Mittwoch, 4. Februar 2009

Bedeck deine Scham, ich habe genug abgestandenes Leben gesehen. Seine großen Hände suchen ineinander Halt, gerade so, als hätten sie nicht gewusst wohin, hätte sie den Rock nicht wieder über ihre Hüften gezogen, so wie sein Mund, seine ganze Mannsgestalt es ihr geheißen haben.
Als er an ihre Tür klopfte, hatte sie mit seinem Kommen nicht gerechnet, sie hatte gedacht, er würde nie wieder zurückkehren, würde nie wieder seine Pranke in ihren Nacken und seinen Kopf an ihren Hals legen. Als er gegangen war, flüsterte sie ein Lebwohl in die Winterluft, die ihre Lippen so rissig gemacht hatte. Und nun steht er hier, steht in ihrem Raum und spricht von ihr, spricht mit ihr von ihr wie von einem leblosen Tier. Du hast kein Leben mehr zwischen den Beinen. Er zündet sich eine Zigarette an und beobachtet sie, wartet darauf, dass sie auffährt, wie eine Furie auf ihn einschlägt mit diesen kleinen Händen, die keine Fäuste sein können, mit ihnen auf seine Männerbrust schlägt, als gelte allein diese Geste als ein Ausdruck ihrer Gewalt.
Was willst du? Sie zittert weniger vor Angst oder Aufregung als viel mehr vom übermäßigen Kaffeegenuss. Seit Tagen trinkt sie nur Kaffee, versucht sich die Nächte lang wach zu halten. Seine Lippen gehen auseinander, als wollten sie antworten, und sie zittert, ohne dass er es bemerkt, zittert seiner Antwort entgegen. Aber seine Lippen versinken nur im Zigarettenqualm, der vor ihr aufsteigt.
Was willst du? Sie ist nicht zur Furie geworden, hat nicht mit ihren Händen, die keine Fäuste sein können auf ihn eingeschlagen. Stattdessen steht sie und zittert, während seine Lippen unablässig Qualm ausstoßen. Ich habe die Stadt nach was Lebendigen abgegrast. Ich dachte, irgendwo muss doch noch Leben sein, in irgendeiner Möse muss doch ein Herz schlagen. Beim Wort Möse ist sie zusammengezuckt, als hätte sie den Ausdruck von ihm nicht erwarten können, dabei kennt sie ihn. Wie er jetzt die Stirn ans Fensterglas lehnt, er schwitzt, denkt sie, und sie kann es sehen, sieht seinen Rücken, das Dreieck, was sich gleichschenklig von seinem Nacken nach unten hin ausbreitet. Und sie spürt etwas, was keine Wut, keine Enttäuschung sondern nur Mitleid sein kann. Deswegen können ihre kleinen Hände keine Fäuste werden, obwohl sie es doch wollte. So oft schon, wenn er da am Fenster stand und von seinen Streifzügen erzählte.
Anfangs dachte sie noch, sie ist ihm mehr als die übrigen. Weil er zu ihr immer zurückkehrte. Sie meinte, bei ihr findet er sich, wo auch immer er verloren gegangen war. Er geht, sie wartet, er kommt und bleibt für eine Zeit. Eben so lange wie er braucht sich zu finden. Aber das letzte Mal hatte sie ihm gesagt, sie werde nicht warten, werde nicht immer nur warten und mit jedem Mal älter werden. Er lachte, aber sie meinte, was sie sagte, meinte vor allem das Lebewohl ernst, was er schon gar nicht mehr hörte. Und nun lehnt seine schweißige Stirn an ihrem Fenster, wo er einen Halt sucht, Halt mit Aussicht.
Ich krieche in jeden beschissenen Winkel dieser Stadt, in jede beschissene Ecke der Weiber, aber glaubst, es wäre irgendwo oder in irgendeiner etwas gewesen? Es kostet ihn Kraft die Tränen zu halten. Dieser Berg von einem Mann. Er schwitzt sich aus. Das wird mich verraten, denkt er, aber die kennt doch auch nichts, weshalb bin ich eigentlich zurückgekommen. Ist dasselbe, du bist nicht anders. Seine Stirn hat sich mit einem Geräusch vom Glas gelöst und seine Augen treffen sie. Er sieht sie zittern –
Leblose Scheiße lässt sich auch nicht wieder beleben. Er nimmt seine Pranke von ihrem Nacken, löst seinen Kopf mit einem ähnlichen Geräusch wie vom Fensterglas von ihrem Hals. Lebwohl.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Umgang mit Kontaktdaten

Nehmen Sie mit mir als Bloggerin durch das angebotene Kommentarformular Verbindung auf, werden Ihre Angaben gespeichert, damit auf diese zur Bearbeitung und Beantwortung zurückgegriffen werden kann.

Kommentare können auf Anfrage von mir gelöscht werden.