Samstag, 1. September 2007

Zeit vergeht nicht. Wir sind es, die vergänglich sind. Zeit ist Raum, ein Existenzraum. Zeitraum. Raumzeit. Das ist das Bestehende, und alles darin vergänglich. Wir kommen schließlich nicht darüber hinaus. Höchstens noch im Sterben. Wenn Zeit und Raum keine Sinn gebenden Begriffe mehr bedeuten. Nominatoren ohne Prädikator. Was bleibt, ist nicht einmal mehr die Vorstellung.

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Jetzt ist es Abend. Dazwischen steckt ein ganzer Tag. Und nun. Ich muss neu beginnen, denn gerade erhalte ich Post aus Afghanistan. Da gibt es doch wirklich einen, den ich kenne, der dort ist. Der mir schreibt:

> Hier angekommen haben wir dann Ausweise ausstellen lassen, Waffen,
Munition, Bettwäsche empfangen und unser Gepäck abgeholt. <

Das ist eine gänzlich andere Welt. Eine Welt, die wir hier aus Zeitungen und TvNachrichten erfahren. Wir. Hier. Wer denn eigentlich? Und ich schaue auf den Reclamband 1 Logik, der vor mir liegt und muss erfahren, eine neue Angst, eine bekannte flammt auf. Womit ich mich auseinanderzusetzen versuche. Womit andere sich herumtreiben.

> Die Unterkünfte haben die Form einer langgestreckten eingeschossigen
Baracke. Aber die Baracke wurde aus gehärteten Wohncontainern
zusammengestellt. Gehärtet bedeutet, dass die Aussenwände des Containers
gepanzert sind und einen Angriff mit Handwaffen standhalten würden. Die
Dächer sind mit einer dicken Schicht aus Sandsäcken belegt, dass man
auch von oben sicher gegen Steilfeuerwaffen ist. Ob es stimmt, weiß ich
nicht, aber es beruhigt. <

Ich sitze hier in meinem Abend, in meiner abgesagten Verabredung. Setzte mich und wollte die Gedanken des Morgens aufgreifen. Greife völlig daneben. AbsichtsLos.

Gehärtete Außenwände. Ich bin nicht einmal hier, im ausgehärteten Deutschland beruhigt. Wie kann sich so Einer beruhigen lassen, einem Gefühl von Ruhe nachgehen, nur weil angriffsichere, angeblich sichere, Wände um ihn sind. Er, der inmitten eines treibenden Kerns steckt?

Aber vielleicht. Wenn man eine Waffe über die Schulter trägt.

Ich, eine Freundin lese diese Mail, die ebenso an Freunde, an seine Freundin gerichtet ist. Lese sie, und bin bemüht, mich völlig herauszuhalten. Wie tun das die anderen, die Eltern, die Lebensgefährtin? Lese und muss heulen. Als lese ich die Zeitung. Nur viel näher. Intim beinah.

Kann ich da noch Geist und Körper finden, mich darauf zurückbesinnen? Wozu, um mich zu retten, mich zu rechtfertigen? Rechtfertige ich diese Kämpfe? All die Gespräche, die Diskussionen, aber ein Freund ist ein Freund, selbst wenn er sich und seine Jugend dem Bund verschreibt. All die kleinen und heftigen Auseinandersetzungen.

Und dennoch. Ich hocke hier zwischen Papieren, Büchern, Gedanken. Muss nicht auf Schusssicherheit achten. Tue es aber. Stecke schalldicht um mich herum alles ab. Schließlich sind die Kopfschüsse hier ebenso nah. Alles in Armlängenweite.

Da reicht mein Geist nicht aus. Finde keine Erklärungen, flüchte mich in Ängste. In unausgestandene Ängste. Fluchträume. FluchTräume. Alle Härte nur Schutzbunker. Vor dieser Welt. Vor diesen Kriegen, denen, in den eigenen Räumen, denen, vor der Haustür, denen, hunderte Kilometer entfernt. Krieg ist Krieg. Ob im Großen oder ganz Kleinem.

HA! Das gab es schon. Das schrieb ich schon.

Ja.

Dehne und zerre meinen Verstand, wie andere ihre Gürtel weiten. Glaube mich hier, im Schreiben, im Auseinandersetzen, im Mitteilen einem Ausgleich zu nähern. Fühlte mich ruhiger werden, fühlte eine Konstante im Leben halten, mich einem Etwas nähern, dem ich noch keinen Ausdruck gegeben habe. Natürlich bin ich arrogant. Aber nirgends sonst, zu keiner Zeit spürte ich diese Ruhe, seitdem ich offen die Tendenz mit mir austrage, alles in Frage zu stellen. Mir selbst Rede und Antwort zu stehen. Warum? Weil sich sonst keine Reaktion zeigte. Was war denn Schule, waren denn Lehrjahre, sind denn all die Zeiten danach?

So oft sehe ich meine Sätze in die Runde gesagt. Sehe sie gesagt und nehme die Stille wahr, die überspielende Stille. Da lacht noch einer, da schaut noch eine. Aber eigentlich herrscht Stille. Ja. Sie herrscht. Und sage mir einer, wie ich da ruhig sitzen kann? Natürlich bin ich ein Zappelphilipp, wie es in der neuen Variante betitelt wird. Da können Eltern noch so lange sagen, sitze still. Ist doch Stille genug am Tisch. Wie noch selber ruhig bleiben? Langeweile im Kopf, immer diese lange Weile. Eine Ausdauer. Die Tugend?

Afghanistan.

Ich bin unfassbar! In diesen Emotionen.

- Fortsetzung folgt -

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