Donnerstag, 8. August 2013

Stell dich drauf ein, hat einer gesagt und damit das Leben an sich gemeint. Er sagte, Leben ist nicht nur ein Subjektiv. Und der, der das sagte, hatte es ernst gemeint. Schaute mich an und ich sah, wie seine Brauen ganz ernst waren. Jedes Brauenhaar lag an Ort und Stelle, wo der, der das mit dem Leben an sich sagte, es auch haben wollte, genau dort, wo es eben liegen soll, wenn es um ernste Dinge geht. Und alles, was um die Augen liegt, macht ja Ausdruck. Auf die Augen schaut man ja, wenn einer so ernste Dinge sagt, man schaut da hinein, aber weil das Sichtfeld ja nicht in den Augen halt macht und bleibt, sieht man auch alles darum herum. Und da sah der, der sagte, das Leben sei nicht nur ein Subjektiv sehr nach tiefen Gesprächen aus. Vielleicht fragt jetzt einer, was ich denn mit tiefen Gesprächen meine, aber dazu sage ich nichts. Die Tiefe an sich bedarf es eben nicht, dass man auf sie hinweist, sie ergibt sich einfach, ist da und man ist in ihr. Das Leben also, sagte er, guck, das Leben ist ja auch ganz Verb. So, wie ich hier sitze und am subjektiven Leben bin, am eigenen und am Leben der Masse, so lebe ich eben auch. Ververbt eben. Und ich gucke auf diese einzelnen Haare seiner Augenbrauen und frage nicht, ob zuerst das Verb oder das Substantiv seiner Meinung nach gewesen ist oder war, oder sein wird oder oder oder. Ja, sage ich, substantiviert war ich mit und bei meiner Geburt und von da an ververbt. Da habe ich das ganze ja selbst in die Hand oder eben ans Herz genommen. Das Atmen. Also ich habe geatmet, gegessen usw usw. Ich hatte angefangen das Leben zu nehmen und zu ververben. Seither lebe ich. Der, der das mit Leben zuerst gesagt hatte, schaut mich unter seinen geordneten Augenbrauen an. Ja, sagt er. Und ja, sage ich.

Wenn du mich jetzt so siehst, frage ich den, denkst du dann oft an deine Freundin? Seine Freundin lebt anderswo, und er erzählt hin und wieder, und ich denke, ich muss ihr ähnlich sein. Ich habe eine Brust, wie sie eine hat, ich habe Beine und Arme, ich spreche in einer Frauensprache, ich sitze ihm gegenüber, ich trinke Wein. Ob er an sie denkt, wenn ich ihm wie seine Freundin gegenübersitze? Er sagt nein, sei sich aber nicht sicher, weil seine Freundin meint, er würde an mich denken, wenn sie bei ihm ist. Und ich merke, wie es mir unangenehm wird, denn ich bin ihr gar nicht ähnlich. Ich habe keine Haare, ich trage keinen Lippenstift, ich esse kein Gemüse und auch sonst, bin ich anders, sodass er gar nicht an mich denken kann, wenn ihm seine Freundin gegenübersitzt. Er sagt, seine Freundin sei eifersüchtig. Vielleicht auf die Zeit, sage ich, und auf die Nähe. Immerhin wohnen er und ich in derselben Stadt, und sie wohnt anderswo. Wohin die Winde einen so wehen, sage ich und denke an das Leben. Das Substantiv.

Wenn mich eine Therapeutin an die Hand nehmen würde, würde ich vielleicht öfter über andere Menschen nachdenken. So denke ich hauptsächlich über mich nach. Und über die Freundin des Freundes.

Wenn mich irgendwer bei der Hand nehmen würde. Vielleicht bekäme ich Angst, weil dieses Handnehmen wie das Anlegen von Fesseln ist. Und dann würde ich gar nicht mehr leben können. Das Verb. Denn ich muss hin und her, muss ständig von dem Ort weg, an dem ich gerade bin, um mich lebendig (das Adjektiv) zu fühlen.

Tod. Das geht nur als Substantiv. Oder Adjektiv. Tot ist man nur nebenher, nicht direkt. Ich lebe. Ich tot? Aber dahin kommen ist verbig. Ich sterbe. Oder ich werde gestorben, vielleicht von anderen, weil sie Freundinnen in anderen Ländern haben oder nicht wissen, wie sie mich am Leben halten sollen, wenn ich es zum Beispiel nicht mehr kann oder möchte. Im Sterben liegen. Dann wird das ein Ort, ein Aufenthaltsraum.

