Sonntag, 9. März 2008

Wie viel Blöße hat der Mensch? Und genügt der aus der Blöße geworfene Schatten, den Wundpunkt gänzlich zu verdecken? Wie viel an uns bleibt im Halbschatten ungesehen?

Seit Tagen, nein, seit Wochen schreibe ich nicht. Dabei gehe ich geschickt vor. Lege mir in jede Schublade eine Rechtfertigung, einen Grund und eine Ausrede. Ich schlage mich in Arbeit ein wie in einen Wickelrock. Ein Tag- und Nachtgewand. Ich sage mir bei Kaffee und Schokolade ich kann alles um das Schreiben herum, nur das Schreiben an sich beherrsche ich nicht. Das bisher Geschriebene räkelt sich in einer Ecke meines Kopfes, und seit Wochen ertrage ich einen Schmerz hinter dem rechten Ohr. Einen Schmerz, der sich hinabzieht und unantastbar ist. Seither liege ich nachts auf der linken Körperhälfte, streiche mir die Haare nur noch hinter das linke Ohr. Ich vernachlässige Alles, was ich rechts trage.

Auf dem Schreibtisch liegt die Geschichte und mahnend spüre ich, wie die Gedanken mich fangen, die Gedanken der Figuren, der schattenhaften Charaktere, die mir unmissverständlich ihr Unglücklichsein über mich kundtun. Ich weiß! - möchte ich ihnen entgegenbrüllen und halte mich zurück kurz bevor ich das Papier anschreie, weil es ja doch nicht antworten wird. Und letztendlich findet das Gebrüll doch in meinem Kopf statt.

Geht man mit der Berührung eines Menschen ein Risiko ein? Und wenn ja, welches? Und ist Risiko nicht der halbe Spaß am Leben?

Und weshalb lernte ich erst nach über sechsundzwanzig Jahren, dass der Umgang mit Menschen keinen Griff in den Giftschrank bedeutet. Mit dem Schnitt durch die Nabelschnur begann ein Abseilen, ein Los-, ein Fernlassen. Aus dem Kokon des Mutterleibes hinaus und an den Stricken der Gesellschaft hinab.

Es ist schwer, nach so viel Zeit erstmals einen Aufstieg zu wagen. Einen Antritt hin zur Gemeinschaft, einen Antritt, hinein in menschliche Umgangsformen und Nöte. Eine Bewegung vom schweigenden hin zum sprechenden Subjekt. Denn erst durch die eigene Sprache kann ich mich identifizieren, weil ich mich über sie zum Ausdruck bringen kann. Die Erwartung, dass andere um mich herum wüssten, was in mir geschieht, diese Erwartung war falsch und konnte nur enttäuscht werden. Denn letztlich kann nur das, was ich von mir und über mich mitteile erfahren werden.

Angst ist ein K.O. – Schläger. Schon in der ersten Runde ging ich zu Boden. Uferlos war das.

Ich hatte Angst vor dem Zur-Sprache-Kommen. Ich hatte Angst erkannt zu werden und gleichzeitig wünschte ich nichts anderes als das. Das Erkannt-Werden. Heute kann ich nicht beantworten, was ich meinte, was erkannt hätte werden sollen. Mein Menschsein? Meine Angst? Und weil Sprache immer auch Nähe zu anderen bedeutet, impliziert diese Angst die Furcht vor menschlicher Berührung. Die Angst, Zur-Sprache-zu-Kommen impliziert alles, was mit Sprache in Verbindung tritt. Und es ist so wenig, was nicht mit Sprache eine Verbindung eingeht. Wäre Sprache ein chemisches Element, dann ein äußert reaktionsfreudiges.

Kontaktfreudig. Kommunikativ. Das sind Schlagworte der heutigen Zeit. Können für Menschen, wie ich einer bin, ebenso zu K.O.-Schlägern werden. Weil sie die Kraft besitzen, einen in eine Ecke zu drängen, aus der man nicht mehr hervorkommt.

>Zur Welt kommen – Zur Sprache kommen<

Da hat Peter Sloterdijk eine so gewaltige Aussage gewählt, um seine Frankfurter Vorlesungen zu betiteln.

[…] vielleicht setze ich hier fort. vielleicht auch nicht

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