Sonntag, 18. November 2007

natura morta

Betrachte sich einer mal die Welt aus meinen Sichtverhältnissen. Die Straße mit ihrem Fortfahren, der Baum mit seinem Wechsel der Jahreszeiten, der Fluss, der immerwährend in Bewegung bleibt. Sitze und leide, als hielte ich mich an dieser Aussichtsspeere wie an einer Leine. Kann nicht weiter, immer nur bis hin zur Straße, zum Baum, zum Fluss. Darüber hinaus wäre ein stückweit zuviel.

Nichts geschieht. In diesen Wänden steht die Welt still, die Zeit schlägt nicht um, und ich habe mich diesem Stillleben hingegeben. Bin hineingebettet, an die Umstände gebunden und nicht in der Lage auszubrechen, den Rahmen zu sprengen. Unausweichlich dieser Ruhestand.

Die Bahnhofshalle sei ganz aus Glas, habe ich mir sagen lassen, hat jemand gesagt, der vor meinen Fenstern stand und sprach, als könnte der Hall seiner Stimme die Stille brechen. Aber die brach nicht, war nur für Sekunden in Aufruhr und legte sich sofort wieder sorgfältig über die Landschaft. Eine Glashalle, habe ich mir vorgestellt, muss unendlich weite Aussichten bieten. Und wie die Menschen wie Tauben an- und wieder abreisen. Nicht anders als einen Taubenschlag habe ich mir diese Halle ausgemalt und auch das Treiben darin. Dann musste ich daran denken, wie einmal eine Taube, sie muss jung gewesen sein, wie sie flog, wie sie durch meine eingeschränkte Sicht glitt und Schleifen am Himmel drehte. Hin und her schien sie mir gerissen, nicht zwischen West und Ost unterscheiden zu können. Ziellos. Und wie ich ihr nachsah, merkte ich sie näher kommen. Die Taube stob durch die Luft und mir blieb kaum noch genug zum Atmen, denn ich ahnte Schlimmes kommen. So ein wirres Regen in mir, und das Umgreifen dieser Regung, wie sie aus mir herausgriff und die Zeit zwischen den Wänden berührte. Das junge Vogelvieh flog und zog Linien. Bis sie dann ganz nah war, so nah, dass sie vor dem Glas nicht mehr zum Stillstand kam. Ich rückte näher ans Fenster, sah hinten den Fluss, den Baum, die Straße, sah alles wie immer. Nur auf dem Brett vor dem Fenster, da lag die Taube, ganz grau ihr Federkleid, lag und bewegte das dumme Köpfchen, lag mit gebrochenem Flügel und sah zu mir hinauf. Die Aufregung scheuchte mich, ich lief und stieß gegen den Tisch, gegen den Stuhl, gegen die Wände. Zeit- und Raumgefühl hatte ich verloren, und ich wagte mich nicht hinaus. Also wand ich mich ab. Vom Fenster, der Taube, der Welt und ihren drohenden Geschehnissen.

Sitze in den eigenen Wänden und betrachte die Welt wie von Außen. Und wie es einem vorkommt. Dieses ewige Ziehen, Treiben, Fliehen. Als beobachte man die Wirren eines aufgescheuchten Bienenstocks.

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