Freitag, 9. Mai 2008

Er zieht sehnsüchtige Menschen an. Wie ein alter Mann sitzt der dahin treibende Fluss mit seinen Sonnenuntergängen, seinem Rauschen und seiner lahmenden Schifffahrt an immer gleicher Stelle und lockt und streut, damit sich die Sehnsüchtigen um ihn scharren. Ich sammelte Krümel von einer Stimmung, die einem nur am Meer begegnet. Hortete sie in meinem Innern, als würde mit dem morgigen Tag eine Not an Eindrücken einbrechen. Wohin kehrte ich mich, sollte Morgen nichts Sehnsüchtiges mehr in mir sein?

F. ist ein seit Langem Vermisster. Jeden Tag begegne ich ihm, aber niemals gingen unsere Gespräche über das Übliche hinaus. Niemals einen Umweg, auf dem man an andere, unbekannte Ziele gelangt. F. macht eine Ausbildung in dem Beruf, in dem ich längst berufen bin. Und wohin driften die Worte, die wir miteinander wechseln. Er ist kein Freund, er ist ein Mensch, dem ich über den Weg laufe. Wir wissen voneinander das, was wir jeweils des Weges tragen. Er saß dort, wohin ich wollte, so dass wir zusammen kamen, als wären wir verabredet. Und ich begann mir das Gefühl einer Verabredung vorzustellen. Doch ich stieß zu rasch an die Realität, als hinter uns eine Frau auftauchte, die ihm die Arme um den Hals legte und küsste. Ich trank, was F. schon lange vorher getrunken hatte. Ich sah es in seinen Augen. Diese leichte Schräge, in der er war. Die Küssende nahm neben uns Platz, sie war kleiner und ihre Augen stachen hellblau aus dem dunkel umrandeten Gesicht hervor. Ich mochte diese Augen, dieses Unausweichliche. Der kurze, rote Rock erlaubte einen langen Blick auf ihre kurzen Beine und ich fragte mich, auf welche Weise sie sich die Haare entferne. Die roten Höfe auf der blassen Haut verrieten sie. F. ist glücklich, dachte ich als ich ihn so sah und sie neben ihm. Was mag ihre Sehnsucht sein, welche Krumen wollten sie sammeln, überlegte ich und trank von dem, wovon F. bereits deutlich mehr getrunken hatte.

Ich lese und kann mir die Partituren nicht erklären, weil ich nie etwas von Partituren gehört oder gelesen habe. Aber ich sehe ihre schlanken Finger über das Schwarz-Weiß gleiten, sehe sie wie Möwen über Wogen fliegen und höre das schwere Atmen wie ein Brausen. Das Orchester wird zum Meer, und ich darin zu einer Ertrinkenden.

F. und seine Küssende habe ich hinter mir gelassen. Bin mit den Sehnsüchtigeren flussaufwärts gegangen, immer ferner dem Spektakel, welches die Sonne Abend für Abend verrichtet. Darin verlieren sich nur die Verträumten. Irgendwärts dem Quell nähern sich die Sehnsüchte dem Ursprung.

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