Samstag, 23. August 2008

Nachtschwärmer und andere Insekten

Im Haus wohnen neben Kauzen noch Nachtschwärmer, die sich gegen Sonnenuntergang in Richtung jeglicher Lichtkegel bewegen. Sie überdauern den Tag, um sich nachts an künstlichen Quellen zu berauschen. Ich habe Einen Nachtblut verlieren sehen. Es war am Briefkasten, da sah ich den ersten Tropfen und folgte der Spur durch das Treppenhaus. Dass ich um diese Uhrzeit noch unterwegs war, hatte ich dem unglücklichen Umstand, meine Schlüssel verloren zu haben, zu verdanken. So stand ich also vor verriegelter Türe und wusste nicht, wie ich herein, noch wie ich aus dieser Situation herauskommen sollte. Die Treppe bot sich mir als Gelegenheit auf Nachbarschaftshilfe zu hoffen. Gut gehofft, wie ich jetzt sagen würde, gut gehofft ist wie schlecht verloren. Man grämt sich. Und als mich der Gram schon längst überschwemmt hatte, kehrte ich, auf den frühen Wurm wartend, zu den Briefkästen. Wie lange hatte ich keine Post mehr erhalten. Und wenn ich herausfände, wer täglich meine Briefe las und einsteckte, würde sich das Schauspiel aus der Tragödie zur Komödie wenden. So dachte ich. Und dann sah ich das Nachtblut. Tropfen für Tropen, lief ich Stufe um Stufe gesenkten Kopfes, den Blick am Boden festklebend. Es war anders, nicht rot und zäh, es schien beinah durchsichtig und gläsern. Nein, gallertartig, so als könne man mit dem Finger hineindrücken, die Form verändern, doch sobald man den Finger zurück zöge, geriet es wieder in dieselbe Form. Ich wagte nicht, auch nur einen Hauch von mir selbst mit diesem Zeug in Berührung zu bringen. Alles schien, wie uns auch das Zeitvergehen als Lebensdauer erscheint. Man dreht an der Uhr, und gelangt doch immer wieder an denselben Punkt der Ewigkeit, an die Gegenwart. Diesen einen winzig kleinen Fleck im Raum. Anderswo wäre es wohl nicht auszuhalten. Ist es das, was uns die Einschränkung beteuern möchte? Die Möglichkeit zwischen Hier- und Jenseits?

Stufe um Stufe war ich nun ungesehen in die obersten Stockwerke gelangt. Ich schaute, sah nichts, nur das Nachtblut, das den Boden verschmierte und auf welches hier Oben jemand Zeitung verteilt hatte, wohl im Glauben, das Papier sauge auf. Stattdessen aber sah es aus, als wäre etwas in der Lache verschieden. Überschwemmt. Ich stob mit dem Fuß den Nachrichtensumpf auf, wollte nachsehen, ob sich darunter etwas verbarg. Doch es tat sich nichts, nur ein Surren drang von irgendwo her. Nachtschwärmer, dachte ich, geraten immer an die Falschen.

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