Mittwoch, 28. Mai 2008

Die Blätter tuscheln, als könnte ich ihr Geflüster nicht verstehen. Sie reden vom Regen, weil sie ihn vor dem Eintreffen schon spüren. In den Adern, diesen winzigen Wasserläufen unter ihrer Haut. Ich denke an M., die immer sagte, sie spüre den Regen in der Narbe. Ich stellte mir vor, wie es unter ihrer verknoteten Haut erst kitzelte, dann prickelte und schließlich, wie es dort hart einschlug wie Hagelkorn. Aber jetzt tuscheln die Blätter zwischen den Zweigen über mir. T. sagt, er könne nicht über das Gras laufen, ohne es zu zertreten. Ich weiß, sage ich, pass trotzdem auf.

Durch die dichtdrängende Luft ist kaum ein Vorwärtskommen. Beim Atmen habe ich das Gefühl, Wasser zu schlucken. So viel schwerer als Luft, als die frische Bergluft, oder die Meerbrise. Die muss man nicht schlucken, die rutscht wie von selbst hinunter und hinein, plustert die Lungen wie einen Ballon auf. Deswegen glaubt man, wenn man am Meer oder auf einem Berg steht, man würde jeden Moment abheben. Einige ordnen dieses Empfinden dem Glück unter. Aber ich weiß, dass es die Luft ist.

T. macht große aber sachte Schritte. Seine Füße fabrizieren leise Geräusche beim Absetzen und wieder Anheben. Als hielten sie Zwiesprache mit dem, was sie jeden Augenblick zertreten oder dem, was sich langsam wieder aufrichtet, sobald sie das Körpergewicht aufstemmen. Sein Gesicht ist starr vor Konzentration. T. kann nicht zwei Dinge gleichzeitig. Er kann nicht reden und laufen. Entweder er spricht, oder er läuft. Beides zusammen funktioniert nicht. Ich hatte gesehen, wie er es versuchte, und dabei stolperte, hinfiel. Oder wie er ging und unverständliches Zeug vor sich herstammelte, mit den Händen immer wieder auf seinen Mund schlug um die Worte nach seinem Willen zu formen. T. weiß nicht, dass ich es weiß. Und ich spreche nicht mit ihm, während er läuft, geht, schwimmt oder sonst etwas.

Meine Augen seien Schießscharten, hatte T. einmal gesagt. Wir standen still und ich lauschte den Wellen, während T. sprach. Er hatte mich von der Seite betrachtet und sich wahrscheinlich vorgestellt, in den Winkeln meiner Augen Gewehrläufe auszumachen. Dann hatte er es gesagt und ich blieb still. Weil die Luft so leicht und das Abheben so kurz bevor stand. Doch dann hatte T. meine Hand genommen und gemeint, ich müsse keine Angst haben, seine Haut sei kugelsicher. Ich wollte lachen, aber meine aufgeplusterten Lungen ließen mich leicht abheben, und ich fühlte keinen Boden mehr unter den Füßen.

Das war eine Zeit.

Und jetzt laufen wir. Laufen davon wie gejagte Hunde. Wenn die Zeit uns einholt, sage ich, dann geht es nicht mehr weiter. T. lächelt, er hat nicht verstanden, was das bedeutet. Er kann nicht gleichzeitig auf der Flucht und in Gedanken sein. Über uns verstummt das Rascheln, ich sehe die Blätter ihre Silberseite nach Außen schlagen. Das ist das Zeichen, das den Gewittereinbruch kundtut. Die Zeit, schreit T. und stolpert, zerknittert das Gras über seine gesamte Körperlänge. Komm, wir lassen es nicht zu, steh auf, schreie ich und spüre die ersten Hagelkörner einschlagen. Sie ist uns auf den Fersen, kriecht mir die Waden hinauf. Ich kann sie kaum abschütteln. Ich blicke mich um, suche T.. Aber die Zeit hat ihn überrollt, als er dalag und nicht aufstand, weil er nicht zwei Dinge gleichzeitig kann. T. kann nicht aufstehen und parallel dazu auf mich hören. Ich renne und die Blätter über mir fangen den Regen ab.

Sie hat uns eingeholt. Die Zeit. T. ist vor mir auf der Strecke geblieben. Ich dachte daran, ihn aus meinen Schiessscharten heraus zu erschießen. So dass er es nicht mehr spüren würde. Aber die Gewehrläufe und seine Haut.

Ich renne und denke an M. und ihre Heckenschützenaugen, die hinter den schmalen Brauen ständig in Habachtstellung und auf Lauer liegen. Sie hat T. auf dem Gewissen, wie sie auch an H´s. Verschwinden Schuld trägt. M. ist ein Mordkommando, eine Sondereinsatztruppe. Für sie war ich immer schon das Krisengebiet, um das herum es Grenzen abzustecken galt. Wenn mein Leben eine Landschaft ist, hat M. sie geprägt. Sie hat Schluchten und Schützengräben hinterlassen. Rodungen, Verwüstung. Ein Katastrophengebiet. Es kam die Zeit, da konnte ich nur noch den Notstand ausrufen. Ich brachte T. mit mir in andere Gefilde, in sichere Abstände zu M´s. Abwehr- und Angriffsflächen.

T. ist auf der Strecke geblieben. H. war an vorderster Front gefallen. Er hielt es nicht aus, hielt diese Existenz zwischen Leben und Tod nicht mehr aus, hielt nicht länger fest am Leben.

Niemand, den ich kenne, ist nicht in den Hinterhalt der Heckenschützen getreten. Und zumindest ins Straucheln, ins Schwanken und aus der Schussrichtung der Lauffeuer geraten. Hinaus aus dem Krisengebiet, hinter die Absperrung.

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