Seit Tagen halte ich aus. Oder Wochen? Jahre? Ich halte Ausschau nach den alten Kleidern meiner Mutter, ich halte die Hand meiner ungeborenen Schwester, ich halte das Kind aus dem Nachbarhaus aus, ich halte die Haustür im Rahmen einen spaltweit offen, dass mein gehirnzersetzter Vater den Weg zurück und an den Tisch findet. Der Geruch gebratenen Fleisches hilft manchmal.
Mutter war den Menschen, die kamen und gingen, als Drogen-Petra
vertraut. Es gibt keinen Knochen, sagte sie, den sie sich nicht
gebrochen habe. Meine Mutter war keine schöne Frau und vielleicht
deswegen hat Vaters Gehirn mit der Zersetzung angefangen. Weil die
Drogen-Petra nicht schön, weil jeder Knochen in ihr gebrochen war und
weil sie jetzt nicht mehr da ist.
Eines Tages, ich hielt Türen und Tore offen, sagte Mutter, sie gehe und
komme nicht wieder. Ich hielt den Mund, ich hielt meine Brust, die von
innen her schmerzte, ich hielt die Enge meiner Lunge aus. Nur kurz legte
ich mich auf den Boden, die Beine in die Höhe zu recken, wieder zu
Kraft und zu Atem zu kommen, mich nicht übergeben zu müssen. So lag ich
auf dem Boden zwischen den Türen, lag in der kalten, schweißigen Haut
einer Frau, die ich unmöglich sein wollte. Mutter stieg über mich
hinweg, Vater schaute durch das von Fassadengrau müde gewordene Fenster.
Die Küche blieb kalt.
Vater wird von der Polizei zur Wohnungstür gebracht. Sie klopfen, auch
wenn die Tür immer einen spaltweit offen steht. Vater, der in Unterhose
durch die dunkle Stadt streunt, Vater, der die Klingelbretter der
Nachbarhäuser drückt. Manchmal sehe ich, wie nachts die Fenster in den
Häusern plötzlich aus der Dunkelheit hochschrecken. Ich sehe das und
weiß, sie erschrecken vor meinem Vater. Vater, der mich nachts an den
Haaren reißt und seine Drogen-Petra sucht. Vater, der gern einfach mal
zuschlagen würde.
Die Haut, in der ich unmöglich habe groß werden können, ist grau. Ich
habe aufgehört in spiegelnde Flächen zu schauen. Ich halte diese Haut
aus, wie man zerschlissene Kleidung aushält. Auch weil sie bequem
geworden ist, trotz der Risse und Löcher. Ist nicht schlimm, wenn da
noch etwas drauf kommt. Macht nichts.
Nachts schlafen die Menschen doch, sagt einer der Polizisten und schiebt
meinen unterhosenbekleideten Vater durch die Tür hinüber zu mir. Ich
nicke und denke an Mutter, die der Geruch gebratenen Fleisches nicht
mehr zurückgeholt hat. Der dunkle Flur drückt mir in den Rücken, Vater
schreit und würde gern zuschlagen. Egal wohin oder wen. Ich fühle mich
genau wie mein Vater sich verhält. Der Polizist wünscht mir alles Gute.
Ja, sage ich, und schließe die Tür.
2019
Aushalten, ich denke an Wanderhaut. Bin ein Schäfchen, hab mich in's Trockene gebracht. Halte aus. Hasenlaut. Hasenlaut an Heulast. Heu-te. Wieder ein Tag zum Aushalten der Häute, wieder ein Tag zum häuten.
AntwortenLöschenSei gegrüßt vom Regenflieg, immer noch Lila.