Mittwoch, 21. November 2007

Sitze und stelle mir vor, er säße mir gegenüber. Dieser Mensch mit dieser bemerkenswerten gedanklichen Ausdauer. Die ist nicht zu übersehen. Höchstens von einem, der nicht hinhört, nur gaukelt und schwätzt, nur vorgibt am Gesagten, am Erdachten interessiert zu sein. Stelle mir vor, er säße hier in dieser Männlichkeitsmanier, den Rücken weit nach hinten in die Stuhllehne gedrückt, zwischen den Fingern einen dunkel gerollten Zigarillo, auf dem Kopf, beinah in der Stirn einen Hut mit mittiger Falte. Er säße und hätte die Knopfleiste des Jacketts zuvor, noch in leichter Kniebeuge geöffnet, und den Stoff unauffällig wie Flügel zur Seite geschoben. Und dann, bevor überhaupt ein Wort gewechselt würde, hätte er die Beine übereinander geschlagen, nach Männerart natürlich, nicht wie Frauen dies tun, nicht so leicht in Schräge geneigt sondern gerade das linke über das rechte Bein gestreckt. Und dann erst ginge ihm der Mund auf:

> Der Akt des Denkens und der des Wollens sind momentan. Wir können sie mehr oder weniger lange vorbereiten, aber ihre Ausführung hat keine Dauer; sie geht im Handumdrehen vor sich; es sind punktuelle Akte. […] Die Liebe dagegen dauert in der Zeit, man liebt nicht in einer Reihe von ausdehnungslosen Augenblicken, von Punkten, die aufflammen und erlöschen wie der Funke einer Induktionsmaschine, man liebt das Geliebte beständig. < (Ortega y Gasset .Über die Liebe.)

Darauf würde er schweigen, die Regungen meines Gesichtes studieren, sich den Zigarillo zwischen die Lippen legen und nach einiger Zeit erst den inhalierten Rauch entlassen. Ich derweil würde seine Worte in die Länge ziehen, sie dehnen und drehen als wäre es meine Absicht, sie zu zentrifugieren. Sie solange im Geiste zu drehen, bis sich erschließe, was gewichtig ist. Dann würde ich den Mut aufbringen und erwidern:

Ist mein ausgedehntes Denken über Ihre Worte dann ein Beweis für mein Nicht-Denken oder Nicht-Wollen? Sie müssen zugeben, ein Gedanke blitzt auf, ist für einen Moment heller als übrige, unübersehbar, doch im nächsten Augenblick ist der Geist noch immer mit diesem Gedanken, dieser Idee am Werke. Er ist beschäftigt. Demnach sind es Punkte, die die Idee legt, aber die Gedankenspur verbindet die punktuellen Akte, wird zur Linie. Der Denkakt wird dehnbar, wird beständig. Nicht für unbegrenzte Dauer, dennoch über einen Moment weit hinaus.

Er würde in seiner Männermanier die Stirn in Falten legen, mit der linken Hand das Kinn stützen und mit seiner bloßen Anwesenheit fortfahren. Nichts sagen, nur sitzen und den von mir geäußerten Gedanken betrachten. Und vielleicht würde er in diesem Augenblicken bemerken, wie ausdauernd er bei diesem Denken weilt, ihm beinah nachhängt, sinniert und kaum noch loskommt. Abermals, für Sekunden nur würde er sprechen:

Und wie denken sie über die Liebe?

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