Hirnhaut sei keine Rinde, sagt sie und die
andere schüttelt die Schultern, kreist den Kopf und zieht dann die
Schulterblätter Richtung Gesäß, als wären sie beim Sport. Ständen da
Blumen anstelle der Feuchtpräparate fände eine von beiden das lustig,
stattdessen meint sie aber: Hirnhäute, Mehrzahl! Die eine schaut weg
während die andere ein Foto von sich und dem Präparat macht. Haute,
haut, gehäutet, trällert sie und säbelt mit ringbesetzten Fingern der
anderen den Skalp ab.
Die eine lernte die andere bei einem Spaziergang mit Torsten kennen. Sie
hatten zuvor nichts miteinander zu tun, doch dann war da Torsten, der
die eine mit der anderen verband. Seither teilen sie manchmal das Bett
miteinander. Hin und wieder auch Torsten. Dass das niemand in den
falschen Hals bekommt, was auch immer das wieder heißen mag, dass auch
niemand das missversteht, das Bett miteinander teilen, ist nicht
gleichbedeutend mit geschlechtlichem Verkehr. Mit Torsten geht manchmal
die andere, dann wieder die eine spazieren. Torsten ist 17 Jahre alt.
Ein alter Riesenschnauzer mit struppigem Bart und beinah zahnlosem Maul.
Das mit dem Bett ist eine andere Geschichte.
Die andere studiert Medizin und kennt, was Hirnhäute von Rinde
unterscheidet, deswegen schaut sie lange hin und betrachtet die
gesäbelten Hirnscheiben als wären es Wunder. Vielleicht sind sie das ja
auch. Die eine mag nicht immer, was die andere macht, dennoch mag sie
sie und versteht die Dinge, die sie nicht sonderlich mag. Sie studiert
nicht Medizin und kann die eingelegten Leichenteile nicht länger
ertragen.
Einmal war die eine von einem Spaziergang ohne Torsten zurückgekehrt.
Sie hatte vergessen, dass der Hund bei ihr war und verließ ohne ihn das
Restaurant, in dem sie zu Mittag aß. Erst als die andere vor ihr stand
und durch sie hindurch zu schauen schien, fiel ihr Torsten wieder ein.
Die andere schlug der einen ins Gesicht. Danach teilten sie sich Torsten
für eine lange Zeit nicht mehr. Das Bett musste hin und wieder geteilt
werden, weil die eine sonst keinen Schlaf gefunden hätte.
Gesehen werden möchte sie so nicht, denkt die eine. So von innen her, so
aufgeschnitten, gescheibt, eingelegt. Sie denkt an die übervollen
Kellerregale ihrer Großmutter. Eingelegte Birnen, Äpfel, Pfirsiche,
Gurken und dieser feuchte Geruch. Die eine guckt wie die andere die
missgestalteten Totgeburten betrachtet. Weshalb geht man an einem
sonnigen Sonntag in das medizinhistorische Museum? Sie liest kurz das
Schild unter dem Gefäß. Geburts- und Sterbetag sind notiert. Die Schrift
der Großmutter auf den Gläsern konnte sie nicht entziffern. Alte,
zittrige Krakel. Es hätten auch Nazikreuze sein können. Sie schraubte
auf, roch, kostete und schraubte wieder zu.
Die andere macht noch immer Fotos. Irgendwann wird sie genug haben, um
sich zuhause anhand ihres Bildmaterials einen vollständigen menschlichen
Körper basteln zu können. Mit und ohne Krankheiten. Zuletzt
fotografiert sie das Gesicht der einen. Dieses schöne Gesicht, denkt die
andere, dieses wunderschöne Gesicht, was bloß dahinter stecken mag?
Die eine nimmt die Andere bei der Hand, als wäre diese ein Kind. So
verlassen sie den Raum mit den Regalen voller eingelegter Menschenteile.
Vor einem Spiegel bleiben sie stehen und bemerken sich in den Spiegeln,
die dem Spiegel gegenüber angebracht sind. Die eine guckt zur anderen,
die andere guckt zur einen. Mehrzahl, hundertfach, unendlich. Als
befänden sie sich in einem Raum mit Regalen, auf denen nur die eine und
die andere ausgestellt sind.
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