablesen möchte, zum Beispiel. Solche Männer kommen die elf Etagen a 23 Stufen zu mir herauf, und ich weiß dann, nach dem Berühren meines Namens werde ich knapp diese elf Etagen Zeit haben. Ich sage knapp, weil bisher keine zwei Menschen genau dieselbe Zeit benötigt haben.

Der Fahrstuhl ist außer Betrieb. Die übrigen Bewohner des Haues stören sich daran. Ich kenne sie nicht, lese aber immer die Aushänge im Treppenhaus. Beschwerdebriefe, Mahnungen an die Wohngenossenschaft, an den Verwalter und auch sonst wird sich hier viel schriftlich beschwert.