Freitag, 6. November 2009

Eine mögliche Brieffolge:


Ich habe dich grünhäutig im Arm. Vielleicht auch nur in der Erinnerung. Aber wer kann wissen, wie nah oder fern eine Umarmung wirklich ist. Wer kann von den gelebten oder ungelebten Momenten wirklich wissen? Man sagt nicht ungelebt, sagst du, man sagt, tot. Und weil du das sagst, weiß ich, du hörst nicht, du sagst nur und hörst nicht.
Das sind immer nur die Momente, von denen wir leben. Der Moment des Erwachens, der Augenblick, wenn man freudig einen Brief empfangen hat und gespannt den Bogen Papier auseinander faltet. Diese kurze, kaum sechzigsekundige Minute, die ein Kuss manchmal nur anhält, aber tagelang etwas aufrührt. Es sind immer nur Akte in der Zeit, die wir erleben. Und manchmal sagst du, du hast geträumt, während ich an den Fingern die Stunden abzähle und irgendwann auch zu einem Schluss gelange. Kurz Schluss.
Wie deine Haare sich über meine grüne Erinnerung kräuseln, und deine Brust sich an meine schmiegt, weil sie sich nach einer zweiten, einer linksseitigen sehnt. Wie wir so sind und parallel in der Zeit existieren, in Ort und Raum. Meine Haut ist Ort für allerhand, früher fanden sich passgenau deine Lebenslinien darin. Früher fand sich so viel. Aus den Hinterzimmern stürzten wir in die Vorkammern, spannten Segel und …
Kosmonauten waren wir in den Universen des jeweils anderen.


Man sagt Ausbruch, nicht Flucht, sagst du und ich sehe dich brechen, aus dir heraus und denke an die Fluchtkörper. Vater hatte einen, Mutter wollte keinen und ich bin einer. Nur Haut und Flucht. Und wenn wir mit den Buchstaben beginnen zu spielen, den einen durch den anderen ersetzen, setzen wir Veränderung in Gang, schieben zwischen die Universen schwarze Löcher, Zeitschleifen, zwingen Parallele in eine Kreuzung und beginnen uns vielleicht an dem Punkt zu fragen, ob die Existenz von uns oder aber wir von ihr abhängig sind. Aufbruch. Deine gelbe Erinnerung, dein Auftauchen in Fluchträumen.
Vater war wenigstens immerwährend abwesend, inzwischen Mutter ein Hier und Dort war. Dann lieber ganz auf der Flucht, denke ich, als zeitlang auf Zwischenstation. Flucht ist auch eine Art von Gedächtnisverlust. Dass ich nicht weiß, wann und wo wir uns das erste Mal sahen, ist nur zu verständlich. Dass aber du Ort, Zeit und Datum so genau angeben kannst, ist verwunderlich. Zwischen den Jahren, sagt man, und ich meine, zwischen den Leben sagen zu müssen.


Ich sehe dich Briefe schreiben, sehe dich sitzen zwischen Elefanten und Maulwürfen unter Eich und Tieck. Dabei solltest du über Utopien der Unmittelbarkeit nachdenken, solltest lernen und vom Gelernten erfahren und ereignen. Aber ich sehe dich sitzen am Morgen wie im Tag und darauf folgend in der Nacht. Doch wenn einer eine Reise macht, sage ich zu dir über deine Schulter hinweg, sitzt er nicht. Selbst wenn der Gedanke flieht, zieht er den Körper nach, zieht ihn irgendwo aber nicht an die Fesseln einer Stuhllehne hin. Also schreib weiter Briefe und vergiss darüber das zukünftig Vergangene. Bleib mit deinen Federn in den Tagebrüchen der Romantiker stecken. Nimm E.T.A. und H.v.K., nimm A.v.A., nimm den Aufstand und den Rückstand, nimm Platz in einer Mitte, die über die Zeit längst hinaus geschlagen ist. Und vielleicht nimmst du bald die ganze virulente Virtuelle, das surrende Grenzsein zwischen Realität, Mimesis und Unwirklichkeit, nimmst es zwischen die Hautklappen und schlägst es wie eine Eintagsfliege tot.

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