Sonntag, 23. Dezember 2007

Traumdeutung. Klingt auch immer wie ein Boot, in dem wir gemeinsam sitzen. Dabei wird auf die Praxis wie auf die Theorie des Verträumens kaum Rücksicht genommen. Tatsächlich habe ich mich verträumt, letzte Nacht. Ein geradliniger Weg lag vor mir. Ich konnte in die Zukunft sehen, wusste mich im Laufen schon am Ende der Linie angelangen. Dann, plötzlich bog ich ab. Marionettenähnlich von meinem Träumen geleitet, zog es mich hart nach links, was zur Ursache hatte, dass ich mein Ziel, die Zukunft aus dem Blick verlor. Im Bruchteil keiner Sekunde andauernder Zeit, geriet ich in Orientierungsnot. Hinter mir keine Vergangenheit, denn am Rücken spürbar zog sich direkt eine Mauer hinauf, die irgendwo im Dunkel weiterzugehen schien. Und vor mir. Keine Zukunft. Stand nun da in einer Zeit ohne Zugehörigkeit, mitten im Irgendwo und Irgendwann. Einer Gegenwart. Ich überlegte, wie lange die Gegenwart gegenwärtig Bestand hat. Wann und mit welcher Begründung der jeweilige Augenblick aus dem Zeitfenster des Jetzt hinausrückt. Verträumt, zeit- und ratlos blieb ich ohne Ausweg. Wohin ich meinen Blick auch richtete, es taten sich verschlungene Möglichkeiten auf. Nie war eindeutig, ob es sich um einen Weg, eine Höhle, eine Luftlinie, ob es sich überhaupt um etwas wirklich Zumutbares handelte.

Nun also, nachdem ich von diesem Vorgang Bericht erstattet hatte, machte sich einer daran, in diesen Traum eine Deutung zu legen. Er sprach und sagte wir, meinte aber wohl mich, was mich missmutig stimmte. Ich hielt mich an meinen Tee und lauschte seiner Auffassung unserer unterbewussten Kraft. Dass ich mir meiner unterbewussten Kraft durchaus bewusst bin, sagte ich nicht, obwohl ich es annahm. Nach längerer Überlegung gab ich mir gegenüber Gegenteiliges zu und räumte meinem Unterbewusstsein Recht auf Anspruch ein. Nun aber deutete jener eine gesellschaftliche Furcht vor der Zukunft und ein omnipräsentes Verdrängen der Vergangenheit in meine Erfahrung. Er meinte, es sei außerdem ein typisch deutsches Phänomen. Vergangenheitsbewältigung. Nun denn, dachte ich. Ich hielt mich für einmalig, für ein nicht kopierbares Gengemisch. Und plötzlich wurde mir klar, ich bin Viele, ich bin Deutschland, wie es mir aus aller Öffentlichkeit zugerufen wird. Ich bin 80 Millionen, so unfassbar das klingen mag. Es wird mir ja ins Gehirn gedroschen, dieser Größenwahn. Ich und Millionen. Das erklärt auch keine Relativitätstheorie. Und natürlich, nun leuchtet es mir auch ein, ich träume, aber die Deutung meines Träumens geht uns alle etwas an. Ich bin Ihr und ich war früher auch schon alle Deutschen zusammen und deswegen komme ich nicht darüber hinweg, komme nicht los von dieser Vergangenheit, die ich nicht erlebt habe. In der Psychologie nennt man das Auftreten dieser Symptome auch Projizierung. Was ich an mir nicht mag, übertrage ich auf Andere und reagiere dann auf diese Anderen aggressiv. Deswegen vielleicht der Appell der Regierung. DU bist Deutschland.

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