Mittwoch, 11. November 2009

Wir stoßen wenigstens noch aneinander, sind wie gerissene Angelschnüre, die durch einen Fluss treiben aber zum Meer nie gelangen. Als würde das Meer noch etwas ändern. Vielleicht sind wir einander die größten Lügner, jeder im Geheimauftrag des anderen unterwegs, bleiben die unbesprochenen Dinge unter dem Teppich gekehrt. Andere wickeln Leichen, wir treten mit Absatzschuhen jeden Kahlschnitt und flaumlosen Teppich. Wir geraten an uns selbst in die windigste Ecke. Und dass du nicht widersprichst, liegt nur daran, dass du ungesagt bleibst. Wobei ungesagt nicht unaussprechlich bedeutet. Also spreche ich dich, spreche regelmäßig die Abfolge der Buchstaben.
Am Anfang war das Wort.
Ich sage das und denke, vor dem Wort müssen die Silben, müssen die Buchstaben, müssen Laute gewesen sein. Demnach zerteile ich kleinstmöglich alles Sprechbare, teile hinab und hinauf, teile hinab und hinauf. Zerfalle im Zerlegen selbst, falle hinab, falle hinauf und bleibe nur dort hängen, wo das Sprechbare ungesagt bleibt. Vielleicht sagt einer, Wiederholung, alles nur Nachahmung und immer Selbes. Recht hat er. Aber dort, wo ich nicht wiederhole, muss ich schweigen.
Luftlinie, wenn es die unter Wasser gäbe, ungefähr 200 Kilometer, die uns unterscheiden. Angelschnur ist Angelschnur, die eine etwas dicker für Hochseeangler, die andere etwas dünner, beinah unsichtbar, für die, die im Klaren und Flachen fischen, aber was sie wirklich unterscheidet, ist die Entfernung, ist das Gewässer. Ich habe so gern Gefilde im Haar, sage ich, nicht weil ich es so meine, nur weil es so klingt. Gefilde im Haar. Das ist nicht der Inhalt, das ist das Gesprochene. Geh Hilde und fahr! Manchmal darf ich Dinge nicht ungesagt lassen.



Du beobachtest. Nicht heimlich bist du aber still. „Die Blickrichtung beeinflusst den Abstand.“ Und das hast du wirklich gesagt, zumindest geschrieben, das ist etwas von dem, was mir nicht einfällt, was ich nur erfahre. Dass man voneinander ohne miteinander so viel in Erfahrung bringen kann, wussten wir vorher. Aber das es wirklich geschieht, ist etwas anderes. Von welcher Seite soll ich den Draht zuerst aufrollen, wenn die Welt sich in Daten, Punkten, Funktionen verliert? Wahrscheinlich verliert sie nichts von sich, sondern gewinnt vielmehr, nur für mich, die über die Unbegreiflichkeit der Dinge nicht hinauskommt, ist es ein Verlust.
Aber ich schlage mir „Splitter und Balken“ ins Auge und sehe schwarz-weiß eine Landschaft. Triadische Modelle des Lebens, denke ich mir. Körper, Geist und Landschaft. Wobei Landschaft auch die Anderen bedeuten mag. So kann es ja auch sein, ich existiere als ein Sein zwischen Körper, Seele und der Wahrnehmung Anderer. Oder eben als Ort in der Landschaft. Ließe sich doch die Frage stellen, ob nicht jedes Gemälde nur eine Flucht, ein Fluchtpunkt, aus der Welt gegriffen in die Welt gestellt, sein kann? Wäre es demnach wieder nur Nachahmung oder eigene Existenz. Wieviel Platz würde ein Fluchtkörper, wie meiner, in einem Bild einnehmen, wenn er somit aus der hier wahrgenommen Realität, entschwindet?
Eigentlich wollte ich dir schreiben, und nun schreibe ich doch mir selbst. Auf gewisse Art ist alles Schreiben ein Selbstgespräch. Doch die Einsicht, über die eigene Erkenntnis so nicht hinaus zu gelangen, lässt einen anderen Adressaten, abgesehen von sich selbst, in den Rahmen rücken. Ich bin so herrlich selbstverliebt, gestehe ich hier an dieser Stelle, weil spätestens an diesem Punkt angelangt, der Leser zwischen Fakt und Fiktion nicht mehr zu unterscheiden weiß.



Eine meint, wir bräuchten hier einen Förster, weil das Dickicht zu sehr um sich schlage. Aber ich weiß nicht, ob wir einen brauchen, der Schneisen in den Wildwuchs schlägt, der seine Markierungen wie eine Spur hier und dort am Abrieb der Einzelnen setzt. Ich weiß nicht, ob die Natur eines Schliffs bedarf. Und wenn einer eine Schneise schlägt, dann erinnert das weniger an ästhetische Autonomie, als an selbstherrliche Verwirklichung des subjektiv Schönen. Schließlich wäre ein Förster auch viel zu nah am Geschehen, er sähe den Baum im Walde nicht, nicht die Lichtungen im Kahlschlag. Alles bedarf einer Distanz, aus der heraus sich ein Blick erst erschließt. Die Blickdistanz beeinflusst demnach den Eindruck, die Wahrnehmung und mit ihr die Erkenntnis. Du wirst mir wohl nicht zustimmen, aber das hindert mich nicht, schließlich bin auch ich nur Wild- und Freiwuchs. Aber ich überlege auch über die Blickdichte. Wie nah am Geschehen ist noch längst nicht zu nah? Ab welchem Punkt wird aus dem Nah ein Mittendrin?
Dass ich mich an mich selbst verliere, hängt mit der Selbstherrlichkeit, die ich anderen gegenüber eingestand, zusammen. An mir selbst könnte ich die Frage nach dem Nah oder Mittendrin spalten, allerdings geriete ich so wieder in das Gespräch mit mir selbst derart hinein, dass ich dich vergessen könnte.
Dabei gab es eine Zeit, in der ein Vergessen - mir zumindest - unmöglich schien. Derweil sind wir weiter voneinander, und das sowohl im räumlichen als auch zeitlichen Sinn, getrennt als Parallelen es darzustellen vermögen. Dort wo du bist, grenzt mein Universum an den Rand. Einer sagte mir, ich solle über den Rand auch hinausschauen, aber ich wage es nicht. Das Unerwartete ist immer ein zu lang Erwartetes.

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