Dienstag, 14. August 2018

Ich sage immer, mir brennen die Augen und dass das der Ruß der letzten Jahre sei. Auf dem Rad zum Beispiel oder in der Bahn. Wenn ich an der Ampel stehe und mich jemand fragt, weshalb ich weine, oder wenn mir in der Bahn jemand gegenüber sitzt und sieht, dass meine Augen tränen und der mich fragt. Dann sage ich das.

Und es fühlt sich auch so an. Zuerst spüre ich den Rand meiner Augen. Diese zarte, hell schimmernde Haut, diesen Rand, den manche Menschen farblich noch weiter linieren. Genau da beginnt der Brand und zieht sich in das jeweilige Auge hinein und kreiselt inwendig weiter. Es kommt vor, dass das rechte Auge weniger stark brennt. Aber auch andersherum. Dann weidet das Brennen, wird flächig, sodass Tränen hervorschießen, als wollten sie das Feuer löschen. Das passiert in meinen Augen, der Rest meines Körpers bleibt unbetroffen, als wären Abschirmdämme oder Schutzwälle vor den Rändern meiner Augen aufgestellt worden. Der restliche Körper fährt Fahrrad oder sitzt in der Bahn oder steht, geht, liegt. Das hängt von der Uhrzeit ab.

Aber in Wirklichkeit stimmt das nicht. Manchmal sinkt mein Körper von den Augenlidern her etwas in sich zusammen. Es kam auch schon vor, dass ich schluchzte. Unvermittelt. Einfach so. Aus dem Nichts heraus. Eigentlich ist das auch nicht richtig. Denn das Schluchzen kam ja nicht aus dem Nichts, es kam aus diesem flächendeckenden Glaskugelbrand.

Oft sage ich nichts. Ich sage nichts, wenn niemand fragt. Manchmal sage ich auch nicht die Wahrheit, wenn jemand fragt. Ich reibe mir die Augen, ich benutze ein Taschentuch. Ich kaufe Tabletten und sage, es ist die Allergie.

Bin ich dann angekommen, hören die Tränen auf. Ich schließe mein Rad ab, ich öffne Türen und begrüße die Kolleginnen. Ich sehe Menschen auf Stühlen sitzen, warten. Ich stelle meine Wasserflasche auf den Küchentisch, ich verstaue meine Fahrradtasche. Der Arbeitstag beginnt. Die Menschen stehen von den Stühlen auf, folgen mir in ein Zimmer, folgen meiner Anweisung, berichten von ihrem Erleben, sehen mich an, ich sehe zurück, wir reden, wir handeln, wir schweigen, wir berühren. Manchmal schreit jemand, manchmal nicht. Die Menschen stehen auf, schütteln mir die Hand, verlassen das Zimmer, gehen an den Stühlen, auf denen sie saßen und warteten, vorüber, gehen den Flur entlang, gehen wahrscheinlich nach Hause.

Ich suche meine Wasserflasche. Gehe müde und langsam in die Küche, fülle die Flasche auf, trinke, habe keinen Hunger. Andere Menschen auf denselben Stühlen. Andere Geschichten, andere Anweisungen, keine oder mehr Berührungen. Türen öffnen sich, Stühle sind besetzt oder unbesetzt, Türen schließen sich. Ich habe keinen Hunger. Die Kollegen treffen sich zum Mittag in der Küche. Ich kann den Gesprächen nicht folgen, verlasse den Raum, gehe vor die Tür, fühle mich zu schwach für einen Spaziergang.

Später schließe ich mein Rad ab und mache mich auf den Heimweg. Die Augen brennen. Die Tränen fließen. Übelkeit. Zuhause angekommen, noch immer keinen Hunger. Keine Kraft, keine Lust in der Wohnung etwas zu tun. Herumsitzen. Schlafen ohne Traum. Aufwachen ohne Schlaf. Der Kaffee am Morgen. Die Bahn oder das Rad. Das Weinen. Das Schluchzen. Grundlos. Übelkeit.

Türen schließe ich auf. Menschen auf Stühlen. Menschen am Tisch im Zimmer. Geschichten. Tränen. Wut. Berührung. Ansagen. Verabschiedung. Andere Menschen, gleiche Stühle. Kollegen in der Küche. Kein Hunger. Auffüllen der Wasserflasche. Das Rad abschließen. Die Bahn um 12:01 Uhr erwischen und an den anderen Ort fahren. 13 Uhr dort die Schicht beginnen. Auch da Menschen mit Geschichten, Aufgaben, Erwartungen, Erfüllungen, Gemeinheiten, Fragen und manchmal auch Antworten. Wenig Zeit.

Etwas einkaufen gehen. Tränen in den Augen. Grundlos. Kopfschmerzen. Nach Hause kommen, eine Mahlzeit zubereiten. Essen ohne Appetit. Hinter den Fenstern den Sommer sehen. Schluchzen. In einem schwachen Körper stecken und sich hinlegen. Schlafen ohne Erholung. Aufstehen ohne Schlaf. Kaffee. Glaskugelbrand.

Menschen. Stühle. Übelkeit. Allergietabletten.

Manche fragen, andere nicht. Ich gebe keine Antworten und wenn ich etwas sage, verschweige ich das Wesentliche. Irgendwann sage ich, ich sei erschöpft. Ich höre mich das immer öfter sagen. Ich bin von mir und diesem geschwächten Körper genervt. Ich gehe zu langsam, ich fahre zu langsam. Ich habe keine Lust, keinen Hunger, kann keine Entscheidungen treffen, bin zu müde um unruhig zu sein.

Ich sehe das, ich fühle mich, ich bekomme Angst, aus diesem Zustand nicht mehr herauszufinden. Ich sage, es sind noch zwei Wochen. Ich sage, es ist noch eine Woche. Ich weiß, es sind nur noch Tage. Ich mache weiter bis zum letzten Tag. Dann Urlaub. Und dann wieder. Eine Woche eher als gedacht, eine Woche wird schon keinen Unterschied machen. Und in der anderen Woche mache ich da noch ein wenig. Nur ein bisschen, weil ich ja sonst keine Zeit habe. Immer nur die wenigen Stunden reichen nicht aus. Also nehme ich aus der Ferienzeit etwas Zeit dafür. Ich höre mich, ich sehe mich, ich verstehe mich nicht. Ich muss Entscheidungen treffen. Kann es nicht. Gucke mir von hinten links über die Schulter gewandt zu.

 

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