Freitag, 27. Juni 2008

Ich feiere Abschied. Ob von der Stadt oder vom Leben ist noch ungewiss. Ich greife mir an die Brust, fühle hinter dem weichen Kern einen Herzschlag schwellen, nicht anders, aber um eine deutliche Zeit langsamer. Als lägen die Ortschaften um die Stadt mit einer Geschwindigkeitsklausel begrenzt.

Ich nehme Abschied von den offenen Kaffeehäusern und dem Weltrausch, den die dort ausliegenden Zeitungen ausstrahlen, den Menschen, denen man nirgends sonst, als in diesen Kaffeehäusern begegnet. Jenen, die sich die hinfällige Zeit mit Kaffee und Tabak vertreiben. Mit H. trank ich meinen ersten Kaffee. H. war der alternden Zeit weit voraus. Seine Haut, die einst rötlich gewesen sein musste, war blassblau. Anfangs dachte ich, das muss ein Zeichen adligen Blaubluts sein, bis ich später die traurige Fahlheit begriff.

Ich verabschiede mich vom Klick-Klack der Ampelschaltung. Lag ich nachts wach, lauschte ich diesem Geräusch, als lauschte ich meinem Herzschlag, bis ich es nicht mehr aushielt und aufstand. Ein kaum auszuhaltender Rhythmus. Ich stand auf, nahm den Hammer aus der untersten Schublade meines Nachtschrankes und trat im Nachthemd auf die Straße. Überzeugt, von niemandem gesehen zu werden, schlug ich zu. Gelb zersprang das Plastikgehäuse, zerschoss in tausend Splitter. Das Klick-Klack änderte nicht den Klang, wurde anfangs schnell, dann ruhiger, dann wieder schnell.

Ich verabschiede mich von all dem Unterirdischen: den U-Bahn-Schächten, den Wartehalle, den Straßenuntertunnelungen. Dieser Welt unter der Stadt. Die Frage, wie lange das schmale Gerüst des Obenaufgebauten noch standhalten wird, werde ich behalten. Als ein Andenken, vielleicht als Erinnerung.

Ich verabschiede mich vom Detail verschluckenden Getümmel, diesen Menschenanhäufungen an den touristischen Laufpunkten, an den Haltestellen, den Eingängen der Supermärkte. Nirgends war ich unauffälliger als im Gedränge.

Ich verabschiede mich von der Sprache, die in der Stadt viel feingliedriger ist als auf dem Land. Die Derbheit ist ihr hier ausgetrieben worden, sie kann Ecken und Nischen besetzen, die das Land nicht bietet. Die Landsprache ist grob und geradlinig, ist ehrlich. Während man der Stadtsprache in ihrer Vielheit die falschen Facetten nicht unbedingt anmerkt, bewahrt sie ihren seidig schmalen Klang. Sie schmückt die derbe Wahrheit aus.

Ich verabschiede mich von einer Landschaft aus Hoch und Tief. Diese Beton- und inzwischen immer mehr zu Glasriesen gewordenen Bauten, den Schluchten, die sie reißen. Asphalt unter den Füßen. Dieses Gefühl von harter, schmelzender Wärme, wenn ich sommers ohne Schuhe lief und die anschließende Schrubberei, die Schwärze von der Sohle zu lösen. So schwarze Füße, die allerorts auf den weißen Böden Abdrücke hinterließen.

Das ist ein Anfang, sagt A.. Der große, schüchterne A., der beim Trinken die rechte Hand um die Tasse schließt und mit der linken die erlahmte Lippe stützt. Ich habe ihn in dieser hilflos wirkenden Geste gesehen. Wie er trinkt, so schreibt er auch. Die eine Hand immer die führende unterstützend. Die führende Hand, die ohne die Folgende außer Kontrolle gerät. A. ahnt nicht, auf welches Terrain er sich mit mir begeben hat und das ich alles aufzählen werde. Nacheinander, als sei sein Tun die unendliche Zahlenmenge und ich nur darauf bedacht, sie von Anfang bis zur Unendlichkeit nachzuzählen. Er hat sich auf mich eingelassen, daran werde ich nichts ändern. A. ist kahlschädelig. Jeder kann die Narbe sehen, wo sie ihn aufschnitten, in ihn hinein bohrten und etwas von ihm herauszogen. Er wucherte in sich selbst und alles Wuchernde musste hinaus und dabei riss auch das Eigentliche ein. Die Kontrollzentren wurden gestört. Deswegen lahmt seine Lippe, missversteht sein Ohr, blinzelt sein Auge, verliert seine Hand die Kontrolle.

Floskel, sage ich, kurz bevor es A. tatsächlich herausrutscht und er in meiner Anerkennung tief fällt. Er wird aufdringlicher. Erst schob ich es der Zeit zu, die wir miteinander verbringen. Doch inzwischen denke ich anders. Manchmal wirkt er, als lahme nicht nur seine Lippe. Dann schleicht er um mich herum, dehnt jede noch zu beiläufige Berührung ins Unermessliche. Seither bin ich derber geworden, ein wenig so, als teste ich an A. die Beschaffenheit meiner Grobheit und ob sie mir in alter Landmanier noch gegeben ist.

Ich verabschiede mich von A., diesem halbseitigen Kauz, der wild flattert und taumelt, wenn er ein Glas zuviel getrunken hat. Dann führt seine linke Hand nicht nur der rechten Kontrolle zu, sondern leistet auch unterhalb der Gürtellinie Hilfestellung. Dort kraust sich sein Haar und A. strahlte mich an und sagte, dort könnten Jungvögel nisten. Mir war nicht nach einem Lächeln, deswegen erwiderte ich, dass Fuchsbauten schönere Nistplätze seien.

Ich verabschiede mich vom Fuchs. Der Fuchs hatte krauses und schutzloses Haar. Auf seinen Armen beugt es sich auf und schmerzt, berührt man es in Gegenrichtung. Ich habe den Fuchs wegen seiner Haare weinen gesehen. Mein Fuchs ist ein seltsamer Mensch, und er wollte nie, dass ich ihn Fuchs nenne. Aber er ist nur untertage und hat so rotes Haar. Er spricht kaum, deswegen wird es ein leiser Abschied.

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