Warum hat der, der das mit dem Leben sagte, das gesagt? Jetzt bin ich verwirrt und liege so in die Nacht hinein.



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So. Nun bin ich aus der Nacht heraus. Bin aufgewacht und es war keine Nacht mehr. Die Wolken grummelten und ich stellte mir vor, während ich noch im Bett lag, ich läge im Magen von irgendetwas Großem, und die Wolken wären die Magenwände, und das Donnergrollen irgendwo wäre das Magengrollen. Ich stellte mir vor, es würde bald etwas kommen, dass mich zersetzen würde, und schon fiel der Regen in großen Wassertropfen herab, fiel auf die großen Blätter der großen Bäume im Hinterhof. Es war laut geworden und ich sah den sauren Regen. Wie es sich wohl anfühlen würde, so zersetzt zu werden? Das dachte ich oder ich fragte mich das in Gedanken. Also stand ich auf und überlegte, wie ich es ausprobieren würde können ohne dabei gänzlich in Zersetzung zu fallen, denn dann ließe sich nicht mehr nach- und aufspüren, wie es sich denn nun anfühlt. Der große Magen um mich herum hatte sich beruhigt. Jetzt ist es still vor den Fenstern und ich habe Raum zum Nachdenken. Ich denke mich in Teilen, in Zersetzteilen. Versatzstück fällt mir ein, und ich weiß nicht, was es damit auf sich hat. Also schlage ich nach, dem Wort nach, das ist auch eine Art Gewalttat, das Wort auf seinen Sinn und seine Bedeutung hin prüfen, es damit einschlagen und hineinpressen in das, was es aussagen soll. Versatzstück hat auf jeden Fall auch mit Kunst zu tun, das beruhigt mich.

Im Magen gibt es einen Pförtner. Das stelle ich mir schön vor. Da steht einer und lässt dich ein, begrüßt dich herzlich willkommen im Zersetzungsapparat. Aus seinem Magenpförtnermund kommen schöne Worte. Und dann schickt er einen weiter und verkriecht sich selbst in seine Pförtnerhöhle um vom kommenden Zersetzungsübel verschont zu bleiben. Vielleicht ist es ein tauber Pförtner. Wie sonst hielte er das alles aus? Das ist ja, wie auf der Welt sein, oft muss man sich die Ohren fest zuhalten, um das alles aushalten zu können. Oft ist ja einfach alles viel zu laut, und auch wenn die Ohren klein sind, aller Lärm gerät hinein. Und da steht kein Pförtner, der den Einlass mal verwehren würde. Selbst im Ohr ist alles, was auch außerhalb des Ohres schon laut ist. Hammer und Amboss, Trompete, Paukenhöhle. Alles laut. Und dann noch die Fenster, die alles immer nur durchlassen. Ein rundes und ein ovales Fenster, die keiner öffnet oder schließt, auf deren Bänke sich niemand lehnt mal hinaus zu gucken. Das Ohr ist ein lauter Ort. Aber alle Orte, an denen viel geschieht, sind laute Orte.

Aus der Nacht heraus- und so in Tag hineinkommen, ist auch nicht einfach. Jetzt stehe ich am Fußende meines Bettes und trage schon eine Aufgabe, dabei habe ich mich noch nicht einmal angezogen. Der Wolkenmagen hält still. Vielleicht bin ich schon zersetzt. Vielleicht habe ich davon gar nichts mitbekommen. Und nun stehe ich also nicht am Fußende meines Bettes, und ich bin auch nicht nicht angekleidet. Weil ich einfach gar nicht mehr bin. Ich stelle mir vor, wie ich gewesen war, und ich stelle mir vor, wie ich werde sein können, wenn ich doch längst nicht mehr bin. Aber solange ich mir mich vorstellen kann?
Ich suche noch nach der Zersetzungsmöglichkeit. Oder von mir aus auch Versetzungsmöglichkeit. Von der eigenen in die Fremdwahrnehmung gesetzt. Verrückt, sozusagen. Also muss mir ein anderer sagen, ob ich noch bin oder längst schon nicht mehr. Denn in stillen Räumen muss man wohl anders, als durch laute Worte, auf sich aufmerksam machen.

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